Wider die naive Sprachbetrachtung

Der Duden und der Hohn

Seit Beginn der Orthographiereform 1996 kann ich den Duden, der vorher schon nicht ohne Eigentümlichkeiten, Rechtschreibfehler und Sprachschlampereien war, auch mit bemühtem kollegialem Verständnis nicht mehr ernst nehmen, und nicht wenige der gelbgewandeten Empfehlungen reizen mich zum Lachen, wenn nicht zum Spotten oder gar Höhnen: also dazu, dem Hohn, der sich beim Zusammenprall mit den polyphonen Mannheimer Farbklecksereien regelmäßig in meinem Kopf entwickelt, Ausdruck zu geben, indem ich hohnlache. Ich könnte seit 1996 selbstverständlich sprachamtlich sanktioniert auch Hohn lachen, was jedoch meinem Sprachgefühl hohnspräche (und nicht etwa Hohn spräche). Deshalb verzichte ich darauf, es hohnsprechen zu lassen, so daß es nicht auf den ersten Blick hohnzusprechen scheint oder „zu hohnsprechen“, wie der Duden online unter dem Stichwort „hohnsprechen“ in Verkennung der Grammatik der starken Verben falsch formuliert. Daß es weiter unten unter Grammatik richtig „hohnzusprechen“ heißt statt „zu hohnsprechen“, das ist nur eine Merkwürdigkeit mehr in den sottisenreichen Merkwürdigkeitensammlungen des Bibliograf(ph)ischen Instituts und spricht nichts und niemandem „Hohn“ oder, wie ich sagen würde, hohn, außer der ernsthaften Beschäftigung mit der Sprache. Doch darum geht es bei besagtem Institut leider nicht immer.

Als Angeber bezeichnet man „jemandem“ …

Der Lautsprecher der Dilettantenabteilung im deutschen Hobbylinguistenverband Bastian Genitivtod Sick hat wieder – im „Spiegel“ – zugeschlagen. In der Zwiebelfisch-Kolumne beschäftigt er sich mit dem Vorkommen der fliegenden Gestalten in der deutschen Sprache. Wie immer volkstümlich und anbiedernd launig, wie Quadrantarius-Professionelle es besonders lieben. Normalerweise lese ich diese Sachen nicht mehr, aber, nun ja, man hört bisweilen in einem schwachen Moment auch eine Schnulze im Radio.

Herr Sick weiß nicht immer, wo Kommas zu setzen sind und wo nicht, geschenkt. Allein, daß niemand „Pleite gehen“ kann, sondern nur pleitegehen, das sollte er, als der Sprachspezialist, für den er sich hält, schon wissen. Aber vor allem sollte er nicht die Fälle durcheinanderbringen, auch wenn’s mal nicht um den Genitiv geht. Als einen Angeber bezeichnet man nicht „jemandem“, als Angeber bezeichnet man jemand oder jemanden. Zum Beispiel jemanden, der sich anmaßt, andere belehren zu wollen, sich selbst jedoch ausnimmt.

Seine Lapsus sprechen nicht für ihm. Ich meine ihn.

Zwiebelfisch

Wieder mal das gelbe Buch

Zugegeben, ich freue mich jedes Mal, wenn ich einen Fehler im Duden finde, nur leider vergesse ich meistens, mir das zu merken. Damit es mir diesmal nicht wieder durch die Lappen geht: Beim Wort »reagieren« erlaubt der Duden, im Gegensatz zu früheren Ausgaben und etwa auch zum neuesten Wahrig-Wörterbuch, nur noch die Trennung re-agieren. Die nach wie vor korrekte Silbentrennung rea-gieren gilt jetzt denen, die sich nach dem Duden richten – und das sind leider viel zu viele –, als falsch.

Wer allerdings im Duden die Wörter Reagenzglas oder Reagens nachschlägt, wird sich verwundert die Augen reiben, denn dort bleibt der Trennstrich hinter dem „a“ erlaubt: „Rea-gens“, „Rea-genzglas“ – was natürlich richtig ist. Nur: Kann beim „Reagieren“ falsch sein, was beim „Reagenzglas“ richtig ist, oder war man beim Duden mal wieder mit den Gedanken woanders, etwa hoch auf dem gelben Empfehlungswagen?

