Nach dem ermüdenden und Staublunge fördernden, wenngleich erhellenden Lesen mehrerer sozialwissenschaftlicher Bücher mit viel Statistik und Empirie, Daten über unterschiedliche Altersgruppen, kurz Kohortenkram, ist mir ein griffiger Begriff eingefallen, unter dem Sozialpsychologen und Soziologen pejorisierend zusammengefaßt werden können: Kohortenkrämer. Die Rache des eingestaubten Lesers.
Schlagwort: Wissenschaft
Tirade 163 – Die Rose verstehn
Mit Messern erklärt
und mit Scheren begriffen
die Rose verstehn
taxonomisches Rufen
wie das Tuten von Schiffen
Selbstentwertung
Ich dachte, er sei Sprachwissenschaftler. Als er dann jedoch begann, mit dem Oszillieren herumzufuchteln, bis es überhandnahm und zum Blablaen verkam, wurde ich hellhörig, und spätestens dann, als er bei jedem zweiten Rechts- oder Linksabbiegen von Paradigmenwechsel fabulierte oder gar von paradigmatischer Wende, da wußte ich: Wieder nur ein professoraler Jargoneur, oszillierend zwischen Paradigmen und von dem je einen auf das je andre rekurrierend syllogierend. Das kann man mal machen – aber doch nicht ständig.
Zwischenweltler schreibt am 20.07.2011 um 14:26 Uhr:*grins*
Man könnte denken, Du berichtest aus dem Bundestag.
Lyriost schreibt am 20.07.2011 um 14:29 Uhr:Da sitzen sie auch. Aber meistens eine Ebene tiefer. 😉
Lyriost schreibt am 20.07.2011 um 14:44 Uhr:Sag mal, Zwischenweltler, bist du heute schon „abgeholt“ worden, um „auf Augenhöhe“ zu kommunizieren?
Zwischenweltler schreibt am 20.07.2011 um 15:02 Uhr:Nö, dazu schiebt man mir immer ein Bänkchen unter.
Anmerkung: Kommentare nachträglich wiederhergestellt.
Urknällchen light
In Genf wird seit gestern wieder scharf geschossen. Das Experiment sei aber noch weit davon entfernt, die Bedingungen zur Zeit des Urknalls nachzustellen, sagte CERN-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer. Man darf vermuten, daß er weiß, was er sagt. Journalisten wissen es besser: „Heute wird der Urknall simuliert“ („BZ“), „Urknall im Labor“ („Welt“), „Dem Urknall ganz nah“ („FAZ“), „CERN simuliert Urknall“ („Chip online“), Forscher simulieren erfolgreich Urknall“ (MDR) und so weiter und so fort. Journalismus light.
2010
Idiographische Hirnforschung
Die äußerlich erfolgreichste Form der Hirnforschung mögen die nomothetischen Neurowissenschaften sein, ich aber ziehe die klassische, nichttomographische Methode vor: das invasive Nachdenken über das Vorgedachte.
Schlafgewohnheiten
Der wissenschaftliche Theoretiker ruht sich auf seinen Abstraktionen aus, hört den Ruf der Universität und hofft, daß ihm bald ein Licht aufgeht, der metaphysische Esoteriker hält sich an seine Meditationsmatte, hört den Ruf des Kuckucks und hofft auf Erleuchtung. Der metaphysische Theologe liegt auf einer harten Pritsche, hört die Glocken läuten und ist voller Hoffnung auf Erlösung. So bunt und vielfältig sind die Schlafgewohnheiten im anorganischen Leben.
Uniwelsch
Besonders in Deutschland gibt es in der akademischen Sphäre eine ungebrochene Tendenz zur soziolektalen Verirrung, eine erhöhte Latenz zur terminologischen Flatulenz.
Über das Latenzverhalten von Würmern
Man ist immer wieder erstaunt, welche Schwachsinnigkeiten im wissenschaftlichen Terminologiesandkasten zu finden sind. Ein Beispiel von der Uni Freiburg:
Lernen
Allgemein: Verschiedene komplexe Prozesse, die zur latenten Verhaltensänderung eines Individuums durch Erfahrung führen. Vom Lernen abgegrenzt werden biologische und physiologische Vorgänge wie Wachstum, Ermüdung, Altern, Einwirkung von Pharmaka oder Verletzungen, die ebenfalls latente Verhaltensänderungen bewirken.
Solche terminologischen Unsauberkeiten deuten auf eine latente Hirnerweichung bei medizinischen Psychologen hin. Schon der in der Medizinterminologie übliche Terminus »Verhaltenslatenz« hat etwas Unsinniges, denn lebende Systeme zeichnen sich dadurch aus, daß sie sich so oder so verhalten. Es besteht also immer eine Latenz. Darauf muß nicht extra hochtrabend hingewiesen werden. Immer besteht auch beim Menschen eine größere oder kleinere Latenz zur Veränderung. Bis der Sarg zugenagelt wird. Aber auch dann … kommen die Würmer.
