Schielbirne

Lustig, diese immer gleichen Verirrungen der Jugendmode. Während wir früher im Winter in farbigen Nyltest-Hemden froren, rennen heute viele winters wie sommers in Beanies rum. Wer es nicht kennt, Beanies sind kastrierte Pudelmützen, die oft tief, fast bis zur Nasenwurzel, heruntergezogen werden. Sehr gut geeignet als Übungsgerät für solche, die das Schielen lernen wollen. Wichtig: Auch die Ohren sollten bedeckt sein – besonders im Sommer bei Temperaturen über dreißig Grad und im Winter in überheizten Räumen.

»Resilienzfähigkeit«

In der Sendung Philosophie spezial bei WDR 5 ging es um das Thema Utopie. Genauer um die Einhaltung von Regeln und deren Auslegung. Stefan Selke, Soziologe, erzählte von seinem Aufenthalt in einem benediktinischen Kloster und daß es ihn gewundert habe, wie großzügig, »elastisch« man mit den dort geltenden Regeln umgegangen sei. Die Strenge habe sich in Grenzen gehalten. Darauf meinte der Moderator Jürgen Wiebicke sehr treffend, es gehe ums Verzeihen.

Der Begriff sagte Stefan Selke offensichtlich nicht zu, denn er meinte, heute würde man das vielleicht besser »Resilienzfähigkeit« nennen. Darauf folgte ein längerer emphatischer Monolog, den ich nur noch akustisch wahrgenommen habe, weil ich mich über den Begriff »Resilienzfähigkeit« nachzudenken gezwungen sah. Kurz darauf war die Sendung zu Ende.

Nun ist es so, daß in jedem zweiten Statement, das in die Welt posaunt wird, seit etwa zwei, drei Jahren dieses Intellektualität vortäuschen sollende und aus dem Psychologenjargon stammende Modewort »Resilienz« an prominenter, häufig auch unpassender Stelle in den Raum geworfen wird. Als reiche es nicht aus, von Widerstandsfähigkeit oder Widerständigkeit zu sprechen, wenn es darum geht, die Zumutungen des Lebens und anderer Menschen und Systeme an sich abprallen (lat. resilīre) zu lassen.

Es mag normal und verzeihlich (!) sein, wenn Soziologen oder Psychologen von Resilienz sprechen, aber mittlerweile ist der Gebrauch des Wortes so inflationär bis in die unterste Ebene der Kommunalpolitik vorgedrungen, daß Menschen wie Herr Selke aus Distinktionsgründen nun zu unbedachten Begriffserweiterungen wie oben gezwungen zu sein scheinen. Dabei hat er leider nicht bedacht, daß dem Begriff »Resilienz« (psychische Widerstandsfähigkeit) der Begriff »Fähigkeit« inhärent ist, es also nicht möglich ist, der Resilienz einen neuen Untermieter zu verschaffen, denn die Fähigkeit ist bereits Hauptmieter im Haus der Resilienz.

Erschwerend kommt hinzu, das verzeihen etwas gänzlich anderes ist als standhalten. Verzeihen hat etwas mit Toleranz zu tun, mit dem nachträglichen Akzeptieren von etwas, das uns nicht gefallen hat. Resilienz dagegen ist reine Abwehr von und Standhalten gegenüber Nichtverträglichem. Toleranz ist dabei nicht vonnöten.

WDR 5

Mit Kot werfen

Die Praxis der Cancel Culture wurde von Affen erfunden, die es leid waren, daß die Menschen ihnen ständig ihre Bananen wegfressen, obgleich das Verzehren von Bananen eindeutig Affensache ist und das Verhalten der Menschen eine ungebührliche kulturelle Aneignung. Da darf man als Affe auch mal seinem Unmut Luft machen und mit Kot werfen.

Was ist ein Trend? Indische Küche

Einer von »Berlins wichtigsten Feinschmeckerjournalisten« (so eat.Berlin), Kai Röger, hat sich vor ein paar Jahren über die indische Küche in Berlin geäußert, was ich erst jetzt mitbekommen habe, da ich einen aktuelleren, aber auch nicht wesentlich kenntnisreicheren Artikel im Berliner »Tagesspiegel« zu Gesicht bekam. Darüber in einem späteren Beitrag.

Nun zu »Inder statt ›Inder‹!«
Die Arroganz beginnt bereits mit den Anführungszeichen in der Überschrift. Was in Berlin als indische Küche geboten wird, das ist nur sogenannte, folgt man Kai Röger, also nichts Richtiges. Warum? »Hauptspeisen für 5,90 Euro – in Berlin ist die südasiatische Küche eine failed cuisine.« Das kann ja nichts sein. »Dabei hätte sie das Zeug zum nächsten großen Trend.« Es folgt also folgerichtig eine »scharfe Rüge schlechter Essgewohnheiten«. Ob es gut schmeckt oder nicht: Es ist von Übel, preiswert zu essen, das Essen sei trendig und teuer. Alles andere ist schlechte Gewohnheit.