Rat für deutsche Rechtschreibung

»Der Rat ist die maßgebende Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung …«

Der Rechtschreibrat, die »maßgebende Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung«, hat unlängst einen Bericht über seine Arbeit von 2006 bis Oktober 2010 herausgegeben. Ich hab den mal kurz überflogen und festgestellt, daß sich der Rat mit der Erstellung von Texten nicht besonders gut auskennt – so sind Wortzwischenräume bei Überschriften uneinheitlich, bei Prozentangaben fehlen sie gänzlich (5%), statt Klammerhierarchien gibt es mehrere runde Klammern hintereinander, Punkte bei Aufzählungen mit römischen Ziffern stehen nicht untereinander, häufig werden Gedankenstriche und Bindestriche verwechselt usw.

Es gibt falsche Silbentrennung (»Zeile-nende« statt »Zeilen-ende«, »deutsch-er« statt »deut-scher«), Kommata, wo keine hingehören, aber auch schon mal einen Relativsatz ohne Komma, stilistische Merkwürdigkeiten:

»Diese Diskussion ging aus von der erneuten und vertieften Beschäftigung des Rats mit dem im Regelungsvorschlag von 2006 von den vom Rat initiierten Veränderungen nur am Rande berührten Bereich der Groß- und Kleinschreibung.«

An diesem Satz kann man sehen, daß sich kein Sprachpraktiker – also Lektor, Korrektor, Schriftsteller – vor der Veröffentlichung mit ihm befaßt hat. Das Sagen im Rechtschreibrat haben in erster Linie beamtete Sprachverwalter und Theoretiker, »in Sonderheit« Pfleger der knisternden Nominalphraseologie.

Im Bericht findet man Redundanzen (»in diesem Bereich … in diesem Bereich« – »in Sonderheit … in Sonderheit«), umgangssprachliche Ausdrücke statt standardsprachliche (»von vorneherein« statt »von vornherein«), falsche Schreibung von Wörtern (»daran gegangen« getrennt statt richtig wie von jeher »darangegangen«), die Schreibweise »Orthographie« neben »Orthografie«, grammatikalische Fehler (Beispiel: »… das sich auf bestimmten Bereichen bezog …«, »die gebildeten Wörtern«, die »Darstellung wurden wiedergegeben«, »Eidgenössisches Finanzdepartements« statt »Eidgenössisches Finanzdepartement«). Nichts gegen den Genitiv, aber nicht um jeden Preis(es).

Die Schreibung nach Doppelpunkten, groß oder klein, ist nicht immer regelkonform, und es gibt falsche Pluralbildung (etwa »Nominationsstereotypen« statt, wie es korrekt wäre, »Nominationsstereotype«).

In summa: Der Rechtschreibrat wäre gut beraten, sich von einem schriftkundigen Menschen beraten zu lassen, bevor er Texte für die Öffentlichkeit freigibt.

Style in the city

Eine Immobilienfirma wirbt in meinem Kiez, großflächig und mit sehr großen Buchstaben, stylisch um Kunden für „Appartments“ und „flexible Einzelhandelflächen“. Gemeint sind, so ist zu vermuten, Apartments oder vielleicht auch Appartements und Einzelhandelsflächen.

Auf der Website der Firma ist zu lesen: „Wir unterscheiden uns von den meisten unserer Mitbewerber durch den hohen Designstandard …“ Nun frage ich mich als potentieller Kunde, ob zum Stil nicht immer auch ein wenig Konvention gehören sollte, nämlich hier die Beachtung orthographischer und logischer Gesichtspunkte.

Was würden wir von einem Pharmazeuten halten, der uns in seiner Einzelhandel(s)fläche „Appotheke“ etwas verkaufen will, etwa Medizien? Das zur Orthographie. Und die Logik? Was soll ich mir unter einer flexiblen Einzelhandel(s)fläche vorstellen? Die Fläche in einem Gebäude bleibt, anders als beim Luftballon, gemäß dem äußeren Grundriß immer gleich, und wenn ich Wände einziehe, dann teile ich die Grundfläche in mehrere kleinere Flächen auf. Die Gesamtfläche selbst wird dabei nicht flexibel, sondern lediglich durch den Platzbedarf der Mauern verringert. Reiße ich die Mauern wieder ein, gewinne ich nur das zurück, was ich vorher verloren habe. Das nennt man: flexible Flächen-Gestaltung. Aber nicht „flexible Fläche“.

