Neulich schrieb ich etwas über Anthropomorphismus. Tatsächlich habe ich danach nicht mehr bewußt über den Unterschied zwischen anthropomorph und animistisch nachgedacht. Aber in meinem Kopf ging das ohne mein Zutun wohl weiter, denn heute wachte ich mit dem Gedanken auf, das seien nicht zwei verschiedene Bezeichnungen für etwas Ähnliches, sondern tatsächlich Gegensätze. Ein Nachkomme der autochthonen amerikanischen Bevölkerung hatte in meinem Traum einen Baum umarmt, um so um Entschuldigung zu bitten, weil er ihm sein Leben nehmen müsse, um mit seiner Familie in der Wohnstatt nicht zu erfrieren.
Dem liegt ein animistisches Bild der Natur zugrunde. Mensch und Baum sind gleichermaßen belebte Teile der Natur, und der Mensch nutzt seine Macht über den Baum deshalb nur mit Vorbehalt und nur aus der Not heraus.
Anthropomorph dagegen ist die Vorstellung des Gläubigen, Gott habe ihn nach seinem Bilde erschaffen, weswegen Adam das korrekte Bild Gottes im Umkehrschluß entdeckt, wenn er morgens in den Spiegel blickt.
Anthropomorph ist auch das gutgemeinte Handeln der Hundehalterin, die ihren Liebling bei sinkenden Temperaturen in einen selbstgestrickten Anzug steckt, ob es dem vermenschlichten Tier gefällt oder nicht.
Animistische Vorstellungen schließen Pflanzen mit ein, anthropomorphe nicht. (Mal abgesehen von Disney-Filmen für Kinder.) Animismus ist Einfühlung oder mit Einfühlung verbunden, Anthropomorphismus dagen Aneignung, Vereinnahmung im Sinne des protagoräischen Homo-mensura-Satzes.
Man kann den Gedanken, der Mensch sei das Maß aller Dinge, aber auch als Eingeständnis deuten, das anthropomorphe Brett vor dem Kopf verhindere ein wirkliches Sehen.