Theodor Icklers Haltung zur Rechtschreibreform, die als eine mißglückte Reformation in die Geschichte eingehen wird, habe ich bisher in vieler Hinsicht als richtig und plausibel betrachtet, nicht zuletzt deshalb, weil sie meiner eigenen Betrachtungsweise nicht unähnlich war. Icklers Meinung jedoch, im Feuilleton der F.A.Z., »die Vernunft kehre nur in Trippelschritten zurück«, kann ich nicht teilen, weil Vernunft viel mit der Logik zu tun hat, aber nur wenig mit der Orthographie, ob nun der traditionellen oder irgendeiner Spielart der reformierten.
Die Schreibung von Wörtern, also die graphische Umsetzung von Lauten, ist eine Konvention, die zu verschiedenen Zeiten von unterschiedlich kompetenten Sprachteilnehmern festgeschrieben wurde, von Präskriptoren, die sich meist im nachhinein mit mehr oder weniger Erfolg mühten, ihre Auffassungen logisch zu begründen. Daran hat sich nichts geändert. Und auch Theodor Ickler ist einer von ihnen.
Durchaus zu Recht äußert er sich unter der Überschrift »Neue Skurrilitäten …« über einige Verücktheiten der Restaurationsreform, aber dann schreibt er selbst:
»Die ›spät Gebährende‹ ist leider kein Druckfehler, denn es folgt sogleich die alternative Schreibweise ›Spätgebährende‹.«
Leider, Herr Ickler, ist das nicht nur ein Druckfehler, sondern es sind deren zwei. Genauer: Zweimal hat sich der Buchstabe »h« an einen Ort verirrt, wo er nicht hingehört. Oder sagen wir es anders: Da es den bösen Drucker oder dessen Teufel, der angeblich die Fehler in Texte hineinbringt, seit Jahrhunderten nicht mehr gibt und dessen Existenz auf den Zeitraum zwischen Gutenbergs Erfindung der beweglichen Lettern und der Diversifizierung der Druckereiberufe reduziert werden kann, und der Setzer, der manchmal für Fehler, also Setzfehler, verantwortlich war, das Zeitliche gesegnet hat, kann sich heute ein Autor oder ein Wörterbuchredakteur, der mit seinem Textverarbeitungsprogramm kämpft, nicht mehr so leicht mit der angeblichen Inkompetenz anderer herausreden.
Wie also gelangt ein solcher Rechtschreibfehler in ein Wörterbuch?
Ist daran die Logik des verantwortlichen Redakteurs schuld? Vielleicht hat er beim Schreiben an das Wort Bahre gedacht. Nun liegt die Gebärende wohl manchmal auf einer Bahre, aber nicht lange genug, um derart kontaminiert zu werden, daß sie zur Gebährenden wird.
Vielleicht aber, und das ist wahrscheinlicher, hat der Lapsus nichts mit der Logik der Vernunft oder der Vernunft der Logik zu tun, sondern mit der sprachlich-rechtschreiblichen Konvention.
Was also ist der Grund für das rechtschreibliche Gebaren? Kommt es daher, daß der Redakteur, gerade zurückgekehrt aus den tiefsten Tiefen des Grimmschen Wörterbuchs, vergessen hat, auf der Kellertreppe die weiland üblichen Längenzeichen abzustreifen? Solche Akkomodationsleistungen muß aber gerade ein Wörterbuchredakteur erbringen, will er sich nicht der Kritik aussetzen.
Mit den Mitteln der Vernunft war es noch nie nachzuvollziehen, weshalb es rechtens sein sollte, daß es rechtens ist, das Wort »rechtens« in der Wendung »es ist Rechtens« groß zu schreiben. Und so gibt es viele andere tradierte rechtschreibliche Konventionen, zu denen zurückzukehren nicht lohnend ist, weil sie mit den Mitteln der Logik ebensowenig zu erklären sind wie viele zu Recht angeprangerte Neuerungen legasthenieverdächtiger Kultusbürokraten.
Was wir brauchen, ist nicht eine von welchen Motiven auch immer gesteuerte starre Präskription der Rechtschreibung, wir brauchen eine behutsam empfehlende deskriptive Schreibweisenbetrachtung, die der Sprache und ihrer graphischen Repräsentanz den Spielraum gibt, den sie braucht, um sich an veränderte Gegebenheiten anzupassen, ohne in die Beliebigkeit der Moden der Spätmoderne abzugleiten.
Dies war früher, mit Einschränkungen, sogar die Haltung der Duden-Redaktion, zumindest stellte sie das so dar. Aber vielleicht war solche Toleranz auch nur einem Abbröckeln des Absolutistismus geschuldet, letztes Aufbäumen altherrscherlicher Attitüde im volksnahen Gewand.
Was wir ganz bestimmt nicht brauchen, ist ein »Das haben wir schon immer so gemacht«.
Deshalb ist eine in Trippelschritten zurückkehrende Vernunft ein falsches Bild, denn die Vernunft kann nur dorthin zurückkehren, wo sie einmal war und von bösen Vernunftgegnern vertrieben wurde.
Rechtschreibung ist aber keine Sache der Vernunft, sondern eine Sache der Konvention, der Tradition. Und die Vernunft wurde von jeher dazu mißbraucht, diese wie auch andere Konventionen mit dem Weihwasser der Logik zu beträufeln. Darin unterscheiden sich die Priester des Althergebrachten nicht von denen der Reformation.
Anmerkung 1: In diesem Beitrag war mir der Finger um drei Zentimeter auf der Tastatur verrutscht, so daß es »lagasthenieverdächtig« hieß statt »legasthenieverdächtig«, aber auch in mir schreibt keine Maschine, und ich benutze aus gutem Grund keines dieser merkwürdigen Programme, die sich »Rechtschreibprüfung« oder »Korrekturprogramm« nennen. Ich bitte, das zu entschuldigen. Dankenswerterweise hat mich jemand darauf hingewiesen, dem nicht nur häufig der Finger verrutscht, sondern viel öfter die ganze Hand, aber nicht nur versehentlich, sondern ganz oft aus Prinzip.
Anmerkung 2: Es hat sich herausgestellt, daß der Herr Ickler den oben beschriebenen Lapsus nicht aus dem Grimmschen Keller mit hochgeschleppt hat, sondern im WAHRIG vorgefunden. Macht das die Sache jetzt besser oder schlimmer?
Anmerkung 3: Wer es bisher nicht gemerkt haben sollte, dem sei ausdrücklich gesagt: Ich halte die Rechtschreibreform für unsinnig, aber eben auch die Versuche, die Notwendigkeit der traditionellen Rechtschreibung bis ins Detail und Absurde logisch zu begründen. Sie mag zwar viel weniger unlogisch sein als die reformierte, aber logisch nachvollziehbar ist auch sie nicht immer.
2007
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