Bibliographisches Institut

Im Duden, ehemals maßgeblich und amtlich in Fragen der Rechtschreibung, heute jedoch hauptsächlich maßgebend in seiner Maßlosigkeit willkürlicher Empfehlungen der eigenen rechtschreiblichen Präferenzen von orthographischen Varianten, finde ich die Empfehlung, das Wort »bibliographisch« nicht mehr zu verwenden, sondern durch »bibliografisch«zu ersetzen. Nun denke ich natürlich nicht daran, mich solcherlei geschmäcklerischer Anmaßung zu unterwerfen. Aber, so dachte ich mir, der Duden sollte sich doch wohl an seine eigenen Empfehlungen halten.

Der Duden erschien bisher im Verlag Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Mannheim. Also nicht Bibliografisches Institut & F.A. Brockhaus AG. Da Eigennamen weder der vom Rat für deutsche Rechtschreibung zu verantwortenden Rechtschreibreform unterliegen noch den eigenwilligen Auslegungen dieser Reform durch die Duden-Redaktion, war die Schreibweise mit »ph« bisher gerechtfertigt.

Unlängst fand jedoch eine Hauptversammlung dieser Firma statt, die den Duden herausgibt. Da sich die Besitzverhältnisse geändert haben, stand eine Namensänderung an, und eine Umbenennung wurde beschlossen. Zukünftig firmiert man unter »Bibliographisches Institut«. Ohne Brockhaus, aber wie gewohnt mit »ph«.
Nun frage ich mich: Warum hält man sich beim Duden nicht an die eigenen orthographischen Empfehlungen, deren Berücksichigung man mir seit geraumer Zeit mit dicken gelben Farbklecksen so sehr ans Herz gelegt hat?

 

PS: Der Duden habe »sich immer stark gemacht« für eine einheitliche Rechtschreibung, kann man auf der Website des Verlages lesen, wo die Parodie eines Interviews mit dem Redaktionsleiter geboten wird. Dummerweise wird »stark gemacht«, im Sinne von »sich für etwas einsetzen«, in reformierten Texten seit längerem zusammengeschrieben. Vielleicht sollte man beim Duden mal das eigene Korrekturprogramm verwenden. Oder sich, besser noch, für eine externe Prüfung von Dokumenten »starkmachen«.

Duden

Klettische Rechtschreibung

Rechtschreibung

Letztens fand ich in meiner Post einen Brief von Klett College. »Damit Ihr Kind mehr Erfolg in der Schule hat! – Perfekte Hilfe für bessere Noten«. Nun hat meine Tochter auch ohne Klett Erfolg in der Schule, aber das können die bei Klett ja nicht wissen, denn so weit ist die Überwachungs-Verkabelung der Individuen glücklicherweise noch nicht gediehen.

Was die Klettianer jedoch wissen müßten: Wer »perfekte« Hilfe anbietet, sollte ein Mindestmaß an Professionalität walten lassen. Zwar wurde das Wort »perfekt« richtig geschrieben und nicht mit »ck«, aber so einiges andere leider nicht.

Wie es scheint, ist bei Klett nicht bekannt, daß das »neue und besondere«, unangetastet von jeder Rechtschreibreform, von jeher das »Neue und Besondere« ist. Glasklare Nomen werden selbstverständlich am Anfang mit einem Großbuchstaben versehen.

Auch gibt es in anständigen Texten nach wie vor keine Abkürzungen am Satzanfang, Gedankenstriche sind Gedankenstriche und keine Divise, vor Prozentzeichen findet sich immer ein Zwischenraum, und nicht nur manchmal, ok schreibt man in Deutschland o.k., vor sowie steht, außer bei Appositionen, kein Komma, eine »CD-Rom« gibt es nur als CD-ROM, außer vielleicht in Italien …

»Für eine erfolgreiche Deutsch-Note …« Erfolgreiche Note? Nein. Noten können nicht erfolgreich sein, sondern nur diejenigen, die eine gute Note bekommen. Jedenfalls manchmal.

