Gipfelsturm

Als ich gestern morgen den emeritierten Professor Joachim Krause im Rundfunk ironiefrei und mit überlangem Hiatus gendericus von Abgeordnet *innen sprechen hörte, wußte ich: Der Zenit der Idiotie ist nah. Von ferne betrachtet, kommt mir das Ganze vor wie das Getümmel unterhalb des Mount-Everest-Gipfels.

E und U

Lächerlich, heute noch an dieser überkommenen bildungsbürgerlichen Unterscheidung zwischen dem Ernsten und der Unterhaltung festzuhalten, als gäbe es nicht ebenso belangloses, grausam langweiliges Schwerkulturelles wie auf der (angeblich) anderen Seite tiefsinnige unterhaltende Popkultur, also viele Sorten Käse. Die »vielbeschworenen Grenzen« zwischen E und U sind nichts weiter als Toleranzgrenzen in den Köpfen der Rezipienten; deshalb kann ein Künstler sie nicht ohne weiteres aufheben. Die sich objektiv gebende Kulturhierarchisierung geht in erster Linie auf Distinktionsbestrebungen der eingebildeten Kultureliten zurück und ist jenseits von Statusspielereien weitgehend bedeutungslos. Ob Hochkultur oder Pop, entweder es taugt etwas oder ist Schrott oder so lala, und jeder muß das ganz subjektiv in jedem Einzelfall entscheiden. Man sollte sich natürlich nicht ein E für ein U vormachen (lassen), aber auch kein U für ein E.

Kulturelle Aneignung

Nun hat meine Generation über viele Jahrzehnte, gemeinsam mit der anderer Völker und Kulturen, es endlich geschafft, aus der kulturellen Eintonmusik der deutschen Spießergesellschaft auszubrechen und Vieltönigkeit salonfähig zu machen, da kommen diese verirrten Deppen mit dem Aneignungsschwachsinn daher und propagieren wieder, Klara und Karl sollten im Kindergarten gefälligst mit ihrem eigenen Spielzeug spielen und die Finger von Akachetos und Anuks Spielsachen lassen. Demnächst wird dann Weißen das Spielen von Bottleneck-Gitarren verboten, und Schwarze sollen in Zukunft die Finger vom Clavichord lassen. Und ein jeder bleibe bei seiner Religion, die man ihm mit dem Rohrstock oder dem Erzeugen von schlechtem Gewissen eingebläut hat.

Manchmal wünsche ich mir, man solle sich mehr auf den Bau von Nervenheilanstalten konzentrieren als auf den von Universitäten.

Mehrlagige Gedanken

Wenn ich unsere Gesellschaft durch die geschichtsphilosophische Brille betrachte und nach Niedergangsindikatoren spähe, so frage ich mich, an Montesquieus Dekadenztheorie denkend, auf einer anderen Brille sitzend und im Nahbereich fündig werdend, ab wieviellagigem Toilettenpapier diese Zivilisation als untergangsgeweiht zu betrachten ist und ob unsere zivilisatorischen Errungenschaften hier und dort Ähnlichkeiten mit der spätrömischen Verfallskultur aufweisen.

Mit Kot werfen

Die Praxis der Cancel Culture wurde von Affen erfunden, die es leid waren, daß die Menschen ihnen ständig ihre Bananen wegfressen, obgleich das Verzehren von Bananen eindeutig Affensache ist und das Verhalten der Menschen eine ungebührliche kulturelle Aneignung. Da darf man als Affe auch mal seinem Unmut Luft machen und mit Kot werfen.

Jenseits der Tröstungen

Im Dasein eines jeden Menschen gibt es eine klare Linie, ob sie stimmig ist, darüber kann man nur schwer unterschiedlicher Auffassung sein, denn die Richtung ist klar: Jeder Mensch bewegt sich unweigerlich auf den individuellen Tod vor, die Auslöschung seines Ich-Bewußtseins. Das ist eine enorme Zumutung, aber für alle gleich. Einem jeden werden damit Belastungen auferlegt, die er durchzustehen hat, Verletzungen, Verstümmelungen allerorten. Für viele kaum zu tragen. Daß er sein Leben ohne erkennbaren Sinn abzuspulen hat, eine unbegreifliche Veranstaltung in einer Umgebung, die der Mensch nicht versteht, ist für ihn ebenso eine ungeheuerliche Kränkung wie das Bewußtsein seiner Nichtigkeit angesichts der nicht begreifbaren Dimensionen des Seienden und der Unerklärlichkeit des Seins. Von alldem abzulenken und die Verzweiflung fernzuhalten ist Aufgabe dessen, was wir Kultur oder auch Zivilisation nennen. Jenseits dieser Tröstungen gibt es nur den freien Fall ins Ungewisse.

Typische Typen

Daran, daß auch im Kulturbetrieb mit Stereotypen geworfen wird, habe ich mich inzwischen gewöhnt. Und wenn die Wortklingler bei ihrer stereotypen Klischeekritik auch das Substantiv »Stereotyp« inflationär einsetzen, dann ficht mich das längst nicht mehr an. Doch an die ständige Verwechslung von Flexion und einfacher Pluralbildung kann ich mich nur zähneknirschend gewöhnen. Liebe Kulturmenschen, der nichtflektierte Plural von Stereotyp lautet Stereotype – und nicht Stereotypen.