Arroganz Teil zwei: »Wann waren Sie das letzte Mal richtig indisch essen? Mein letztes wirklich gutes Alu Gobhi hatte ich in Brighton … Das hatte seinen Preis. In Berlin hätte sich dafür eine Kleinfamilie in einem durchschnittlichen indischen Restaurant satt essen können.« Sattessen? Also wirklich. Als Weltbürger ist man natürlich Single oder Besserverdiener oder besserverdienender Single mit maximal einem Kind und hält sich an die derzeit gültigen Vorgaben von Instagram zur Begrenzung der Leibesfülle, und wenn mal mal gut indisch essen gehen möchte, muß man nach Großbritannien fliegen oder schwimmen. Nein, nicht nach Indien, da sind die Tischdecken, so es welche gibt, sicher zu schmutzig. Und es ist auch zu weit, und die Luft dort ist zu schlecht.

Mein letztes indisches Essen im Ausland ist schon eine Weile her: in Paris. Es war gar nicht mal so schlecht, fast so gut wie in der Bergmannstraße oder der Zossener Straße in Berlin. Nur viermal so teuer.

Nebenbei: Beim Inder in Brighton, genaugenommen ein Pakistaner, wurde, so erzählt Röger unter anderem, sogar »Bocksklee« in einem Mörser gemahlen. Also Handarbeit und deshalb sicher die Rechnung so »expensive«. Ich selbst, der ich öfter auch indische Gerichte zubereite, zermahle keinen Bocksklee, sondern befülle den Mörser mit ein wenig Bockshornkleesamen, die natürlich vorher kurz angeröstet wurden.

Immerhin: Die indische Küche könnte, so Röger, »die nächste Trendküche sein«. Aber: »Jede Länderküche hat es schwer am Anfang, da ist die indische Küche kein Einzelfall.« Am Anfang.

Ja, am Anfang lernte ich die indische Küche in Berlin kennen, etwa vierzig Jahre vor dem »Anfang«, den Kai Röger beschreibt. Und zwar durch Bernd S., einen Fernreisenden mit Vorliebe für asiatische Länder. Bernd S., übrigens wie Kai Röger heute damals ein Mitarbeiter beim Tagesspiegel, und ich lernten uns im SOUND kennen, wo wir nach Redaktionsschluß gern mit guter Musik den Arbeitstag ausklingen ließen. Auch David Bowie ließ sich dort hin und wieder mal blicken. Also: verdammt lang her.

Als Rucksacktourist, den man inzwischen Backpacker nennen zu müssen meint, kannte sich mein Freund Bernd aus mit richtigem indischem Essen, und er lud mich ein in ein Restaurant in der Feurigstraße in der Nähe seiner Wohnung. Heute heißt es Tadka, damals, als der heutige Besitzer noch als kleiner Junge dort herumstromerte, hieß es anders, aber an den früheren Namen kann ich mich nicht mehr erinnern. An das Essen jedoch sehr wohl. Viel schärfer als das, was ich von der italienischen Küche kannte, aber man hatte nicht das Gefühl, beim Kauen ein brenendes Feuerzeug im Mund hin und her zu schieben, also ein wirklicher Genuß. Ganz ähnlich dem Essen, das mein Freund Bernd in Indien kennengelernt hatte. Wenn auch nicht ganz so scharf, wie er lächelnd sagte.

Von da an habe ich dort unzählige Male das Essen genossen, und später kamen noch zwei weitere Restaurants dazu: ebenfalls in Schöneberg, beide in der Fuggerstraße, bevorzugt das Maharadscha, das es noch heute gibt, und das Maharani direkt gegenüber, das inzwischen geschlossen ist.

Wenn ich richtig informiert bin, hieß es bei Kai Röger, der heute den Edel-Inder herbeisehnt, zu der Zeit, als ich die indische Küche für mich entdeckte, noch »Ein Löffel für Mama, ein Löffel für Papa«, und die Kompetenz des Mannes mit dem verwöhnten Gaumen beschränkte sich damals noch auf die Unterscheidung zwischen Alete und Hipp. Schwer am Anfang.

So viel zum Thema »Jede Länderküche hat es schwer am Anfang«. Inzwischen gibt es in Berlin über hundert Orte, die man ansteuern kann, wenn man indisch essen gehen möchte. Natürlich unterschiedlicher Qualität, und hier und da wackelt der Stuhl oder der Tisch ein wenig, aber für den »Anfang« sollte es reichen.

Ich selbst muß seit einigen Jahren leider fünfzig Kilometer hin und fünfzig zurück fahren, wenn ich richtig gut indisch essen möchte. Nach Paderborn in die Riemannstraße. Früher in Kreuzberg brauchte ich nur die Treppe hinuntergehn. Aber nicht zuletzt auch dank YouTube koche ich wie erwähnt meistens selbst indisch, was inzwischen recht gut gelingt. Mit Ghee und Paneer aus eigener Herstellung.

Manchmal, wenn ich mir wie heute keine Zeit zum Kochen nehme, gibt es statt dessen Lasagne von meinem Freund Antonio.

Auch lecker.

Tabuto, der Elefant

Da sich neuerdings in beinahe jedem Raum eine Elefant befindet, brauchen wir uns im Gegensatz zu vielen anderen Tierarten um den Bestand dieser Art keine Sorgen zu machen. Es sei denn, es gibt irgendwann einen gravierenden Paradigmenwechsel in den narrativen Räumen in Metaphernland, also eine gravierende Neubewertung des Blabla-Storytellings.