Falschgläubige

Gläubige ernennen andere Gläubige zu Ungläubigen, Rechtgläubige fühlen sich im Recht, Nichtgläubige sind stolz auf ihre scheinbare Resistenz in Glaubensfragen, aber sie alle sind Falschgläubige, weil sie denken, es gäbe etwas Rechtes zu glauben oder nicht zu glauben. Tatsächlich gilt es zu wissen, daß Glaube eine schlechte Angewohnheit ist wie Alkohol- oder anderer Drogengenuß und wie dieser gleichermaßen kurzfristig berauschend, mittelfristig problematisch und auf lange Sicht verhängnisvoll. Letzteres dem Leben ohne Drogen nicht unähnlich.

Urteilsvermögen

Marissa Mayer (ehemals Google): „Its not what you know, it’s what you can find out.“ (Es kommt nicht darauf an, was man weiß, sondern was man herausfinden kann.)

Man kann verstehn, daß die Vizepräsidentin von Google so bedacht-unbedacht daherredet, denn was sie sagt, ist natürlich ganz in Googles Sinn. Aber ist es auch zutreffend?

Früher, vor Googles Zeiten, als man noch mit Zetteln und Karteikarten hantierte, sagte derjenige, dem das Auswendiglernen und die Beschäftigung mit primitiver Mnemotechnologie zu mühsam und zu fade waren: Es kommt nicht so sehr darauf an, was man an Wissen anhäuft, wichtig ist vielmehr zu wissen, wo man suchen muß.

Damals war wichtig, daß man etwas wußte: nämlich wie und wo man suchen sollte. Das ist heute nicht anders, der Fokus des Wissens hat sich nur noch gravierender verschoben vom Faktischen zum Methodologischen. Manche halten diese Akzentverschiebung für eine bahnbrechende Neuerung, gar einen paradigmatischen Wendepunkt. Ich nicht, denn am Wesentlichen bei der Betrachtung von Fakten, Gedanken und Schlußfolgerungen hat sich nichts geändert. Wir benötigen zur Beurteilung all dessen das, was wir schon immer dazu brauchten und was von jeher viel rarer gesät ist als die üppig ins Kraut schießende Vielfalt der Informationen und Informationsverarbeitungstechnologien: Urteilskraft. Aber woher nehmen, wenn nicht plagiieren? Leider überall dort, wo vorhanden, nicht knackbar kopiergeschützt. Was also tun? Dazu müssen wir ein wenig nachdenken. Ob es nützt?

Glauben und wissen

Mit dem Bewußtsein ist es ganz ähnlich wie mit dem Glauben an eine göttliche Gestalt oder ein kosmisches Prinzip: Man weiß wenig bis nichts darüber, wie es funktioniert oder funktionieren könnte, und hat nicht die geringste Ahnung, was es tatsächlich IST, was sein Wesen ausmacht.

Das hindert einen Großteil der Menschen jedoch nicht daran, mit scharfem Messer das richtige vom falschen Bewußtsein oder den wahren Glauben vom Irrglauben zu trennen. Falsch und Richtig wissen sie beinahe so gut zu unterscheiden wie ein Veganer ein Ei vom andern.

Denkfabriken

Jetzt, da das Industriezeitalter peu à peu von der Wissensgesellschaft abgelöst wird, wie man hört, erleben wir eine Reindustrialisierung besonderer Art: In den wissensgetränkten Ländern wird die Produktion von Filzpantoffeln und Schlafanzügen umgewandelt in Gedankenproduktion. Ein produktionslogisch gesteuerter Strukturwandel. Nur mit dem Denken ist es in dem überkommenen industriellen Ambiente ein wenig schwierig, denn wie in den meisten Fabriken, geht es in den Denkfabriken allerorten hektisch und laut zu. Da fällt das Denken nicht so leicht wie gedacht.