Keine gute Note für Klett.

 

 

Anmerkung: Ich selbst schreibe natürlich, wie immer, nach den Regeln der traditionellen Orthographie.

Als erster alles wissen

»Behalten Sie den Überblick!« So wirbt »Die Zeit« für ihre Online-Ausgabe mit neuem Layout: »Als erster alles wissen.« Wie aber kann man als erster alles wissen, wenn die Wissensquelle es nicht weiß? Doch wer weiß schon alles?

Hier haben die Texter übersehen, daß die reformierte Rechtschreibung, trotz aller Hin-und-her-Reformierungen beim »Ersteren« ausschließlich Großschreibung vorsieht. Oder sollte diese Information noch nicht bis in die Redaktion vorgedrungen sein? In diesem Falle sollten die Redakteure»Die Zeit« lesen. Damit sie als erste alles erfahren. Oder als Erste, wenn man, wie »Die Zeit«, reformiert schreibt.

Schrift und Rede

Bei »Schrift und Rede«, dem sicherlich fachlich fundiertesten Forum der Gegner der Rechtschreibreform, wo die Unsinnigkeiten dieser unsäglichen Schriftverhunzung gnadenlos ans Licht gezerrt werden, ist es leider so wie überall, wo Gesinnungssympathisanten unter sich bleiben wollen: Kritiker werden rausgedrängt und auf undemokratische Art und Weise ausgeschlossen, denn man möchte unter sich bleiben. Nicht die Leser sollen entscheiden, ob ein Diskussionsbeitrag erhellend ist oder nicht, die Redaktion tut das für sie und greift zensierend ein, indem sie mißliebige Diskussionsbeiträge mit fadenscheinigen Begründungen oder einfach so kurzerhand löscht.

Das ist undemokratisch und kurzsichtig und schadet dem Anliegen dieses wichtigen Forums.

Wie jeder an meinen schriftlichen Äußerungen und an meinen Wortmeldungen sehen kann, gehöre ich nicht zu den Anhängern des Neuschriebs, bin also keiner von denen, die dort herausgedrängt werden. Aber man sollte auch dann auf undemokratische Verhaltensweisen hinweisen, wenn man nicht selbst betroffen ist.

Bei allem Einsatz für die richtige Schreibung von Wörtern darf eines nicht vergessen werden: Noch wichtiger als das rechte Schreiben ist das unzensierte Recht zu schreiben.

Verfall einer Institution

Wenn man mit der Rechtschreibung mal per du ist und mal per Du, das heißt, wenn man mal die eine und mal die andere Schreibweise empfiehlt, also mal Großschreibung und mal Kleinschreibung, wie der Duden neuerdings, ist die Reputation perdu.

Anmerkung: Wer nun glaubt, der Wahrig könnte eine Entscheidungshilfe sein, der irrt, denn sowohl beim Stichwort »per« wie auch bei »du« suchen Lehrer und Schüler vergeblich. Wenn man hier klein schreibt, liegt man damit immer richtig.

2006

Der neue Duden

Heute erscheint der neue Duden, und damit ist die nächste Stufe dieser unseligen, unsinnigen Rechtschreibreform in Zement gegossen. Die Treppe sollte ursprünglich in die lichten Räume einer erleichterten Rechtschreibung führen, aber daraus wurde nichts. Die Treppe führt ins Leere, und die obersten Stufen sind bereits verstaubt, und auf ihnen liegt der verharschte Schnee von gestern. Eine grausige Mischung.

Die jetzige Treppe, von der der neue Duden eine Stufe ist, führt uns auf Umwegen langsam dorthin zurück, wo wir hergekommen sind. Und es wird nicht die letzte Stufe sein.

Dort, wo wir jetzt stehen, herrscht allgemeine Verunsicherung. Wenn selbst ausgewiesene Experten, wie unlängst Theodor Ickler, beim Wahrig, dem Konkurrenzprodukt der Mannheimer Wörterschinder, nicht zwischen »Druckfehlern« und systematischen Lapsus calami unterscheiden können, nur weil sie im Doppelpack auftreten, wer soll dann noch wissen, wie man richtig reformiert schreibt?

