Was ist ein Trend? Indische Küche

Einer von »Berlins wichtigsten Feinschmeckerjournalisten« (so eat.Berlin), Kai Röger, hat sich vor ein paar Jahren über die indische Küche in Berlin geäußert, was ich erst jetzt mitbekommen habe, da ich einen aktuelleren, aber auch nicht wesentlich kenntnisreicheren Artikel im Berliner »Tagesspiegel« zu Gesicht bekam. Darüber in einem späteren Beitrag.

Nun zu »Inder statt ›Inder‹!«
Die Arroganz beginnt bereits mit den Anführungszeichen in der Überschrift. Was in Berlin als indische Küche geboten wird, das ist nur sogenannte, folgt man Kai Röger, also nichts Richtiges. Warum? »Hauptspeisen für 5,90 Euro – in Berlin ist die südasiatische Küche eine failed cuisine.« Das kann ja nichts sein. »Dabei hätte sie das Zeug zum nächsten großen Trend.« Es folgt also folgerichtig eine »scharfe Rüge schlechter Essgewohnheiten«. Ob es gut schmeckt oder nicht: Es ist von Übel, preiswert zu essen, das Essen sei trendig und teuer. Alles andere ist schlechte Gewohnheit.

Arroganz Teil zwei: »Wann waren Sie das letzte Mal richtig indisch essen? Mein letztes wirklich gutes Alu Gobhi hatte ich in Brighton … Das hatte seinen Preis. In Berlin hätte sich dafür eine Kleinfamilie in einem durchschnittlichen indischen Restaurant satt essen können.« Sattessen? Also wirklich. Als Weltbürger ist man natürlich Single oder Besserverdiener oder besserverdienender Single mit maximal einem Kind und hält sich an die derzeit gültigen Vorgaben von Instagram zur Begrenzung der Leibesfülle, und wenn mal mal gut indisch essen gehen möchte, muß man nach Großbritannien fliegen oder schwimmen. Nein, nicht nach Indien, da sind die Tischdecken, so es welche gibt, sicher zu schmutzig. Und es ist auch zu weit, und die Luft dort ist zu schlecht.

Mein letztes indisches Essen im Ausland ist schon eine Weile her: in Paris. Es war gar nicht mal so schlecht, fast so gut wie in der Bergmannstraße oder der Zossener Straße in Berlin. Nur viermal so teuer.

Nebenbei: Beim Inder in Brighton, genaugenommen ein Pakistaner, wurde, so erzählt Röger unter anderem, sogar »Bocksklee« in einem Mörser gemahlen. Also Handarbeit und deshalb sicher die Rechnung so »expensive«. Ich selbst, der ich öfter auch indische Gerichte zubereite, zermahle keinen Bocksklee, sondern befülle den Mörser mit ein wenig Bockshornkleesamen, die natürlich vorher kurz angeröstet wurden.

Immerhin: Die indische Küche könnte, so Röger, »die nächste Trendküche sein«. Aber: »Jede Länderküche hat es schwer am Anfang, da ist die indische Küche kein Einzelfall.« Am Anfang.

Ja, am Anfang lernte ich die indische Küche in Berlin kennen, etwa vierzig Jahre vor dem »Anfang«, den Kai Röger beschreibt. Und zwar durch Bernd S., einen Fernreisenden mit Vorliebe für asiatische Länder. Bernd S., übrigens wie Kai Röger heute damals ein Mitarbeiter beim Tagesspiegel, und ich lernten uns im SOUND kennen, wo wir nach Redaktionsschluß gern mit guter Musik den Arbeitstag ausklingen ließen. Auch David Bowie ließ sich dort hin und wieder mal blicken. Also: verdammt lang her.

Als Rucksacktourist, den man inzwischen Backpacker nennen zu müssen meint, kannte sich mein Freund Bernd aus mit richtigem indischem Essen, und er lud mich ein in ein Restaurant in der Feurigstraße in der Nähe seiner Wohnung. Heute heißt es Tadka, damals, als der heutige Besitzer noch als kleiner Junge dort herumstromerte, hieß es anders, aber an den früheren Namen kann ich mich nicht mehr erinnern. An das Essen jedoch sehr wohl. Viel schärfer als das, was ich von der italienischen Küche kannte, aber man hatte nicht das Gefühl, beim Kauen ein brenendes Feuerzeug im Mund hin und her zu schieben, also ein wirklicher Genuß. Ganz ähnlich dem Essen, das mein Freund Bernd in Indien kennengelernt hatte. Wenn auch nicht ganz so scharf, wie er lächelnd sagte.

Von da an habe ich dort unzählige Male das Essen genossen, und später kamen noch zwei weitere Restaurants dazu: ebenfalls in Schöneberg, beide in der Fuggerstraße, bevorzugt das Maharadscha, das es noch heute gibt, und das Maharani direkt gegenüber, das inzwischen geschlossen ist.