Geschlossene Gesellschaft

Wenn wir uns allzusehr mit unseren Meinungen identifizieren, laufen wir Gefahr, sie für Wissen zu halten. Dieses Scheinwissen lähmt uns und nimmt dem Prozeß der Meinungsbildung alle Dynamik. Wir prüfen nur noch, ob unsere Erlebnisse und Wahrnehmungen unser Wissen bestätigen, und nicht mehr, ob unser Wissen mit den neuen Erfahrungen übereinstimmt. Im ungünstigsten Fall wissen wir über das Bescheid, was geschieht, ohne unsere äußere Wahrnehmung ins Bewußtsein zu heben, ja wir können es nicht, weil uns unser Bewußtsein signalisiert, Neuaufnahmen seien nicht nötig, da alles, was an die Tür klopft, bereits bekannt und bewertet sei. Keineswegs wegen Überfüllung geschlossen, sondern geschlossene Gesellschaft.

Wissen pro Pfund

Alles elementare Wissen kommt aus der Tiefe wie das Öl, aber wird nicht in Barrel, Kubikmeter oder Liter, sondern in Pfund gemessen. Und niemand kann mehr als ein Pfund erwerben. De profundis, das profunde Wissen. Grammweise relativ preiswert, aber pro Pfund unbezahlbar.

Arroganz des Wissens

Da es vielfältige Erscheinungsformen des Hochmutes gibt, mit denen jeder je nach Stellung und Einstellung mehr oder weniger konfrontiert ist – etwa die Arroganz der wirtschaftlich Mächtigen, der Herkunftshochmütigen, der politisch Einflußreichen, der Prominenten und mit körperlichen Vorzügen Gesegneten oder Gestraften, kurz: aller, die etwas besitzen, was anderen fehlt –, und diese Formen einer gesonderten Betrachtung bedürfen, die ich hier nicht leisten mag, möchte ich mich auf eine Art des Hochmutes konzentrieren, die sich von den andern hier genannten Erscheinungsformen unterscheidet: die Arroganz des erfahrungsgesättigten Wissens. 

Nicht ererbt, nicht durch Beziehungen zugeschustert, sondern im tätigen Austausch mit der Außenwelt erworben, scheint es zumindest auf den ersten Blick etwas zu sein, das sich ein jeder erarbeiten kann, wenn er nur willens ist. Die Rede ist hier nicht von formaler Bildung, die nicht selten nichts anderes ist als Titelgenerierung und die bekanntlich leichter erworben wird, wenn es in der Herkunftsfamilie nicht an Geldern und akademischen Traditionen mangelt. Nein, ich meine den einzelnen Menschen, der sich bildet, indem er lernt aus den Erfahrungen, die er macht, aus den Büchern, die er liest, aus den kulturellen Angeboten, die er wahrnimmt, und aus den emotionalen und intellektuellen Interaktionen mit anderen Menschen.

Jeder, der das eine Weile wirklich intensiv betreibt, spürt, wie er innerlich bereichert wird, wie er wächst und gedeiht und sich zu einer Persönlichkeit entwickelt.Und da der Mensch dazu neigt, sich mit anderen zu vergleichen, wird unser bewußter Lerner bald bemerken, daß er ein immer deutlicheres Bild von seiner Umgebung und sich selbst bekommt. Aber wenn er ehrlich mit sich selbst ist, wird er gleichzeitig intensiv wahrnehmen, daß sein Wissen zwar immens wächst, aber dennoch niemals ausreicht, um die wesentlichen Grundlagen seiner Existenz auch nur annähernd zu erfassen.

Nach einigen Jahrzehnten, in denen er gelernt und beim Erwerb formaler Qualifikationen erfahren hat, daß es im Wissenschaftsbetrieb ähnlich zugeht wie auf Pariser Laufstegen von Haute Couture und Prêt-à-porter und auch der Hegel in der »Phänomenologie des Geistes« nur mit Wasser gekocht hat, dazu mit ziemlich schmutzigem, betrachtet er die universitären und die öffentlichen Diskurse mit viel weniger ehrfurchtsvollem Blick als vordem und sieht, wenn er in den Spiegel schaut, den Anflug eines spöttischen Lächelns, den er bislang noch nicht von sich kannte. Wenn er auch ein wenig erstaunt ist über diesen neuen Zug in seinem Gesicht, sieht er doch keinen Grund, beschämt zu sein, denn von Hochmut ist er weit entfernt, auch wenn er bisweilen ein wenig belustigt ist über die Ernsthaftigkeit, mit der um die Relevanz von Fußnoten gestritten wird.

