Katz und Maus oder Über das richtige Denken

Die Maus ist religiös und der Meinung, es wäre wünschenswert, daß alle Tiere von Käse und Körnern lebten. Deshalb propagiert sie eine Theorie, die besagt, fortschrittliches Denken sei ein Denken, das die Welt als Entwicklungsmodell zum immer Besseren und Gerechteren betrachte.

Die Maus spricht, wenn die Katze nicht da ist, vom Telos der Tiere, das zwangsläufig zu einem Ethos der Verständigung und des Friedens untereinander führe, und der Weltgeist, der die Geschichte alles Lebenden sinnvoll lenke, habe vorgesehen, daß in nicht allzu ferner Zukunft alle bestens miteinander auskommen werden und in noch fernerer Zukunft nicht nur das Haus, in dem die Maus wohnt, sondern das ganze Weltall, also auch die Nachbarhäuser, zum Vorteil der Tiere, besonders der Mäuse, von dieser Erkenntnis durchdrungen sein werde.

Dummerweise sei die Katze sehr unzugänglich und denkfaul, ja, eigentlich nicht tatsächlich denkfähig oder zumindest mit fehlerhaften Gedankenkonglomeraten kontaminiert, was dazu führe, daß sie sich nicht weiterentwickle, sondern nichts Besseres zu tun habe, als sich dauernd in der Nähe des Mauselochs herumzutreiben und drohende Blicke auf den Eingang zu werfen. Wo doch jeder weiß, wenn er denn richtig zu denken imstande ist, daß jede Art von Aggression etwas ist, das die Tierwelt überwinden muß, wenn sie in eine glorreiche Zukunft marschieren möchte – in ein Land, wo Milch und Honig fließen.

Und da Katzen Milch doch gerne mögen, auch wenn sie sie nicht sonderlich vertragen, was sie aber nicht wissen (ja, auch das nicht), verhalten sie sich dumm, wenn sie weiter auf Mäuse lauern. Ach, wenn die Katzen nur richtig denken könnten.

ZEITonline

Höflichkeit

Übertriebene Höflichkeit ist die sublimierte Aggression eines Menschen, der Angst davor hat, als Heuchler entlarvt zu werden.

Dem Wort »Höflichkeit« haftet auch heute noch seine Herkunft aus dem intriganten höfischen Getue an, das durch Schleimerei und Schmeichelorgien geprägt war. Daß das alles keine Erfindung des frühneuzeitlichen höfischen Lebens ist, sondern in milderer Form bereits in der Antike zu finden, erkennt man, wenn man etwa den Blick auf römische Patronatsbeziehungen richtet.

Kriminalromane

Das Überhandnehmen von Kriminalromanen in der zeitgenössischen Literatur spätestens seit Umberto Ecos »Der Name der Rose« ist nicht nur ein Zeichen für die zunehmende Erwartung der Leser, die durch Fernsehen und Kino geprägten Spannungsbögen auch in Büchern wiederzufinden, es ist auch eine Folge der allgemein wachsenden Einsicht, daß die Geschichte der Menschheit, allgemeines Hauen und Stechen, das schöpferisch-zerstörerische Wirbeln der Aggressionen, sich gut durch Mord und Totschlag exemplifizieren läßt: Menschheitsgeschichte als Kriminalgeschichte.

Über Querulanten

Im Gegensatz zum Querdenker ist der Querulant meistens ein einsamer Mensch, der versucht, seiner Einsamkeit auf aggressive Weise zu entkommen oder wenigstens einen Grund für seine Einsamkeit zu finden, indem er andere zu ebenfalls aggressiven Gegenreaktionen zu verleiten trachtet. Gelingt dies, dann kann sich der querulus einsam wähnen, weil die andern so aggressiv sind. Der Querulant ist eine Art aggressiver Aggressionsprophet.

Über Toleranz

Wenn man Bodyguardphantasien und Selbstjustizwünsche bei sich entdeckt, ohne daß man sich selbst in einer aktuellen Bedrohungssituation befindet, dann sollte man darüber nachdenken, ob das Toleranzmodell, nach dem man zu leben vermeint, wirklich etwas Echtes und Gewachsenes ist oder nur Camouflage des internen Aggressionspotentials, das beständig nach außen drängt, wenn es mit Andersartigem konfrontiert wird. Oder gar nur von Andersartigem hört oder liest. Vielleicht aber ist es schon der Gipfel der gängigen Toleranz, wenn man Billy Mo gestattet, sich einen Tirolerhut zu kaufen. Dann hat man was zum Lachen, und Lachen befreit. Manchmal auch von tiefsitzenden Aversionen.