Wenn ich richtig informiert bin, hieß es bei Kai Röger, der heute den Edel-Inder herbeisehnt, zu der Zeit, als ich die indische Küche für mich entdeckte, noch »Ein Löffel für Mama, ein Löffel für Papa«, und die Kompetenz des Mannes mit dem verwöhnten Gaumen beschränkte sich damals noch auf die Unterscheidung zwischen Alete und Hipp. Schwer am Anfang.

So viel zum Thema »Jede Länderküche hat es schwer am Anfang«. Inzwischen gibt es in Berlin über hundert Orte, die man ansteuern kann, wenn man indisch essen gehen möchte. Natürlich unterschiedlicher Qualität, und hier und da wackelt der Stuhl oder der Tisch ein wenig, aber für den »Anfang« sollte es reichen.

Ich selbst muß seit einigen Jahren leider fünfzig Kilometer hin und fünfzig zurück fahren, wenn ich richtig gut indisch essen möchte. Nach Paderborn in die Riemannstraße. Früher in Kreuzberg brauchte ich nur die Treppe hinuntergehn. Aber nicht zuletzt auch dank YouTube koche ich wie erwähnt meistens selbst indisch, was inzwischen recht gut gelingt. Mit Ghee und Paneer aus eigener Herstellung.

Manchmal, wenn ich mir wie heute keine Zeit zum Kochen nehme, gibt es statt dessen Lasagne von meinem Freund Antonio.

Auch lecker.

Fremdnebel

Im »Briloner Anzeiger« von heute, 27. März 2019, konnte man Folgendes lesen:

Stichwort der Woche: Ist es die Berliner Luft?

Manchmal hat man den Eindruck, dass es in unserer Bundeshauptstadt irgendetwas gibt, was die Gehirne vernebelt und den nie ausgeträumten Traum einer deutschen Großmacht immer wieder neu aufleben lässt. Liegt es an der Berliner Luft oder sind da noch irgendwelche Altlasten im Boden, zum Beispiel über dem Bunker der Reichskanzlei? Nachdem man mit etlichen Steuermilliarden, die natürlich von den Bürgern in den Provinzen erarbeitet wurden, die ehemalige Reichshauptstadt wieder zum repräsentativen Regierungssitz ausgebaut hat, scheinen die Großmachtfantasien immer noch weiter ins Kraut zu schießen.

Seitdem sich die Stadt von „arm aber sexy“, wie es ein ehemaliger Oberbürgermeister ausdrückte, zur tatsächlich angesagten Partyhochburg entwickelt hat, die gern an das Berlin der „goldenen Zwanziger“ des vergangenen Jahrhunderts anknüpfen möchte, scheinen alle Traditionen der Bescheidenheit der alten Bundesrepublik komplett über Bord gegangen zu sein.

Gut, die Sache mit dem Großflughafen hat bisher noch nicht funktioniert, aber der Aufbau des ehemaligen Stadtschlosses, „auferstanden aus den Ruinen“ des Palasts der Republik, macht inzwischen doch große Fortschritte. Aber auch jenseits des Hauptstadtausbaus hat die „Großdeutsche Republik“ inzwischen alle Hemmungen verloren. Ein sonst eher „hanseatisch bescheidener“ Finanzminister träumt von einer deutschen Großbank mit Weltgeltung, indem er die abgehalfterte Deutsche Bank mit der Commerzbank, die noch vor einigen Jahren mit vielen Steuermilliarden gerettet wurde, fusionieren will. Für Risiken und Nebenwirkungen haftet, wie immer, der Steuerzahler.

Auch die Bundeskanzlerin, die dem „Es ist erreicht“ Schnurrbart des letzten deutschen Kaisers, mit ihrer „Es kann noch mehr erreicht werden“ Raute nacheifert, bringt jetzt ernsthaft den Bau eines eigenen deutschen Flugzeugträgers ins Gespräch. Über den militärischen Nutzen eines solchen Dinosauriers kann man natürlich streiten, unbestritten ist jedoch ein Flugzeugträger das Symbol für einen Großmachtanspruch. Mich würde aber doch mal interessieren, wie man ein solches Waffensystem mit dem reinen Verteidigungsauftrag der Bundeswehr vereinbaren kann.

Was kommt als nächstes? Der Einmarsch in Ungarn, um den unbotmäßigen Viktor Orban abzusetzen und damit den deutschen Führungsanspruch in Europa zu demonstrieren? Gott sei Dank hat unsere Verteidigungsministerin, sicher eine verkappte Pazifistin, die Bundeswehr inzwischen so kampfunfähig gemacht, dass die Ungarn in aller Ruhe Grenzzäune bauen könnten, bevor sich das einzig funktionstüchtige Feuerlöschfahrzeug der Bundeswehr aus dem Emsland in Richtung Budapest in Bewegung setzen könnte. Zwischen dem verbalen Großmachtanspruch und der tatsächlichen Schlagkraft der Truppe liegen nun mal Welten.