Den neuen Duden werden – und man muß kein anerkannter Prophet sein, um dies zu prognostizieren – neben vielen systematischen Fehlern auch »Druckfehler« zieren. Und deshalb wird auch er nicht das sein, was Schüler und Lehrer und »Innen« brauchen.

Wohl dem, der es sich wie ich leisten konnte und kann, wenigstens privat auf diesen ganzen Blödsinn zu verzichten und einfach nur traditionell richtig zu schreiben.

Aber das kann sich doch jeder leisten, der es kann. Oder?

2006

Über das Engsehen

Beim Streit darum, ob ein Wort »großgeschriben« wird oder »groß geschriben«, sollte man nicht außer acht lassen, daß es bei dem Wort »großgeschrieben« nicht sonderlich gut aussieht und auch nicht den gültigen Regeln und unseren Sehgewohnheiten entspricht, auf das »e« zu verzichten. Neben Zoom und Makro muß bei Sprachwissenschaftlern stets ein Weitwinkelobjektiv zur Hand sein, damit sie über dem Detailproblem nicht das Ganze aus den Augen verlieren. Ob Aufmerksamkeit großgeschrieben oder groß geschrieben wird, ist nicht nur eine Frage der Rechtschreibung, sondern vielmehr und viel mehr eine Charakterfrage.

Logische Rechtschreibung: Über Vernunft und Orthographie

Theodor Icklers Haltung zur Rechtschreibreform, die als eine mißglückte Reformation in die Geschichte eingehen wird, habe ich bisher in vieler Hinsicht als richtig und plausibel betrachtet, nicht zuletzt deshalb, weil sie meiner eigenen Betrachtungsweise nicht unähnlich war. Icklers Meinung jedoch, im Feuilleton der F.A.Z., »die Vernunft kehre nur in Trippelschritten zurück«, kann ich nicht teilen, weil Vernunft viel mit der Logik zu tun hat, aber nur wenig mit der Orthographie, ob nun der traditionellen oder irgendeiner Spielart der reformierten.

Die Schreibung von Wörtern, also die graphische Umsetzung von Lauten, ist eine Konvention, die zu verschiedenen Zeiten von unterschiedlich kompetenten Sprachteilnehmern festgeschrieben wurde, von Präskriptoren, die sich meist im nachhinein mit mehr oder weniger Erfolg mühten, ihre Auffassungen logisch zu begründen. Daran hat sich nichts geändert. Und auch Theodor Ickler ist einer von ihnen.

Durchaus zu Recht äußert er sich unter der Überschrift »Neue Skurrilitäten …« über einige Verücktheiten der Restaurationsreform, aber dann schreibt er selbst:

»Die ›spät Gebährende‹ ist leider kein Druckfehler, denn es folgt sogleich die alternative Schreibweise ›Spätgebährende‹.«

Leider, Herr Ickler, ist das nicht nur ein Druckfehler, sondern es sind deren zwei. Genauer: Zweimal hat sich der Buchstabe »h« an einen Ort verirrt, wo er nicht hingehört. Oder sagen wir es anders: Da es den bösen Drucker oder dessen Teufel, der angeblich die Fehler in Texte hineinbringt, seit Jahrhunderten nicht mehr gibt und dessen Existenz auf den Zeitraum zwischen Gutenbergs Erfindung der beweglichen Lettern und der Diversifizierung der Druckereiberufe reduziert werden kann, und der Setzer, der manchmal für Fehler, also Setzfehler, verantwortlich war, das Zeitliche gesegnet hat, kann sich heute ein Autor oder ein Wörterbuchredakteur, der mit seinem Textverarbeitungsprogramm kämpft, nicht mehr so leicht mit der angeblichen Inkompetenz anderer herausreden.

Wie also gelangt ein solcher Rechtschreibfehler in ein Wörterbuch?

Ist daran die Logik des verantwortlichen Redakteurs schuld? Vielleicht hat er beim Schreiben an das Wort Bahre gedacht. Nun liegt die Gebärende wohl manchmal auf einer Bahre, aber nicht lange genug, um derart kontaminiert zu werden, daß sie zur Gebährenden wird.

