Auch eine Art Banausentum

Vermehrt ist zu hören, es brauche, angesichts der Verirrungen auf dem Kunstmarkt, eine neue Kitsch-Diskussion, und noch bevor eine mögliche Debatte darüber begonnen hat, stehen bereits simpelste Töpfchen-Kröpfchen-Modelle bereit, um die »gute Kunst« von der schlechten zu unterscheiden. Mihai Nadin dagegen schreibt in seinem Buch »Die Kunst der Kunst – Elemente einer Metaästhetik«: »Die manchmal zum Kitsch ausartenden Darstellungen … sollten nicht mit weniger Sorgfalt und Genauigkeit behandelt werden wie alle anderen …« Deshalb kann ich einer Kunstbetrachtung durch die oberflächliche dichotomische Brille KunstKitschKunst nichts abgewinnen. Primitive Selektion, eines gewissenhaften Kunstbetrachters unwürdig. Auch eine Art Banausentum.

Literaturezeption als reduzierte Lektüre

Jeder, der einen literarischen Text liest, hat seine eigene Herangehensweise, seine ganz persönliche Lesart. Teilt er Ergebnisse seiner Lesart anderen mit, neigen diese häufig dazu, diese Lesart eines anderen als reduziert und damit minderwertig zu betrachten, weil sie beim andern das Eigene, Widerspiegelungen der eigenen Lesart vermissen. Es ist jedoch ganz natürlich, daß der andere der andere ist. Wenn ich die Gefühle, Erfahrungen und Erkenntnisse anderer nicht teile, dann bin ich ich, aber keineswegs reduziert. Von Reduktion zu sprechen setzt voraus, daß man das Ganze kennt. Aber wer kennt schon das Ganze eines Textes, die dazugehörigen Subtexte, den Prätext aus biographischen Details des Autors, des jeweiligen Lesers und nicht zuletzt die intertextuellen Voraussetzungen? Jeder kennt nur seine Version davon. Daß jemand nun seine eigene Version des Ganzen mit dem Ganzen als solchen verwechselt, verstehe ich, denn die meisten machen das so. So werden sie selbst (in ihrer Vorstellung) zu ganzen Persönlichkeiten, und die anderen werden (ebenfalls in der Vorstellung) degradiert. Diese Mischung aus Aufblasen des Eigenen und Destruieren des andern steckt meist dahinter, wenn einer sagt, ein anderer habe eine reduzierte Lesart. So simpel arbeitet das Ego.