Plastizität in der Lyrik

Für Nietzsche, auf den der Beuyssche Kunstbegriff wesentlich zurückgeht, ist die »plastische Kraft« der Grundtrieb der Natur, und wenn wir das bejahen, dann können wir sicher sein, daß diese Kraft zwar zeitweise durch Banalitäten und den Wunsch nach Bequemlichkeit und Ruhe überlagert werden kann, sich jedoch stets wieder aufs neue zu Wort melden und zu machtvollen, verstörenden skulpturischen Strukturen ganz neuer Art gerinnen wird. Das Leben ist nicht so leicht totzukriegen.

Für die formbewußte Lyrik bedeutet das, Gebilde wachsen zu lassen, in denen sich diese Plastizität deutlich manifestiert, ohne daß das Blut durch ein Übermaß an Gerinnungsfaktoren in seinen Wallungen beeinträchtigt wird. In diesem Sinne ist das Skulpturische in der Lyrik gleichermaßen hart und weich. Es gilt, lebendige Steine zu schaffen.

»Schwarze Milch der Frühe«

Die angeblich paradoxe »schwarze Milch der Frühe« in Celans »Todesfuge«, über die so viel gestritten wurde in der Literaturwissenschaft, verliert sehr leicht einen Großteil ihres oxymorotischen Charakters, wenn man bedenkt, daß Hippokrates empfahl, bei schweren Krankheiten die Milch schwarzer Kühe zu trinken.

Anregung

»Die Krise der Lyrik hängt auch damit zusammen, daß man sie nicht verfilmen kann«, sagt Peter Rühmkorf. Das klingt erst mal plausibel, aber bei genauerer Betrachtung umschwirren immer mehr Fragezeichen den kriselnden Lyrikkopf.

Abgesehen davon, daß Lyrik schon immer in der Krise ist, weil sie, wenn sie gut ist, existentielle Krisen dokumentiert (wer will das schon so genau ungenau wissen) und mit ihren Mitteln zwar nicht löst, aber doch mildert, ist es nicht in Wahrheit so, daß die Leser in einer Krise sind, weil sie sich durch medial vermittelte, leicht zugängliche, leicht zu konsumierende Literaturfilmkost nicht nur aus Hollywood zu Fastfood-Bildessern entwickelt haben?

Wer sagt denn, daß man Lyrik nicht verfilmen kann? Kann man das wirklich nicht? Ich kann mir gut vorstellen, zwischen all den karibischen Trinkgenüssen und anderen lifestyleprägenden Bildzaubereien vor dem Hauptfilm im Kino ein visualisiertes Gedicht zu sehen, vielleicht gar als verstörendes oder einfühlsames Entree zum Spielfilm. Wie wäre es? Warum nicht mal was Neues im Kino?