Vielleicht aber, und das ist wahrscheinlicher, hat der Lapsus nichts mit der Logik der Vernunft oder der Vernunft der Logik zu tun, sondern mit der sprachlich-rechtschreiblichen Konvention.

Was also ist der Grund für das rechtschreibliche Gebaren? Kommt es daher, daß der Redakteur, gerade zurückgekehrt aus den tiefsten Tiefen des Grimmschen Wörterbuchs, vergessen hat, auf der Kellertreppe die weiland üblichen Längenzeichen abzustreifen? Solche Akkomodationsleistungen muß aber gerade ein Wörterbuchredakteur erbringen, will er sich nicht der Kritik aussetzen.

Mit den Mitteln der Vernunft war es noch nie nachzuvollziehen, weshalb es rechtens sein sollte, daß es rechtens ist, das Wort »rechtens« in der Wendung »es ist Rechtens« groß zu schreiben. Und so gibt es viele andere tradierte rechtschreibliche Konventionen, zu denen zurückzukehren nicht lohnend ist, weil sie mit den Mitteln der Logik ebensowenig zu erklären sind wie viele zu Recht angeprangerte Neuerungen legasthenieverdächtiger Kultusbürokraten.

Was wir brauchen, ist nicht eine von welchen Motiven auch immer gesteuerte starre Präskription der Rechtschreibung, wir brauchen eine behutsam empfehlende deskriptive Schreibweisenbetrachtung, die der Sprache und ihrer graphischen Repräsentanz den Spielraum gibt, den sie braucht, um sich an veränderte Gegebenheiten anzupassen, ohne in die Beliebigkeit der Moden der Spätmoderne abzugleiten.

Dies war früher, mit Einschränkungen, sogar die Haltung der Duden-Redaktion, zumindest stellte sie das so dar. Aber vielleicht war solche Toleranz auch nur einem Abbröckeln des Absolutistismus geschuldet, letztes Aufbäumen altherrscherlicher Attitüde im volksnahen Gewand.

Was wir ganz bestimmt nicht brauchen, ist ein »Das haben wir schon immer so gemacht«.

Deshalb ist eine in Trippelschritten zurückkehrende Vernunft ein falsches Bild, denn die Vernunft kann nur dorthin zurückkehren, wo sie einmal war und von bösen Vernunftgegnern vertrieben wurde.

Rechtschreibung ist aber keine Sache der Vernunft, sondern eine Sache der Konvention, der Tradition. Und die Vernunft wurde von jeher dazu mißbraucht, diese wie auch andere Konventionen mit dem Weihwasser der Logik zu beträufeln. Darin unterscheiden sich die Priester des Althergebrachten nicht von denen der Reformation.

Anmerkung 1: In diesem Beitrag war mir der Finger um drei Zentimeter auf der Tastatur verrutscht, so daß es »lagasthenieverdächtig« hieß statt »legasthenieverdächtig«, aber auch in mir schreibt keine Maschine, und ich benutze aus gutem Grund keines dieser merkwürdigen Programme, die sich »Rechtschreibprüfung« oder »Korrekturprogramm« nennen. Ich bitte, das zu entschuldigen. Dankenswerterweise hat mich jemand darauf hingewiesen, dem nicht nur häufig der Finger verrutscht, sondern viel öfter die ganze Hand, aber nicht nur versehentlich, sondern ganz oft aus Prinzip.

Anmerkung 2: Es hat sich herausgestellt, daß der Herr Ickler den oben beschriebenen Lapsus nicht aus dem Grimmschen Keller mit hochgeschleppt hat, sondern im WAHRIG vorgefunden. Macht das die Sache jetzt besser oder schlimmer?
Anmerkung 3: Wer es bisher nicht gemerkt haben sollte, dem sei ausdrücklich gesagt: Ich halte die Rechtschreibreform für unsinnig, aber eben auch die Versuche, die Notwendigkeit der traditionellen Rechtschreibung bis ins Detail und Absurde logisch zu begründen. Sie mag zwar viel weniger unlogisch sein als die reformierte, aber logisch nachvollziehbar ist auch sie nicht immer.

2007