Ziehen am Gras

Klaus Werle schreibt in einem ansonsten ausgezeichneten Artikel im „Spiegel“ , in dem es um den mittlerweile verbreiteten Frühlernwahn geht, mit dem viele Eltern zunehmend versuchen, ihre Kleinkinder noch vor dem Krähen der Hähne in die Startlöcher des Erfolgs zu zerren, das Gras wachse nicht schneller, wenn man daran ziehe. Das ist paßgenau und ein schönes Bild für die Verrücktheit solcher kinderquälerischen Idiotie. Man denkt sich: Fein, der Mann hat Phantasie. Hat er aber nicht, er hat nur im Sprichwörterlexikon (wahrscheinlich online) nachgeschaut, ob er etwas Passendes findet. Und ist fündig geworden. „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“, so ein afrikanisches Sprichwort. Weshalb, frage ich mich, hat der Herr Werle nicht auf diesen Umstand hingewiesen und so getan, als sei ihm der Satz spontan selbst in den Sinn gekommen? Man wird nicht glaubwürdiger, wenn man derart trickst. Leider greift solcherart Unterlassung mittlerweile ebenso um sich wie das heimliche Ziehen am Gras.

Bildungsferne 

Soll ich es bedenklich finden oder eher von der humoristischen Seite betrachten? Diejenigen, die euphemistisch von den »bildungsfernen Schichten« sprechen, sind zumeist jene Halbgebildeten, denen es ein Gefühl von Bildungsnähe verschafft, andere durch ihr ausgrenzendes Gerede in das Abseits der Bildungsferne zu stoßen. Wenn schon keine Bildung, dann wenigstens ein Bildungsgefühl. 

Bildungsferne ist tatsächlich ein schichtenunspezifisches Phänomen, und sie ist eine heimtückische schleichende Erkrankung, die von den Betroffenen selbst nur in Ausnahmefällen wahrgenommen wird.

Leider gibt es kein Gerät, das den Grad der Bildungsferne so objektiv mißt wie ein Fieberthermometer die Körpertemperatur, sonst würde der Begriff »bildungsfern« zukünftig mit Sicherheit etwas seltener verwendet werden.

Herzensbildung

Man kann sich Bücher kaufen, aber keine Bildung. Man kann sich Bildung anlesen, aber keine Herzensbildung. Geld kann darüber hinwegtrösten, daß es an Bildung fehlt, Bildung kann darüber hinwegtrösten, daß es an Geld mangelt. Bei mangelnder Herzensbildung gibt es keinen Trost, weder Geld noch Bildung können über mangelde Herzensbildung hinwegtrösten. Zum Glück aber braucht es bei mangelnder Herzensbildung keinen Trost, denn die meisten bemerken diesen Mangel bei sich selber nicht.

Warum so dick?

Es gibt zwei Gründe, warum die Deutschen so dick sind. Der eine Grund ist Bildungshunger und der andere Wissensdurst. Und damit man den Leuten die Bildung und das Wissen auch ansieht, essen sie viel Currywurst und Saumagen und trinken ordentlich Bier und Korn. Oder Korn und Bier. Locker bilden sich so die Fettrollen, und das Wissen und die Leber leuchten von innen. Wer dick ist, braucht nicht dicketun. Das überläßt man den Dünnen. Das und den trockenen Humor.

Elitenbildung

Wenn sich einer einbildet, er brauche sich nur den Hintern zu parfümieren, um zur Elite zu gehören, dann liegt er voll im Trend: Elite ist, so scheint es, immer dort, wo die Fürze besser riechen. Auch Geldscheine als Toilettenpapier sind bei der Elitengenerierung von jeher anerkannt nützliche Requisiten. Emotionale Intelligenz und Bildung dagegen nur in Ausnahmefällen.

Einbildung

Nichts verhindert Bildung so sehr wie die Einbildung. Denn wenn wir uns einbilden, etwas zu sein, können wir es nicht werden. Nur wenn die Wörter »Bildung« und »Einbildung« im ersten Satz austauschbar sind, handelt es sich um wirkliche Bildung und nicht um eingebildete.