Beten

Was ist das für ein Gott, der Wert darauf legt, daß wir uns vor ihm in den Schmutz werfen oder vor ihm knien, uns noch kleiner machen, als wir ohnehin sind, wenn wir mit ihm sprechen? Ehrfurcht, Demut, Unterwerfung, warum tun wir das? 

Wenn wir einen Freund um etwas bitten, fallen wir üblicherweise nicht auf die Knie, und auch bei einem verschmähten Liebenden hat eine solche Geste nicht nur wenig Aussicht auf Erfolg, sondern ist vielmehr Quelle allgemeiner Erheiterung oder schmunzelnden Mitleids.

Die Liturgien in den theistischen Religionen sind voller Unterwerfungsgesten, wobei die widerständigen Kirchenbänke (und die Beichtstühle des katholischen Christentums) schon so manches Kniegelenk auf eine harte Probe gestellt haben. In dieser Hinsicht ist der Islam mit seiner Teppichkultur wesentlich knochenfreundlicher.

Immerhin, im privaten Bereich darf der Christ auch im Schaukelstuhl mit seinem Gott sprechen, wenn er etwas auf dem Herzen hat – und sei es, daß seine Mannschaft nun doch endlich mit Gottes Beistand wieder mal ein Spiel gewinnen möge. 

Wie auch immer, man stelle sich einen Gott vor, der mit alldem konfrontiert ist: Angesichts solcher menschlichen Kindereien ist es ist vielleicht ein heiterer Gott, der sich göttlich amüsiert, obgleich er Mitleid mit diesen devotionsbedürftigen Würmchen hat, die da unten herumkriechen.

Möglich ist jedoch auch, daß er sehr, sehr zornig ist, weil die Menschen glauben, er wäre genauso blöd wie die Blödesten von ihnen, nämlich die, die Wert darauf legen, daß man sich vor ihnen verbeugt oder ihre Schuhe oder Ringe küßt.

Es gab mal einen Bischof, ich weiß nicht mehr, wie er hieß (wahrscheinlich war es nur ein anekdotischer Witzbischof), der sagte, als Gläubige den Mund zum Kuß spitzten und verwundert auf seine ringlose Hand starrten: Ja, der Bischof bin ich schon, aber der Ring liegt dahinten neben der Blumenvase, ach nein, er ist noch beim Pfandleiher – ich hatte ihn meiner Haushälterin geliehen. Nahezu göttlicher Humor.

Gotteslästerung

Eingesperrt im Tabernakel
paßt er gut auf die Kirche auf
und die Priester auf ihn
und damit er nicht fortläuft
was man ja verstehen könnte
schließt man ihn ein
bei Bedarf hervorgeholt
mit großem Oh-oh
von den
Enkelkindern Freuds
als wäre
Gott eine Garnrolle

Identitätsprobleme

Das Paradoxe am menschlichen Leben ist, daß der Mensch etwas werden soll, was er schon ist. Und deshalb natürlich nicht werden kann. Gott (oder wie immer wir das Nous nennen wollen) fragte sich: Wer bin ich? Und ließ sich Menschen wachsen. Wir sind die Inkarnationen der Identitätsprobleme Gottes.

Und wenn wir danach streben, daß das Größere uns inkorporiere, dann ist das ein Mißverständnis, denn wir sind bereits inkorporiert. Aber wir fühlen uns ausgestoßen: so ähnlich wie ein Aufklärungstrupp im Niemandsland.

Weltanschauung

Emanzipiertes Denken ist agnostizistisch offen, so wie die elementaren Bilder theistisch vieldeutig sind. Atheismus aber ist etwas anmaßend Reduziertes, eine Folge von Blindheit und Denkfaulheit.

Theismus als Weltanschauung ist nur als spielerisch-harmlose Hypothese erträglich, als mehr oder weniger dogmatisch vertretene Weltanschauung jedoch eines denkenden Menschen ebenso unwürdig wie ernsthaft vertretener Atheismus.

Beide Lehren haben denselben Kern: die Überschätzung des menschlichen Erkenntnisvermögens.

Verhandlung

Das Falsche ist richtig, wenn das Richtige falsch ist. Aber nur dann. Die einzige Instanz, die beides auseinanderhalten kann, ist dein Urteilsvermögen. Aber wenn dein Urteilsvermögen auf falschen Prämissen beruht, dann ist das Falsche nicht richtig und das Richtige nicht falsch. Das solltest du bedenken, bevor du ein endgültiges Urteil fällst. Vor allem dann, wenn es so ist, daß eine Revision nicht zugelassen wird. Von der höheren Instanz. Und es gibt immer eine höhere Instanz – und sei es in deinem eigenen Bewußtsein, vor dir selbst verborgen. Sei es Gott oder das Schicksal. Aber das ist ja so ziemlich dasselbe. Also sei ein wenig vorsichtiger bei den internen Gerichtsverhandlungen. Aber wem sage ich das. Selbst Gott ist unvorsichtig. Oder sich seines eigenen Bewußtseins nicht bewußt. Und wenn er sich seines Bewußtseins bewußt wäre? Dann brauchte er uns nicht.