Zimmergeschichte

Wir sitzen alle zusammen in einem Zimmer mit verschlossenen Türen. Die einen versuchen, sich dort einzurichten, und streiten über das Muster der Tapete und die richtige Anordnung der Sitzgruppen, während andere neue Legierungen für Brechstangen ersinnen, mit denen wieder andere vergeblich auf die Türen einstürmen, die sich als außerordentlich widerstandsfähig erwiesen haben. Dies ganze Szenarium existiert seit langer Zeit, und wir haben uns angewöhnt, es Geschichte zu nennen. Ein großes Wort für die Wirklichkeit in unserm kleinen Zimmer, das sich, wie wir vermuten dürfen, in einem Haus befindet, von dem wir aber leider nichts wissen, weil die Türbrecher, diese ewigen Versager, zwar viel schwitzen, doch leider nichts fertigbringen, als Brechstange um Brechstange zu verbiegen.

Diese Geschichte als Ganzes können wir ebensowenig sehen wie das Sein als Ganzes – die Türen sind zu, und wir kommen nicht raus, um eine höhere Perspektive einzunehmen.

Wie wollen wir nun eine Totalität erfassen, in deren Innerem wir uns befinden? Bleibt erst mal nichts weiter übrig, als das Ganze als ein Abenteuer zu betrachten und sich zu bemühen, innenarchitektonisch Akzente zu setzen.

Ontologische Ironie

Das Paradoxe am Leben ist, daß es im Menschen die Voraussetzung schafft, den Gedanken an eine Freiheit des Seins zu entwickeln, die dem Leben nicht innewohnt, ja, die es beständig durch ironische Kommentare des eigenen Körpers und die Lebensäußerungen der anderen ins Lächerliche zieht.

Harmonie und Disharmonie

Das Leben, im besonderen das des Menschen, weist darauf hin, daß die Harmonie des Seins unvollkommen, nur eine scheinbare ist, daß wir bei genauer Betrachtung im Sein eine disharmonische Komponente ausmachen können, die danach drängt, sich zu manifestieren.

In die vollständige äußere Harmonie des Seins ist ein Riß eingeschrieben, der vielleicht nur winzig ist, der aber ausreicht, um ein Bewegungselement zu erzeugen, das dazu führt, daß Sein sich in Seiendes ausfaltet und eines Tages beginnt zu atmen. 

In allem Existierenden schreibt sich dieses disharmonische Element weiter und wird zum sich potenzierenden kakophonischen Trubel, der irgendwann, der Reibungshitze überdrüssig, in sich selbst zusammenfällt, so daß das Seiende sich auf seinen Ursprung besinnen und zu ihm zurückkehren kann.

Man kann nur hoffen, daß die bewußtesten Teile des Seienden bei ihrer Rückkehr über ausreichendes Wissen verfügen, um den Riß im Sein mit dem passenden Werkzeug abdichten zu können, so daß das Sein im Anschluß für ein paar Quatrilliarden Jahre in Ruhe und Harmonie mit sich selbst wird leben können.

Wenn es das will.

Sein und Werden

Die grundlegende Paradoxie des Seins ist die, daß das Sein bei der Suche nach sich selbst, bei dem Versuch, seiner selbst ansichtig zu werden, den Prozeß des Werdens in Gang setzt, um einen Spiegel zu schaffen, in dem es sich betrachten kann, aber gleichzeitig im Werden sich selbst so sehr verdunkelt, daß immer bessere Spiegel und immer perfektere Beleuchtung nicht ausreichen, auch nur einen Zipfel des Gewandes dieses Seins sichtbar zu machen.

Man kann das mit einiger Berechtigung als kosmische Ironie bezeichnen und nur hoffen, daß das Sein im Werden nicht das Bewußtsein seines Seins verliert, wenn es denn je ohne Spiegel ein Bewußtsein seiner selbst gehabt hat.

Möglicherweise zeigt sich kosmisches Bewußtsein aber gerade in der Erinnerung des Seienden an den Akt der Schöpfung.