Vielleicht geht es mir allein so, aber ich trauere immer noch dem alten Hauptstadtprovisorium am Rhein nach. Mit Bonn war sicher „kein Staat zu machen“, dafür stand es für einen noch wirklich funktionierenden Staat. Der Geist von Beethoven, Adenauer und Schumacher war für eine vernünftige Regierungsarbeit vermutlich zuträglicher, als die Geister, die noch in der Berliner Luft rumschwirren. Vielleicht sollte man da mal die „Ghostbusters“ ranlassen.

Ihr Norbert Schnellen

 

Dazu fällt mir ein:

Lieber Norbert Schnellen,

Ihr »Stichwort der Woche« ist bisweilen eine durchaus realitätsnahe, beachtenswerte Stimme im provinziellen Gemurmel, das mir hier in Brilon in die Ohren dringt, aber mit dem Artikel »Ist es die Berliner Luft« liegen Sie so was von daneben, daß das nicht unwidersprochen bleiben darf.

Grundsätzlich ist Ihre Kritik an neu erwachenden Großmachtphantasien in Deutschland sicher berechtigt, aber was hat das mit Berlin zu tun? Um es vorwegzunehmen, derartige Phantasien, die von jeher besonders im Bierdunst von Provinzstammtischen hervorragend gedeihen, haben nichts, aber auch gar nichts mit der Berliner Luft zu tun.

Schon immer hat nicht die Berliner Luft für Gehirnvernebelung gesorgt, sondern der Zuzug von Gehirnvernebelten von auswärts hat die Luft belastet. Denken wir nur an den Österreicher aus Braunau, der in Bayern hochgepäppelt wurde und dann nach Berlin kam, um sein Unwesen zu verbreiten. Der Joseph mit der großen Klappe kam aus dem Rheinland, Himmler aus München, Göring aus Rosenheim, Heydrich aus Halle. Und so weiter und so fort. All diese großen politischen Verbrecher haben ihre Verderbtheit mitgebracht nach Berlin und die Luft der Stadt verpestet.

Was sollen denn diese unsäglichen Ressentiments wie »Steuermilliarden, die natürlich von den Bürgern in der Provinzen erarbeitet wurden«? Glauben Sie ernsthaft, die Berliner säßen überwiegend den ganzen Tag in Cafés rum und tränken Latte macchiato? Auch in Berlin wird gearbeitet wie überall. Der Lokführer muß auch dort früh aufstehen, nicht nur in der Provinz. Und die Polizisten und Feuerwehrleute auch. Nur haben sie meist etwas mehr zu tun als im ländlichen Raum.

Wenn die armen und sexy Zeiten des Regierenden Bürgermeisters (so heißt das in Berlin) Wowereit vorbei sind, dann hat das vor allem auch etwas mit dem Zuzug von Politdeppen, Großmannssüchtigen und Gewinnlern aus den (bevorzugt südlichen) Provinzen zu tun, aber nichts mit Berlin. Das von Ihnen erwähnte Stadtschloß übrigens ist weiß Gott keine Berliner Idee, sondern damit möchten sich andere schmücken. Gerade lese ich: »Freundeskreis Berliner Schloss Düsseldorf übergibt über eine halbe Million Euro …« Nur ein Beispiel.

Der »deutsche Führungsanspruch«, von dem Sie schreiben, wird unserem Land ja nicht zuletzt von anderen nahegelegt, weil das Land nun mal die wirtschaftliche Stärke hat, die andere gern hätten. Frei nach dem Motto: Hannemann, geh du voran, du hast die größten Stiefel an. Und der erwähnte »Flugzeugträger« ist weniger eine Idee in Richtung Großmachtanspruch als vielmehr Reaktion auf das US-NATO-Drängen nach mehr Rüstungsanstrengung bzw. Aufträgen für die US-Rüstungsindustrie.

Und was Bonn betrifft, da assoziiere ich Wiederbewaffnung, Notstandsgesetze, „Spiegel“-Affäre, Starfighter, Altnazis in hohen Ämtern bis ins Bundeskanzleramt.

Ick weeß ja nich, meen Lieba. Da kommt bei mir keene Trauer uff. Det sin Jeister, uff die ick jut vazichten kann.

Nebenbei: Überschrift in der gedruckten Ausgabe: »Ist es die Berliner Luft?«, online: »Ist das die Berliner Luft?« Wie gesagt: Weder noch.