»Schwarze Milch der Frühe«

Die angeblich paradoxe »schwarze Milch der Frühe« in Celans »Todesfuge«, über die so viel gestritten wurde in der Literaturwissenschaft, verliert sehr leicht einen Großteil ihres oxymorotischen Charakters, wenn man bedenkt, daß Hippokrates empfahl, bei schweren Krankheiten die Milch schwarzer Kühe zu trinken.

Paradoxien

Paradoxien haben vor allem die Eigenschaft, Paradoxien zu sein, und wenn sie Gehirne vernebeln, dann deshalb, weil im Nebel nun mal die Wahrnehmung des Nebels als Nebel keine falsche Wahrnehmung ist, sondern Voraussetzung für gesunden Realitätssinn.

Wer auch nur den Hauch einer Idee von Nebellosigkeit hat, der muß, um sie zu verwirklichen, erst mal begreifen, daß er im Nebel steckt.

Logische Merkwürdigkeit

Der Unterschied zwischen den beiden sprachlich und logisch scheinbar kongruenten Aussagen »alles ist möglich« und »nichts ist unmöglich« ist der Ausschluß des Nichts in der zweiten Aussage, während in der ersten die Möglichkeit des Nichts – alles ist möglich, also auch das Nichts – enthalten ist.

Ist das nicht merkwürdig? Wenn alles möglich ist, dann auch das Nichts, wenn aber nichts unmöglich ist, kann alles sein, nur nicht nichts oder das Nichts. Wie das?

Woher kommt dieser Unterschied? Gibt es eine Möglichkeit, diese Möglichkeitsantinomie befriedigend aufzulösen?

Wahrscheinlich, möglicherweise (um mit dem Wort zu spielen) hat sich irgendein Aussagenlogiker oder ein Parmenides-Rezipient wie Heidegger bereits mit dieser Frage beschäftigt und sie möglicherweise (schon wieder das Wort) beantwortet, aber das weiß ich nicht, und deshalb stelle ich mich nicht dumm, wenn ich hier selbst versuche, sie zu beantworten: Ich bin dumm. Das ist eine hervorragende Basis für einen denkenden Menschen. Und obwohl ich nicht glaube, daß der Widerspruch dieser beiden Aussagen beseitigt werden kann, so hoffe ich doch, daß irgendein Licht in das Dunkel meiner Unwissenheit fällt, wenn ich denke.

Also: alles ist möglich versus nichts ist unmöglich.

Das unscheinbare »ist« brauchen wir im Augenblick nicht, obwohl ihm bei genauerer Betrachtung eine ungeheure Dynamik innewohnt, aber da es auf beiden Seiten der Gleichung vorhanden ist, können wir kürzen.

Also: alles möglich versus nichts unmöglich.

Parallele Struktur von Antonymen: alles – nichts, möglich – unmöglich. Ein bißchen Dreherei: alles möglich, nichts unmöglich – alles unmöglich, nichts möglich. Keine Kerbe zu finden, wo man Ockhams Rasiermesser ansetzen könnte.

Es bleibt dabei: Wenn alles möglich ist, ist das Nichts nicht ausgeschlossen, und wenn nichts unmöglich ist, ist alles möglich, außer das Nichts.

Gehen wir hier vielleicht unseren Sprachgewohnheiten auf den Leim? Immerhin gibt es einen kleinen Unterschied, aber der ist zumindest auf den ersten Blick lediglich begründet in der Konventionalität der Grammatik bzw. der Orthographie: nichts und das Nichts. Auf der einen Seite das Indefinitpronomen »nichts« und auf der anderen das Nomen »Nichts«, im Englischen »nothing« und »nothingness«.

Ganz offensichtlich hat die zweite Aussage eine doppelte Bedeutung, und es scheint so, als ob der Unterschied in der Orthographie: alles, nichts/Nichts in etwas anderem begründet ist als in Schreibgewohnheiten. Warum wird »alles« immer klein geschrieben? Warum nicht »das Alles« und »das Nichts« (von der reformierten Rechtschreibung, in der es »mein Ein und Alles« gibt, mal abgesehen). Wird »alles« vielleicht klein geschrieben, weil es bereits ein Nomen gibt, das seinen Platz einnimmt, das All? Aber was macht das schon? Ist das All nicht alles? Ist nicht beides, mal abgesehen vom Sprachgebrauch, gleich umfassend?

Alles möglich, Nichts/nichts unmöglich. Das bringt uns nicht weiter.

Rein intuitiv erscheint mir die zweite Aussage aber sinnvoller als die erste, doch warum? Alles ist möglich heißt: Alles kann sein, auch nichts oder das Nichts, aber wie sollte das Nichts oder nichts sein? Wenn es wäre, dann wäre es etwas und nicht nichts, und damit wäre es ein Teil des Seins, was ja nicht geht. Also Humbug.

Wenn aber nichts unmöglich ist, dann ist alles möglich außer nichts. Natürlich kann nichts nicht sein, denn das macht nichts ja gerade aus, daß es nicht ist. Aber wenn es nicht ist, dann ist es nicht. Daraus folgt, daß über das nichts/Nichts nichts gesagt werden kann. Es existiert nicht, das Nichts, oder nur sprachlich-logisch.

Wir sprechen also über etwas, dem keinerlei Seinsqualität zukommt, als komme ihm eine zu. Kann es sein, daß hier deutlich wird, daß Logik an unüberschreitbare Grenzen stößt? Was ist hier überfordert, unser Denken oder unsere Sprache?

Ich vermag den Widerspruch zwischen den beiden Aussagen logisch nicht aufzulösen. Wo genau liegt der Unterschied der formal gleichen Aussagen, und warum leuchtet die zweite ein, die erste aber nicht? Kann mir jemand helfen, diese Frage zu beantworten?

Alle Kreter lügen

Eine wunderbare Basis – und vielleicht die fruchtbarste – für ein Gespräch ist die gemeinsame Hypothese, daß es so etwas wie objektive Wahrheit nicht gibt, nicht zuletzt untermauert von Nietzsches mehr oder weniger überzeugendem Relativismus und allerlei physikalischen Forschungsergebnissen, daß aber auch das eben nur Hypothese, nur Meinung ist und nicht objektive Wahrheit. Wenn jemand behauptet, es sei objektive Wahrheit, daß es objektive Wahrheit nicht gebe, ist das zumindest theoretisch genauso abenteuerlich wie die Feststellung, es könne eine objektive Wahrheit jenseits der subjektiven geben. Warum fällt mir da jetzt wohl der Kreter ein, der sagt: Alle Kreter lügen?