Der »Gott« in uns hat hoffentlich nicht vergessen, daß er uns und alles andere geschaffen hat. Wenn doch, dann möchte ich ihn hiermit daran erinnern.

Der kosmische Spiegel

Alle Existenz strebt zur Erkenntnis ihrer selbst, zum Wissen über sich selbst. Die Essenz alles Seins ist auf der Suche nach einem Spiegel. Das ist der Grund, warum es die Evolution gibt, warum es uns gibt.

Über die Illusionen der Desillusionierer und das Sein des Seienden

Wenn Seiendes in der Illusion des Andersseins lebt, ändert das nichts an seinem Sein. Sein Sein kann nicht als Nichts-Sein bezeichnet werden. Es gibt auch keine Auflösung von Sein, sondern lediglich eine Metamorphose der Wahrnehmung. Das Sein bleibt unberührt. Der Mensch kommt zu der Erkenntnis, daß er als Essenz zu jeder Zeit existierte, daß er jetzt existiert und daß er immer existieren wird. Das Ganze existiert in seinen Teilen. Wie man das Ganze bezeichnet, ist Geschmackssache und völlig unerheblich. Die Bezeichnung ist niemals identisch mit dem Bezeichneten.

Die Vielfalt von Schlafmützigkeit und Wachheit spiegelt die Vielfalt wider, die in der Einheit steckt, und sowenig die Schlafmützigkeit das Universum in irgendeiner Weise berührt und verändert, sowenig tut dies die Wachheit. Kein Mensch bereichert das Universum, und keiner macht es wacher. Das Universum ist einfach, wie es ist. Alles andere ist bewertende Interpretation ohne Grundlage.

Wenn gesagt wird, das Ganze existiere, nicht die Teile, wie sollte dann ein „Teil des Universums träge, abgestumpft und tot“ sein? Es gibt doch gar keinen „Teil“. Und deshalb kann auch nichts erblühen, was nicht durch sich selber blüht.

Und was ist denn abgestumpft und was blühend? Es ist doch nichts weiter als beschränkte menschliche Moralduselei, wenn das Sein mit solchen wertenden Adjektiven belegt wird. Dem Universum ist eine Moralität eigen, so es denn überhaupt eine hat, die nichts mit der menschlichen gemein hat.

Warum sollte sich das Universum um die Wunschvorstellungen von irgendwelchen moralisierenden Menschen kümmern? Wenn wir Moralvorstellungen entwickeln und nach ihnen leben, dann sollte das geschehen, um uns und anderen dieses Leben leichter zu machen, aber nicht um einem wie auch immer gearteten Gott zu gefallen oder das Universum zu verbessern.

Der Niemand und die »Niemandheit«

»Jemand zu sein ist nicht möglich, es liegt nicht in der Natur der Dinge. Wir können nur niemand sein«, sagte der Guru, heimlich durchdrungen von seinem eigenen Jemandsein im Niemandsein.

Aber ist es nicht in Wirklichkeit so: Auch wer niemand ist, ist jemand, denn das Sein konstituiert sich im »ist« – und nicht im »…mand«. Niemand könnte nur »sein«, wer nicht ist. Aber wenn er nicht ist, ist er nicht. Auch nicht niemand. Niemand gibt’s nicht. Es gibt nur den Niemand als Wertkategorie, nicht als Seinskategorie. Wenn der Guru also absieht von »der Natur der Dinge« und die Niemandheit begrenzt auf ihr blutleeres kategoriales Sein, das Existentielle außer acht lassend, dann will ich dem gerne Geltung zusprechen, möchte dabei jedoch die nichtautonome metaphysische Seinsqualität des Gurus ausdrücklich mit einbeziehen.

Solipsistische Miniatur II

Wir sind verborgen, in uns selbst gefangen
und einig nur im Anderssein.
Die Hilferufe, die hinausgelangen
verfehlen sich im Dämmerschein.

