Wortball im Netz

Kommunikativer Austausch ist eine Art Spiel. Wie bei jedem Spiel, muß es auch bei der Kommunikation Regeln geben. Man stelle sich vor, wie etwa ein Fußballspiel verliefe, gäbe es keinen Schiedsrichter mit gelben und roten Karten. Und keine Absperrungen für das Publikum. Sosehr ich gegen Zensur bin, sosehr bin ich dafür, daß die körperliche Unversehrtheit aller Mitspieler gewährleistet ist. Deshalb muß jedes Hetzen gegen Personen oder Personengruppen, jeder Aufruf zur Gewalt unterbleiben oder unterbunden werden.

Und natürlich muß man das Hausrecht eines jedes Forumsbetreibers respektieren. Niemand kann das Weblog etwa eines Vegetariers dazu verpflichten, alle Kommentare von begeisterten Fleischessern zu einem kritischen Beitrag über die Fleischerinnung unzensiert stehenzulassen, besonders dann, wenn der Tenor der Kommentare dahin geht, auch Vegetarier gäben einen ganz passablen Grundstoff für Bio-Wurst ab.

Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen ist eine gute Sache. Allerdings sollten die abweichenden Meinungen nicht vor Intoleranz strotzen. Toleranz gegenüber Intoleranz ist Dummheit. Interessanterweise sind es gerade die Intolerantesten, die für ihre Positionen am lautesten Toleranz einfordern. So geht das natürlich nicht. 

ZEIT

Über Empathie

Wenn wir verliebt sind oder wenn uns ein andrer leid tut, dann versuchen wir, wenn wir es können und wenn wir nette Menschen sind, uns in ihn einzufühlen.

Aber so traurig das auch klingt: Wir können niemals die Perspektive des andern einnehmen, sosehr wir uns auch mit Verständnis und Toleranz einzufühlen versuchen.

Was wie einnehmen können, ist immer nur die Perspektive, von der wir glauben, daß sie die des andern sei – und immer schleppen wir unsere Irrtümer mit hinein. Ja, es ist sogar eine Art Anmaßung dabei, wenn wir dem andern sagen: Ich verstehe dich. Ist es nicht so, daß wir dem andern unsere Version von seiner Perspektive überzustülpen versuchen und damit seine eigene in Frage stellen?

Einer, der nicht todkrank ist und es nie war, wie sollte der die Perspektive eines Todkranken einnehmen können? Einer, der nicht verliebt ist und es nie war, wie sollte der …

Intoleranz

Es gehört zum Wesen der Intoleranz, andere, die diese Intoleranz bemerken, obgleich sie sich gleichermaßen wortreich wie gedankenarm zur Toleranz verklärt, der Intoleranz zu bezichtigen. Kreide glättet zwar die Stimme, aber sorgt für sichtbaren Belag auf der Zunge.

Über Toleranz

Wenn man Bodyguardphantasien und Selbstjustizwünsche bei sich entdeckt, ohne daß man sich selbst in einer aktuellen Bedrohungssituation befindet, dann sollte man darüber nachdenken, ob das Toleranzmodell, nach dem man zu leben vermeint, wirklich etwas Echtes und Gewachsenes ist oder nur Camouflage des internen Aggressionspotentials, das beständig nach außen drängt, wenn es mit Andersartigem konfrontiert wird. Oder gar nur von Andersartigem hört oder liest. Vielleicht aber ist es schon der Gipfel der gängigen Toleranz, wenn man Billy Mo gestattet, sich einen Tirolerhut zu kaufen. Dann hat man was zum Lachen, und Lachen befreit. Manchmal auch von tiefsitzenden Aversionen.

Was ist anständig?

Ist es anständig, wenn ich dafür sorge, daß mein jazzliebender Nachbar mal anständige Musik zu hören bekommt, indem ich Black Sabbath auflege und meine 300-Watt-Anlage anständig aufdrehe? Ist es anständig, wenn ich dem Vegetarier eine anständige Haxe serviere, damit er mal was Anständiges zu essen bekommt? Ist es anständig, wenn ich dem Kiffer Wodka aufdränge, damit er mal anständig besoffen ist? Ist es anständig, wenn ich Kurzhaariger dem Langhaarigen einen anständigen Haarschnitt verpasse? Ist es anständig, wenn ich dem Nichtkatholiken klarmache, er sei ein Heide und brauche eine anständige Religion?

Derartige Anständigkeiten sind oder waren anständig verbreitet. Es scheint Sitte unter Anständigen zu sein, anderen ihre Art Anständigkeit aufdrängen zu wollen. Vor allem die ganz Anständigen scheinen so von sich überzeugt zu sein, daß sie es nicht ertragen können, wenn andere nicht in den Genuß dieser Anständigkeit kommen. Möglicherweise ist die Ursache ihres Sendungsbewußtseins aber eher ein klitzekleiner Selbstzweifel, der immer dann hochkommt, wenn sie mit einer anständigen Unanständigkeit konfrontiert werden. Oder mit einer anderen Farbe der Anständigkeit.