Gerät unser erfahrener Lerner, nennen wir ihn N., etwa in eine Diskussion, bei der von Platons »Höhlengleichnis« die Rede ist, bei dem jemand ins Licht des Vollmondes gezerrt wird, wird N., wenn es sich ergibt, vielleicht beiläufig anmerken, es handle sich nicht um den Mond, sondern die Sonne, und der gewaltsame Vorgang sei nicht so ohne weiteres mit plötzlicher Befreiung gleichzusetzen.

Wenn auch die offensichtlich nicht übermäßig gutinformierten Diskutanten nach einigem störrischen Zögern einräumen, es könne sein, daß bei Platon tatsächlich die Sonne geschienen habe, so erklären sie vehement, man wolle bezüglich der gewaltsamen Befreiung keinerlei Abstriche machen. Warum nicht, das sagen sie jedoch nicht und wenden sich dem Türhütergleichnis im »Prozeß«, der Tagespolitik oder ihrem Bierchen zu. Oder jemandem, der bescheiden und interessiert erklärt, noch nie etwas vom »Höhlengleichnis« gehört zu haben, und über dessen Unwissenheit sie sich wunderbar amüsieren können. 

Unser N. geht seiner Wege, aber er wird, wenn er das nächste Mal mit solchen Blendern zu tun hat, ein wenig mehr sagen als nur Beiläufiges, vor allem dann, wenn die Halbgebildeten ihre gute Laune nicht aus der Befriedigung über die eigene Denkleistung ziehen, sondern aus der Uninformiertheit anderer. Und er spürt in sich etwas wachsen, das er gleichermaßen begrüßt wie auch verabscheut: Arroganz des Wissens.

Gleichzeitig weiß er aber auch, daß er dieses Gefühl nur wirksam werden lassen wird, wenn es auf seinesgleichen trifft. 

Die Philosophie der Etiketten

Der Mensch weiß so gut wie nichts über sich und die Dinge. Also kauft er sich einen Drucker und Zweckform-Etiketten, denkt sich Bezeichnungen aus, druckt und druckt und klebt die Etiketten auf die Dinge und die Menschen. Und manche kleben sich solch ein Etikett sogar auf die eigene Stirn.

Glaube und Wissen

Das gerade macht das Zusammenleben der Menschen so schwierig: daß so viele zu wissen meinen, daß ihr Glaube Wissen sei und das Wissen anderer lediglich deren Glaube.

Erfahrungswissen

Wenn wir nichts wissen über unsere Erfahrungen, wenn die Reflexion fehlt, werden sie zur Gewohnheit und halten uns von anderen Erfahrungen ab. Wissen ohne Erfahrung wäre wie ein ausgeklügeltes Gefäßsystem ohne Blut und kann unsere Wahrnehmung nicht schärfen, Erfahrung ohne Wissen aber wäre wie Blut, das uns nicht nähren kann, weil es sich planlos verströmt.

Erfahrung und Wissen sind untrennbar miteinander und mit unseren Sinnesorganen verbunden. Sie analytisch zu trennen und gegeneinander auszuspielen ist ein rationalistischer Taschenspielertrick, der nur von Ungeübten nicht als solcher erkannt wird.

Freilich ist die Ausprägung der Apperzeptionsverbindungen von ebenso unterschiedlicher Qualität wie die Ausformung der Sinnesorgane.

Es kommt immer darauf an, wer wie Erfahrungen macht. Und wie und aus welcher Perspektive er sie beurteilt. Für einen Arzt ist ein Schnitt in den eigenen Finger eine andere Erfahrung als für ein Kleinkind.

Allwissenheit

Ganz beliebt als Argumentersatz ist die Behauptung, der andere halte sich für besonders schlau oder gar allwissend, auch wenn er nur ein halbwegs brauchbares Argument in die Debatte geworfen und damit ein weniger brauchbares in Frage gestellt hat. Solche Unterstellungen sollen von der minderen Qualität der eigenen Behauptungen ablenken und den Fokus der Betrachtung auf den andern verschieben.