Und bleiben ungehört und ungesehen
die Dunkelheit bricht sie entzwei.
Wenn wir des Nachts am Fenster stehen
brennt nur das Licht der Tyrannei

der unerforschten, ewig unbekannten
gespiegelt nur im Rauch der Zeit
in der wir an die Mauern rannten
im blutbefleckten Hochzeitskleid

Geburtsfehler

Eingetreten
in die Höhle des Scheins
als wäre es die
Halle des Seins
durch die
falsche Tür.
Gelockt von den
gläsernen Glocken
dem Klang gefolgt.
Zu spät
das Erstaunen
der Blick zurück
zu der Tür
ohne Klinke.
Und die Fenster
mit Steinen verhängt.
Dahinter die
Nacht und die
Fratzengesichter.
Ruhe bewahren.
Vielleicht nur
ein Traum

Warten

Mit hängenden Säcken
unter dem Blick
sich selbst zum Schrecken
ein runzliges Siegel
zerfranster Strick
Moira bricht grausam
ihr ist es ein Necken
bald Herz, Hirn, bald Flügel.
Spät knackt das Genick

Logische Merkwürdigkeit

Der Unterschied zwischen den beiden sprachlich und logisch scheinbar kongruenten Aussagen »alles ist möglich« und »nichts ist unmöglich« ist der Ausschluß des Nichts in der zweiten Aussage, während in der ersten die Möglichkeit des Nichts – alles ist möglich, also auch das Nichts – enthalten ist.

Ist das nicht merkwürdig? Wenn alles möglich ist, dann auch das Nichts, wenn aber nichts unmöglich ist, kann alles sein, nur nicht nichts oder das Nichts. Wie das?

Woher kommt dieser Unterschied? Gibt es eine Möglichkeit, diese Möglichkeitsantinomie befriedigend aufzulösen?

Wahrscheinlich, möglicherweise (um mit dem Wort zu spielen) hat sich irgendein Aussagenlogiker oder ein Parmenides-Rezipient wie Heidegger bereits mit dieser Frage beschäftigt und sie möglicherweise (schon wieder das Wort) beantwortet, aber das weiß ich nicht, und deshalb stelle ich mich nicht dumm, wenn ich hier selbst versuche, sie zu beantworten: Ich bin dumm. Das ist eine hervorragende Basis für einen denkenden Menschen. Und obwohl ich nicht glaube, daß der Widerspruch dieser beiden Aussagen beseitigt werden kann, so hoffe ich doch, daß irgendein Licht in das Dunkel meiner Unwissenheit fällt, wenn ich denke.

Also: alles ist möglich versus nichts ist unmöglich.

Das unscheinbare »ist« brauchen wir im Augenblick nicht, obwohl ihm bei genauerer Betrachtung eine ungeheure Dynamik innewohnt, aber da es auf beiden Seiten der Gleichung vorhanden ist, können wir kürzen.

Also: alles möglich versus nichts unmöglich.

Parallele Struktur von Antonymen: alles – nichts, möglich – unmöglich. Ein bißchen Dreherei: alles möglich, nichts unmöglich – alles unmöglich, nichts möglich. Keine Kerbe zu finden, wo man Ockhams Rasiermesser ansetzen könnte.

Es bleibt dabei: Wenn alles möglich ist, ist das Nichts nicht ausgeschlossen, und wenn nichts unmöglich ist, ist alles möglich, außer das Nichts.

Gehen wir hier vielleicht unseren Sprachgewohnheiten auf den Leim? Immerhin gibt es einen kleinen Unterschied, aber der ist zumindest auf den ersten Blick lediglich begründet in der Konventionalität der Grammatik bzw. der Orthographie: nichts und das Nichts. Auf der einen Seite das Indefinitpronomen »nichts« und auf der anderen das Nomen »Nichts«, im Englischen »nothing« und »nothingness«.

Ganz offensichtlich hat die zweite Aussage eine doppelte Bedeutung, und es scheint so, als ob der Unterschied in der Orthographie: alles, nichts/Nichts in etwas anderem begründet ist als in Schreibgewohnheiten. Warum wird »alles« immer klein geschrieben? Warum nicht »das Alles« und »das Nichts« (von der reformierten Rechtschreibung, in der es »mein Ein und Alles« gibt, mal abgesehen). Wird »alles« vielleicht klein geschrieben, weil es bereits ein Nomen gibt, das seinen Platz einnimmt, das All? Aber was macht das schon? Ist das All nicht alles? Ist nicht beides, mal abgesehen vom Sprachgebrauch, gleich umfassend?

