Eine gesunde Jugend in einem gesunden Land

Solange nicht geflucht wird und keine ungewöhnlichen Dekolletés Jugendliche gefährden, geht in den USA ziemlich viel. Wenn in Computerspielen das Blut ein wenig spritzt und Leute schon mal in ihre eigenen Därme eingewickelt werden, so ist das halb so wild und soll den Jugendschutz nicht interessieren – hingegen selbst sanfte Pornographie und unflätige Ausdrücke, das ist natürlich nichts für Jugendliche, und selbstverständlich sollten anständige Erwachsene solche abseitigen Geschmacklosigkeiten meiden und, wenn sie schon keine Heiligenbildchen sammeln, sich lieber Knarren an die Wände hängen als Abbildungen von Schweinereien.

Gericht kippt Killerspielgesetz

Kinderpornographie

Wie bigott die Mediengesellschaft ist, kann man jetzt wieder an den Diskussionen um ein Plattencover von den Scorpions aus den siebziger Jahren erahnen, auf dem ein nacktes minderjähriges Mädchen hinter einer gesprungenen Glasscheibe zu sehen ist. Nicht besonders gelungen, das Cover, sicher, und bestimmt fragwürdig.

Nun, nach über 30 Jahren, haben eifrige Wächter es entdeckt und versuchen, daraus einen »Pornographieskandal« zu machen, wie es allenthalben nachgeplappert wird. Das ist nicht nur absurd, sondern führt in der Konsequenz dazu, daß einerseits demnächst Verrückte mit Leinentüchern in die Museen laufen, um alles abzudecken, was sie für pornographische Darstellungen halten, während andererseits die Verfolgung tatsächlicher Straftäter erschwert wird, weil mancher geneigt ist, die Problematik als hochgebauscht zu betrachten. Ist es nicht so, daß die Feuerwehr nicht mehr so gern kommt und länger nachfragt, wenn sie allzu oft zum Einsatz gerufen wurde, nur weil jemand an einer Straßenecke ein Blatt Papier angezündet hat?

Wer alles, was er in die Finger bekommen kann, in einen Begriff hineinstopft (in diesem Fall Pornographie), nimmt ihm seine Schärfe und relativiert ihn damit. Das ist das eigentlich Problematische an diesem Vorgang, denn nichts lenkt so sicher von tatsächlichen Pornographieskandalen ab wie künstlich generierte Scheinskandale.

Daß inzwischen so ziemlich jeder, der die Scorpions-Platte bisher ebensowenig kannte wie das Cover, die Abbildung gesehen hat, ist ein weiterer merk- und denkwürdiger Nebeneffekt: Etwas soll möglicherweise indiziert werden, aber vorher wird es allen breit unter die Nase gerieben. 

Ich muß doch mal schauen, ob ich noch ein Strandfoto von mir aus Kinderzeiten finde – als Umschlagabbildung oder Frontispiz für meinen nächsten Gedichtband.

WELTonline

Zur Pornographie

Bei näherer Betrachtung steckt hinter der Ablehnung jeglicher Pornographie nichts anderes als Furcht vor dem Leben. Und je größer diese Furcht, um so stärker die Ablehnung. Sie ist der altbekannte Reflex der apollinischen Scheinwelt gegen die dionysische Urgewalt, die von innen an unsere Pforten klopft und Einlaß begehrt.