Hinter die Pentimenti schauen

Die Menschheit hat im Laufe vieler Jahrtausende ihre häßliche Realität bis zur Unkenntlichkeit zu übermalen versucht mit dem, was wir Kultur oder auch Zivilisation nennen, und mehr und mehr haben die Maler vergessen, was sie da tun, wenn sie den Pinsel in die Farbe tauchen und Schicht um Schicht auf die bereits vorhandenen Schichten auftragen. Vergessen haben die Kolorateure auch, daß unter all den Krakelüren, auf denen sie herumklecksen, und unter den diversen weißen Neugrundierungen allerlei Lasuren und die ursprüngliche Grundierung verborgen sind. Und unter der ersten Grundierung befindet sich eine Leinwand. Manchmal reicht es schon, das Bild mal umzudrehen und von hinten anzuschauen.

Über die Funktion des Schlipses


Seit Jahrzehnten schon denke ich darüber nach, welche Funktion dieser Strick hat, den sich viele Männer um den Hals hängen, ohne so recht zu wissen, warum. Heute morgen nun kam mir die Erleuchtung: Der Schlips hat die gleiche Funktion wie der Sicherungsbügel bei einer Waffe, etwa einem Gewehr oder einer Pistole. Das Ding um den Hals ist eine Hemdsicherung und soll verhindern, daß der Kragen zur Unzeit platzt.

Maulproleten und Zerebralprominenz

Eine auffällige Kulturverflachung unserer Zeit ist die Verschmelzung bisher von vielen als disparat betrachteter Bereiche: Während Maulproleten wie Bohlen auf der Buchmesse Pressekonferenzen abhalten, sorgen Vertreter der Zerebralprominenz wie Sloterdijk durch ihre Äußerungen in Interviews dafür, daß sich die Grenzen zwischen der sprachlichen Darstellung von Gedanken und belanglosem Großsprechgelaber immer mehr verwischen. Das Maulproletentum wird auf diese Weise zerebral geweihwässert.

ZEIT ONLINE

Kultur

Jemand schrieb:

Kultur ein typisch deutsches Wort. Eine (sic!) so lebendiges Miteinander, (sic!) mit so einem bürokratischen Wort zu benennen. Am besten noch Kulturen studieren. Der Höhepunkt einer sprachlichen Entgleisung.

(Genaugenommen sind eher diese unvollständigen Sätze in mehrerer Hinsicht neben der Spur.)

Mein ebenso dezenter wie begründeter Hinweis, daß das, was er schreibt, in jeder Hinsicht unzutreffend ist, wurde nicht freigeschaltet, weil wohl zu kritisch. Deshalb hier kurz meine Begründung, weshalb diese zwei Zeilen barer Unsinn sind und nicht wirklich zum Weiterlesen einladen.

Zum einen ist Kultur alles andere, nur kein typisch deutsches Wort, denn es ist abgeleitet von lateinisch cultura, wie das in den meisten europäischen Sprachen der Fall ist. Cultura, colturo, kultur, culture, kulttuuri und so weiter. Zugegeben, auf Hawaii, in Birma und in Tibet ist man weniger »bürokratisch« …

Was macht nun das deutsche Wort Kultur im Gegensatz zu den anderen Ableitungen, also zum Beispiel zum typisch? dänischen kultur, bürokratisch?, frage ich mich. Und die Antwort, man ahnt es, ist: nichts. Nichts, außer der Phantasie des Autors.

Wahrscheinlich hat er auch nicht Ethnologie studiert, was man früher Völkerkunde nannte, sonst käme er nicht auf die Idee, ein solches Studienfach wäre »der Höhepunkt einer sprachlichen Entgleisung«.

Aber man kann ja jeden Unfug unwidersprochen von sich geben, und der steht dann da, als wäre es keiner, wenn man Widerspruch nicht zuläßt.

Kulturen sprechen Sprachen

Der Fremde

Er ist verschlungen in den Strom der Zeiten
in Finsternis gehüllt im bunten Bilderbruch
und keine Zeichen, die ihn hingeleiten
ins Licht, in frische Luft, befreit vom Brandgeruch.

Und an den Rändern seiner Nachtgesichter
versinkt der Sinn, gerinnt zu bröckligem Gestein
in ihm die Worte seiner toten Dichter
Kultur, ein unverbindliches Beisammensein.

Im späten Licht verdichtet sich Geschichte:
Jahrtausend und Jahrzehnt: nur Abel – Kain
auf ihren Schultern ruhen blutige Gewichte
ererbter Wahn, beleuchtet, blind vom Feuerschein.

Ein Hexentanz im Staub der Folianten,
ein Lufthauch kaum im Kerker der verglühten Zeit
kein Testament der im Gewühl Verbrannten
nur Mummenschanz, die Larven der Vergangenheit.