Alles möglich, Nichts/nichts unmöglich. Das bringt uns nicht weiter.

Rein intuitiv erscheint mir die zweite Aussage aber sinnvoller als die erste, doch warum? Alles ist möglich heißt: Alles kann sein, auch nichts oder das Nichts, aber wie sollte das Nichts oder nichts sein? Wenn es wäre, dann wäre es etwas und nicht nichts, und damit wäre es ein Teil des Seins, was ja nicht geht. Also Humbug.

Wenn aber nichts unmöglich ist, dann ist alles möglich außer nichts. Natürlich kann nichts nicht sein, denn das macht nichts ja gerade aus, daß es nicht ist. Aber wenn es nicht ist, dann ist es nicht. Daraus folgt, daß über das nichts/Nichts nichts gesagt werden kann. Es existiert nicht, das Nichts, oder nur sprachlich-logisch.

Wir sprechen also über etwas, dem keinerlei Seinsqualität zukommt, als komme ihm eine zu. Kann es sein, daß hier deutlich wird, daß Logik an unüberschreitbare Grenzen stößt? Was ist hier überfordert, unser Denken oder unsere Sprache?

Ich vermag den Widerspruch zwischen den beiden Aussagen logisch nicht aufzulösen. Wo genau liegt der Unterschied der formal gleichen Aussagen, und warum leuchtet die zweite ein, die erste aber nicht? Kann mir jemand helfen, diese Frage zu beantworten?

Fahnen im Staub

Gesplittert das Eis
gebrochene Nächte
ein Zug auf dem Gleis
das Gurgeln der Schächte.

Die Wege sind kalt
so kalt wie die Fahnen
zerschlissen und alt
die Wegzeichen mahnen.

Sie sprechen von Sonnen
verglüht und verlassen
die Wasser geronnen
verharzt alle Gassen.

Die Tage sind leer
geöffnet die Schächte
und rings um dich her
Gelichter der Nächte.

Wenn Morgen aufgraut
wohin sollst du gehen
kein atmender Laut
es ist längst geschehen:

Die Träume sind fort
die Häuser verlassen
kein atmender Ort
nur klebrige Gassen.

Schon immer verlassen
vorbei sind die Träume
du träumtest die Massen
nur schwankende Bäume.

Die Erde ist leer
verlebt und verlassen
und rings um dich her
die Fahnen, die Gassen.

Und gehst du auch fort
du kommst immer wieder
und schwankst wie das Wort
und zuckst wie die Lider.

Ein Zug auf dem Gleis
es gibt kein Entrinnen
die Fahne nicht weiß
es gab kein Beginnen.

Die Tage nicht blau
die Nächte verlassen.
Das Meer nicht mal grau
nur Kot in den Gassen.

Und Wärme gespürt
die Liebe getrunken
von Sinnen verführt
in Sinnen ertrunken.

Die Wege sind kalt
so kalt wie die Fahnen
auf Harsch und Basalt
ziehst du deine Bahnen.

Dein Fleisch ist so leer
verbrannt die Gedanken
nur dumpfe Begehr
nur haltloses Wanken.

Du wanderst umher
und spielst mit Vernichtern
treibst Maskenverkehr
mit leeren Gesichtern.

Bist selbst doch nur Staub
aus Stäuben geboren
verwelkst wie das Laub
genauso verloren.

Umhäuteter Schutt
Jahrzehnte gehärtet
im Traum noch Perlmutt
hoch überbewertet.

So wert wie der Stein
dem einst du das Kissen
tagaus und tagein
der Abstand ist Wissen.

Gedenke der Tat
das ist deine Strafe
auf surrendem Rad
gedenke und schlafe.

Trag ab alle Schuld
und handle vermessen
mit Geist und Geduld
die Zukunft vergessen.

Wird sein kalter Rauch
und Asche der Väter
kein Baum mehr kein Strauch
kein Grab für die Täter