Selbstinszeniertes Unglück

Wer nicht mitbekommt, wie wenig ein Mensch braucht, um glücklich zu sein, der ist auf dem besten Weg ins Unglück, wenn er nicht bereits mittendrin steckt. Schwere persönliche Schicksalsschläge werden in derartigen Fällen selbst für extremstes Mißbehagen nicht benötigt, nicht mal leichte. Es reicht eine kleine, nicht als solche empfundene Wahrnehmungsstörung oder eine Gefühlsschwankung vor einem soliden Hintergrund unrealistischer Erwartungen. Wenn dann noch die ebenso tiefe wie falsche Überzeugung hinzukommt, jemand schulde uns was, komme seinen Verpflichtungen jedoch nicht nach, ist das Unglück perfekt. 

Streben nach Glück

Nicht so sehr sich verändernde Lebensverhältnisse sind verantwortlich dafür, daß auch glückliche Menschen ihr Glück allzu leicht schwinden sehen. Unglücklich werden glückliche Menschen vor allem dann, wenn sie zu sehr danach streben, ihr Glück nicht nur festzuhalten, sondern noch glücklicher zu werden.

Freitagskinder

Es gibt Menschen, die schaffen es mit traumwandlerischer Sicherheit, beim Griff in einen Korb mit Weintrauben die einzige faule zu erwischen, wenn sie nicht das Glück haben, eine verkümmerte unreife Frucht zu ergattern.

Das sind dieselben Menschen, die nicht mehr in indische Restaurants gehen, obwohl sie die indische Küche theoretisch sehr schätzen wegen deren Gewürzvielfalt. Wenn man nur nicht jedesmal beim ersten Bissen an eine Kardamomkapsel geriete …

Wunderbar, die Kirschtorte, so locker und nicht ein Kern, sagen alle unisono bei der Geburtstagsfeier, nachdem jeder mehrere Stücke davon verdrückt hat, während unser Freitagskind verschämt immer neue Muster mit seinen Kirschkernen gestaltet, obwohl es nur ein einziges Stück von der Torte gegessen hat.

Wer solche Erfahrungen macht, der lächelt wissend, wenn er hört, wie jemand Fischfilet bestellt, weiß er doch, daß es so etwas wie Fischfilet nur theoretisch gibt, aber nicht in der Praxis.

Das klingt nun alles nach Verlierer und Pechvogel. Aber so ist es nun auch wieder nicht, denn unser Freitagsmensch gewinnt jede Woche bei einer Veranstaltung, bei der die große Masse der Sonntagskinder Woche für Woche verliert: beim Lotto.

Vorausgesetzt, daß er nicht spielt.

Das Glück der Alltäglichkeit

Wenn ich morgens vor den Spiegel trete, schaut mich das ganze Elend dieser Welt an. Dabei habe ich mich mit der obersten Schicht im Laufe der Jahre recht ordentlich angefreundet. Und auch die Veränderungen der Oberfläche nehme ich so gelassen wie möglich hin, und manchmal begrüße ich sie sogar, für was auch immer sie Indikatoren sind.

Zum Glück scheint es nicht die einzige Bestimmung des Menschen zu sein, vor dem Spiegel zu stehn, jedenfalls habe ich das für mich so bestimmt, als wüßte ich etwas anderes über die Bestimmung des Menschen als das, was ich an teleologischem Geschwätz in Büchern von Philosophen und und Religionsverkäufern kennengelernt habe.

Deshalb wende ich mich ohne Eile, aber doch zielstrebig vom Elend der Welt ab, um mich ins glückliche Elend der Alltäglichkeit zu stürzen und mein zufriedenes Leben zu leben.

Über den kontrastiven Charakter des Glücksempfindens

Wären die Menschen in der Lage, die Abwesenheit von Unglück als Glück zu empfinden, dann gäbe es, zumindest in unseren Breiten, viel mehr glückliche Menschen. Doch Glückserleben hat, konstitutionell bedingt, kontrastiven Charakter, ist erlebnis- und nicht zustandsbezogen.

Da jede »Fortdauer der ersehnten Situation« beim Menschen nur »laues Behagen« erzeugt, wie Freud das nennt, machen wir uns schnell auf die Suche nach der besseren Situation, die wir als glückversprechend imaginieren, und dabei generieren wir den größten Teil unseres gegenwärtigen (wir sind ja noch nicht am Ort unserer Träume) und zukünftigen Unglücks (wieder nur »laues Behagen« oder gar intensives Erleben der Kehrseite).

Ein Glücksmodell für Masochisten.

Zahnschmerzen

Daß es pures, goldenes Glück ist, keine Zahnschmerzen zu haben, merken wir nur in dem Augenblick, da sie gerade nachlassen. Dann vergessen wir das blitzschnell wieder und denken, Glück wäre, etwas zu haben.

Glücksvorstellungen

Kein noch so ungünstiger Umstand kann einen Menschen unglücklicher machen als seine Glücksvorstellungen. Was die Menschen quält und unglücklich macht, sind nicht die Umstände selbst, sondern es ist das, was sie darüber denken. Und vor allem das »Wie schön wäre es, wenn …« ist eine beständig sprudelnde Quelle des Unglücks.

Wahrnehmung

Glücklich ist, wer wahrnimmt, daß er glücklich ist. Man könnte meinen, viele Menschen wären glücklicher, wenn sie nur etwas bewußter durchs Leben gingen und sich nicht so sehr von dem medialen Tinnef ablenken ließen, der sie tagtäglich überflutet.

Aber leider würden auch viele ihr Unglück wahrnehmen, wenn ihr Bewußtsein nicht so getrübt wäre. In der Summe bleibt das vermutlich mindestens gleich.

Unglücklich ist, wer wahrnimmt, daß er unglücklich ist.

Über das Glück

Je weiter wir uns von unserem Unglück entfernen, um so weniger wird uns unser Glück bewußt, und am Ende wird unser Glück, wenn wir nicht achtgeben, zur Quelle der Unzufriedenheit, die dafür sorgt, daß wir ins Unglück zurückfallen. Wahres Glück ist immer ganz in der Nähe des Unglücks.

Über das schwere Los der Menschen

Nur wenige Wege gibt es, die ins Glück führen, und fast alle sind sie lang und beschwerlich. Daher entscheiden sich die meisten Menschen, dort zu bleiben, wo sie sind, oder einen der vielen bequemen Wege zu gehen, die im Unglück enden.

Die einfältigsten Menschenwürfe springen einfach in das nächste Loch, das sich vor ihnen auftut. Und wenn es nicht zu tief ist, machen sie es sich dort bequem und singen das Hohelied der Zufriedenheit oder beklagen bitter ihr Unglück, je nach Temperament. Und einige durch Zufall vom Glück verfolgte Pilzmenschen tappen blind durch die Gegend und versuchen mit aller Kraft, das Glück abzuschütteln, als wären sie in ein Klettenfeld geraten.

Selbst die wenigen, die ihr Glück erkennen, vergessen niemals ganz, ihr Unglück von Zeit zu Zeit wortreich zu beklagen. Denn das schwerste Los scheint es, schwerelos zu sein, Schwere los zu sein.

Glück

Es gibt kein größeres Hindernis beim Glücklichwerden als die tatsächlich mögliche Umsetzung dieser Vorstellung. Die meisten Menschen laufen lieber Unmöglichem hinterher und sind unglücklich, oder sie sind zufrieden mit irrealer Kitschbildvirtualität.