Kein Märchen

Ein Mensch ist mit sich und seiner Umgebung nicht im reinen und entschließt sich, seine Gedanken im Internet zu veröffentlichen, sucht das Gespräch mit andern. Ein normaler Vorgang.

Nun hat dieser Mensch aber auch eine Neigung zum Provozieren und schreibt einen Beitrag zu einem Reizthema. Unter einer aggressiven Überschrift tut er in aggressiver Manier und großer Widersprüchlichkeit seine Meinung kund und erklärt, das sei nicht nur seine Meinung. Und er tut das auf provokative Art und Weise. Er wird sachlich darauf hingewiesen, daß sein Beitrag widersprüchlich ist und gekennzeichnet von Schwarzweißdenken, niemand verunglimpft ihn persönlich, niemand greift ihn persönlich an, sondern die hinter seinen Worten (und es ist ja nicht nur seine Meinung, wie er selbst erklärt hat) stehende Haltung wird kritisch betrachtet.

Seine Reaktion darauf ist gekennzeichnet von vollkommener Uneinsichtigkeit. Er nimmt die Reaktionen als Angriffe wahr und holt die Keule raus. In der Folge werden die Kritiker beschimpft, persönlich angegriffen, es wird ihnen etwas unterstellt, unsinnige Behauptungen werden aufgestellt. Wer anderer Meinung ist, wird verunglimpft, beleidigt, unter Verdacht gestellt. Andere werden als Extremisten, arrogante Intelligenzler, Leute von einer »Sorte«, gar als »aufgeblasener Frosch« bezeichnet. Und man scheut sich nicht, Gesinnungsverwandte dazu aufzufordern, einen Kritiker, dessen Kritik zu keiner Zeit ein persönlicher Angriff war, »niederzubetonieren«. (»Tu mir den Gefallen und betonier den aufgeblasenen Frosch mit einm guten Argument nieder – aber ich fürchte, der steht wieder auf.«)

Man weist auf angebliche »Eigentore« und »Widersprüche« anderer hin, ohne auch nur ein einziges Beispiel dafür anzuführen, es wird einfach blind und lustvoll auf andere eingeschlagen. Bei alldem wird dieser aggressive Mensch nicht müde, auf seine große Toleranz und Menschenliebe hinzuweisen, und vergießt bittere Tränen darüber, daß er mißverstanden worden sei. Was ihn nicht daran hindert, bei nächster Gelegenheit den nächsten Kritiker auf die übliche Weise mundtot machen zu wollen.

Und dann stellt er sich hin und erklärt, Haß sei »kein wirklich guter Nährboden für Frieden«. Abgesehen davon, daß Haß NIE Nährboden für irgend etwas Positives ist und schon gar nicht für Frieden und immer ein Zeichen von emotionaler Unreife: Ausgerechnet der, der solche Gefühle hat und versucht, sie bei andern zu erzeugen, sagt so etwas. Das ist der Gipfel der Impertinenz.

Aber vielleicht ist es ja nur ein Versuch der Selbstsuggestion und ein Selbstgespräch. Vielleicht die erste zarte Blüte der Einsicht. Der Friede fängt immer bei einem selbst an. Wenn ich mit mir selbst nicht in Frieden leben kann und deshalb andere beleidigen, provozieren, angreifen muß, dann ist wenig Hoffnung auf Frieden. Ohne akzeptable Gesprächskultur kein Gespräch.

 

Manchmal

Wenn die Narben
erglühen
möchte ich schreien
möchte hassen
wenn deine Achseln
lose Worte
zucken
die Chiffren
der sprachlosen
Verwirrung
im Gewirr
deiner ungefühlten
Gedanken.

Eine Wurzel
die die Erde sucht
als stecke sie
nicht darin.

Und die
vor ihr flieht.

Ich möchte schreien
möchte hassen
doch die
Stimme bricht.

In reiner Liebe
wächst kein Haß