Aber nicht einmal der postulierte Gott glaubt an die Allwissenheit seiner eigenen Person. Es sind immer die Menschen, die das in ihn hineininterpretieren, mit welcher Absicht auch immer.

Sokrates

Seit Sokrates wissen die Menschen, die sich mit der qualifizierten Einschätzung des eigenen Wissens Mühe machen, wie es um ihr Wissen bestellt ist, und betrachten die eigene Erkenntnisfähigkeit mit einer gewissen Ironie. Aber es gibt heute immer noch, wie schon in der Antike, massenhaft solche, die glauben, sie wüßten … Sokrates hat die Selbstgefälligkeit seiner Umgebung gestört und wurde verurteilt, weil er lehrte, daß die Vermehrung des Wissens nur denen weh tut, deren Ignoranz und Selbstüberschätzung dadurch beeinträchtigt wird. Wir sind heute nicht wesentlich weiter als zu Zeiten des Sokrates, nur das Trinken von Schierlingsbechern ist aus der Mode.

Warum so dick?

Es gibt zwei Gründe, warum die Deutschen so dick sind. Der eine Grund ist Bildungshunger und der andere Wissensdurst. Und damit man den Leuten die Bildung und das Wissen auch ansieht, essen sie viel Currywurst und Saumagen und trinken ordentlich Bier und Korn. Oder Korn und Bier. Locker bilden sich so die Fettrollen, und das Wissen und die Leber leuchten von innen. Wer dick ist, braucht nicht dicketun. Das überläßt man den Dünnen. Das und den trockenen Humor.

What the Bleep Do We Know!?

Daß unser Wissen über das Reale in der Realität außerordentlich lückenhaft ist, das ist den meisten Protagonisten des Filmes What the Bleep Do We Know!? weitgehend klar, vielen ihrer Kritiker jedoch (noch) nicht.

So ist in Wikipedia zu lesen: »Kritiker behaupten, der Film sei zu selektiv in der Auswahl der präsentierten Informationen. Andere meinen, daß er zustimmende Gesichtspunkte hervorhebe und kontroverse Ideen nicht ausreichend berücksichtigt seien oder daß das Thema zu sehr unter dem Gesichtspunkt des Mystischen dargestellt ist und die Auswahl der beteiligten Wissenschaftler nicht nur nach objektiven Gesichtspunkten erfolgte, da sie nicht in allen Punkten die Ansicht der allgemein anerkannten Wissenschaft präsentieren.«

Vielleicht liegt das daran, daß eine große Zahl von Wissenschaftlern keine Zeit hatte, weil sie zu sehr mit der Erforschung neuer Massenvernichtungswaffen und profitbringender Konsumgüter beschäftigt ist. Der Film mag zwar nichts wesentlich Neues bringen, doch in ihm werden neben dem einen oder anderen Fragwürdigen zum größten Teil plausible Hypothesen auf der Grundlage von Relativitätstheorie und Quantentheorie, aber auch der Molekularbiologie zum Nachdenken über das menschliche Selbstverständnis angeboten.

Die »allgemein anerkannte Wissenschaft« ist eine andere Sammlung nachdenkenswerter Hypothesen. Die Frage What the bleep do we know? muß immer wieder neu gestellt werden, indem man versucht, Antworten auf sie zu geben. Der Film ist so ein Versuch.

Wissen und Wahrnehmen

Das Wissen darüber, was richtig und falsch, gut und böse, angemessen oder unangemessen ist, reicht nicht aus – wir müssen das Falsche auch wahrnehmen, einerlei ob es sich um unsere eigenen Fehler oder die Fehler anderer handelt.

Dummheit

Dummheit ist weniger eine Folge mangelnden Wissens, sondern eher ein Symptom der mangelnden Fähigkeit oder Bereitschaft, diesen Mangel bei sich selbst zu diagnostizieren.

Das sokratische Εν οίδα οτι ουδέν οίδα (Ich weiß, daß ich nicht weiß) ist nach wie vor trotz seiner paradoxen Struktur wegweisend. Und im Kern ist die sokratische Ironie viel weniger ironisch, als man sich zu denken angewöhnt hat.