Eine »latente Verhaltensänderung« aber ist der Gipfel der terminologisch-logischen Unsauberkeit. Vielleicht sind manchmal die Würmer zu früh dran und fangen schon mal im Gehirn an zu werkeln.
»Latente Verhaltensänderung« ist ein Widerspruch im Beiwort. Ist sie nur latent, ist es keine Verhaltensänderung, denn Änderung ist ein manifester Prozeß. Ist Veränderung aber manifest, ist sie nicht mehr latent. Wie es hier zu sein scheint.
Pro Geisteswissenschaften
Immer mal wieder eine Initiative. Diesmal die Initiative »Pro Geisteswissenschaften«. Die ein wenig ins Hintertreffen geratenen Geisteswissenschaften sollen verstärkt (natürlich finanziell) gefördert werden. Besser wäre es, die wenigen Geisteswissenschaftler zu fördern, die sich nicht in den Institutionen hinter ihren Begriffssäulen verstecken.
Der je eigene Sprachgebrauch
In der Wissenschaftssprache, besonders in psychologischen und soziologischen Texten, findet man neben vielen anderen floskelhaften Konventionalismen sehr häufig einen übermäßigen, unreflektierten Gebrauch der Präposition »je«, wenn es darum geht, bei der Betrachtung von Gruppen darauf hinzuweisen, daß jedes Mitglied dieser Gruppe sich in mancher Hinsicht von den andern unterscheidet.
So hat jeder eine »je eigene Sozialisation«, einen »je eigenen Erfahrungsschatz«, einen »je eigenen Sprachduktus«, einen »je eigenen Stil«. Als wäre das nicht eine Selbstverständlichkeit (oder sollte doch zumindest eine sein), wird mit penetranter Überpräzisierung an jeder möglichen und unmöglichen Stelle auf das »je eigene« Individuelle im Überindividuellen hingewiesen. Warum tun so viele Autoren das und negieren so ihre »je eigenen« stilistischen Möglichkeiten? Vielleicht deshalb, weil es die »je eigenen« stilistischen Möglichkeiten in Wirklichkeit gar nicht gibt?
Häufiger präpositionaler Gebrauch dieses »je eigenen« scheint mir neben anderem prägnanter Ausdruck der »je eigenen« Nichtindividualität und eines »je eigenen« mangelndenden Reflexionsvermögens dieser Schreiber zu sein.
Wer vom »je eigenen« der anderen schreibt, sollte sich auch um das eigene »je eigene« kümmern. Aber vielleicht ist gerade das fehlende Bewußtsein des Mangels an »je eigenem« der unbewußte Antrieb, das »je eigene« als theoretisches Postulat so aufdringlich herauszustellen.
What the Bleep Do We Know!?
Daß unser Wissen über das Reale in der Realität außerordentlich lückenhaft ist, das ist den meisten Protagonisten des Filmes What the Bleep Do We Know!? weitgehend klar, vielen ihrer Kritiker jedoch (noch) nicht.
So ist in Wikipedia zu lesen: »Kritiker behaupten, der Film sei zu selektiv in der Auswahl der präsentierten Informationen. Andere meinen, daß er zustimmende Gesichtspunkte hervorhebe und kontroverse Ideen nicht ausreichend berücksichtigt seien oder daß das Thema zu sehr unter dem Gesichtspunkt des Mystischen dargestellt ist und die Auswahl der beteiligten Wissenschaftler nicht nur nach objektiven Gesichtspunkten erfolgte, da sie nicht in allen Punkten die Ansicht der allgemein anerkannten Wissenschaft präsentieren.«
Vielleicht liegt das daran, daß eine große Zahl von Wissenschaftlern keine Zeit hatte, weil sie zu sehr mit der Erforschung neuer Massenvernichtungswaffen und profitbringender Konsumgüter beschäftigt ist. Der Film mag zwar nichts wesentlich Neues bringen, doch in ihm werden neben dem einen oder anderen Fragwürdigen zum größten Teil plausible Hypothesen auf der Grundlage von Relativitätstheorie und Quantentheorie, aber auch der Molekularbiologie zum Nachdenken über das menschliche Selbstverständnis angeboten.
Die »allgemein anerkannte Wissenschaft« ist eine andere Sammlung nachdenkenswerter Hypothesen. Die Frage What the bleep do we know? muß immer wieder neu gestellt werden, indem man versucht, Antworten auf sie zu geben. Der Film ist so ein Versuch.
Die Tücken der Wahrnehmung
Sind in den Leib der Welt gestochen
die Sonden, die nichts taugen
nur fern den Lampen wächst das Pochen:
Im Dunkeln blühn die Augen