Pompositas*

Tante Elfriede aus Altenbüren hört im Radio: »Es kommt auf das, wie soll ich sagen, surrounding an.«

»Quid hoc sibi vult?«, denkt die Tante und schüttelt ihre grauen Locken.

Statt im naheliegenden Wortschatz zu kramen, wo die Moderatorin mühelos das Wort »Umgebung« gefunden hätte, wurde das Fernglas gezückt und im amerikanischen Englisch das nominalisierte Verb von »surround« erspäht oder mit Mühe selbst gebildet. (Am Rande: Müßte es nicht korrekt eher (die) surroundings heißen?) Wahrscheinlich hat die Medienfachfrau auch nur in ihrer neuen Liste von aktuellen Wichtigtuerwörtern nachgeschaut.

  • Pomposity means speaking or behaving in a very serious manner which shows that you think you are more important than you really are.

»Das Kachelmanöver« einer Jüttenrednerin

Daß jemand einer Leidenschaft, einem Laster oder auch nur einem Hobby »frönt« und dabei manchmal aus der Sicht Außenstehender ein wenig übertreibt, wer hätte das nicht schon mal erlebt? Aber einer »erklärten Mission frönen«? Nun, die Zuschreibung des Frönens findet sich meist dort, wo man Leidenschaft von vornherein argwöhnisch beäugt. So argwöhnisch wie die eine Frau die andere: »tief dekolletiert«, die »dichten dunklen Locken … drapiert«. Kann man das noch als Neid auf die wohl Attraktivere entschuldigen, so bleiben die teils abwertenden, teils beleidigenden Beschreibungen von möglicherweise mühsam aus der Realität abgeleiteten Äußerlichkeiten: »Erdkundelehrer-Brille und Stoppelbart«, der Verleger »mit Segelohren und Intellektuellenbrille« ebenso unverständlich wie die aus der Phantasie der Frau Jüttner entsprungenen »identischen, atmungsaktiven Funktionsjacken«. Woher sie die holt, kann wohl nur ein fähiger Psychotherapeut mit Schwerpunkt Traumdeutung herausfinden. Und daß die Kachelmanns »aufs Podium stolpern«, ist das, wie das meiste übrige, nicht vor allem bitterer Ausdruck eines tiefempfundenen Ressentiments, dessen man sich nicht schämen zu müssen glaubt? Ganz schlechter Journalismus.

PS: Nach späterer Ansicht von Fotos muß das „tief dekolletiert“ als glatte Lüge bezeichnet werden. Man kann eher von nicht extrem halsnah sprechen.

SPIEGEL ONLINE

2012

»Der Sprung um sein Leben«

Wenn einer aus dem vierten Stockwerk eines brennenden Hauses in ein Polyestertuch springt, weil das Treppenhaus in Flammen steht und die Drehleiter der Feuerwehr sich verklemmt hat, dann kann man mit Fug und Recht von einem »Sprung um sein Leben« reden. Auch dann, wenn sich einer auf der Straße vor einem besoffenen Schwachkopf in Sicherheit bringen muß, der meint, mit zwei Promille im Blut wäre er der King. Aber wenn sich ein Lebensmüder aus großer Höhe Richtung Erdoberfläche fallen läßt, dann ist es kein »Sprung um sein Leben«, sondern allenfalls ein kindisches Ringen um Ruhm. Und die blödsinnige Überschrift ist Ausdruck tiefer Gedankenlosigkeit.

Hamburger Abendblatt

PS: Inzwischen hat einer die Überschrift durch das Adjektiv »durchgeknallt« ergänzt, was der Dummheit aber auch nicht richtig abhilft.

Der Duden und der Hohn

Seit Beginn der Orthographiereform 1996 kann ich den Duden, der vorher schon nicht ohne Eigentümlichkeiten, Rechtschreibfehler und Sprachschlampereien war, auch mit bemühtem kollegialem Verständnis nicht mehr ernst nehmen, und nicht wenige der gelbgewandeten Empfehlungen reizen mich zum Lachen, wenn nicht zum Spotten oder gar Höhnen: also dazu, dem Hohn, der sich beim Zusammenprall mit den polyphonen Mannheimer Farbklecksereien regelmäßig in meinem Kopf entwickelt, Ausdruck zu geben, indem ich hohnlache. Ich könnte seit 1996 selbstverständlich sprachamtlich sanktioniert auch Hohn lachen, was jedoch meinem Sprachgefühl hohnspräche (und nicht etwa Hohn spräche). Deshalb verzichte ich darauf, es hohnsprechen zu lassen, so daß es nicht auf den ersten Blick hohnzusprechen scheint oder „zu hohnsprechen“, wie der Duden online unter dem Stichwort „hohnsprechen“ in Verkennung der Grammatik der starken Verben falsch formuliert. Daß es weiter unten unter Grammatik richtig „hohnzusprechen“ heißt statt „zu hohnsprechen“, das ist nur eine Merkwürdigkeit mehr in den sottisenreichen Merkwürdigkeitensammlungen des Bibliograf(ph)ischen Instituts und spricht nichts und niemandem „Hohn“ oder, wie ich sagen würde, hohn, außer der ernsthaften Beschäftigung mit der Sprache. Doch darum geht es bei besagtem Institut leider nicht immer.

Klugheit und Intelligenz

Wer klug ist, glaubt nicht daran, daß Intelligenz dasselbe ist wie Klugheit, wer intelligent ist, glaubt oft, er wäre klug. Ziemlich blöd. Ich bin lieber so klug, Klugheit und Intelligenz nicht zu verwechseln und nichts von Intelligenztests zu halten. Ob das intelligent ist, mögen Klügere beurteilen.

DIE ZEIT

Getrieben statt gedacht

Das Zentrale der Existenz ist weder das Subjekt noch dessen gehirnliche Wahrnehmung, zentral ist die Kraft, die beides hervorbringt und mit einem Vorstellungsapparat ausstattet, den diese Kraft sich zunutze macht, um sich selbst abzubilden und damit aus dem scheinbaren Nichts ihres Seins herauszuholen. Wir neigen dazu, das Akzidentielle mit dem Essenziellen zu verwechseln; deshalb ist alles Forschen am Gehirn und an dessen Konstruktionen Fokussieren des Nebensächlichen.

„Wir sind …“

Das ist ein grundlegendes Problem. Ein Volk, das sein moralisches Handeln und seine intellektuellen Stellungnahmen stillschweigend an öffentliche Personen delegiert, ist mitverantwortlich, wenn dabei etwas schiefgeht und die handelnden Instanzen sich als zumindest partiell inkompetent erweisen.

Wahlklau

Die Berliner Koalition hat nach den Neuwahlen 90 Sitze errungen. Die CDU 52. Und jetzt lese ich, die Regierung sei abgewählt, und „keiner“ wolle die Wahlverlierer mehr. Habe jetzt ich im Matheunterricht nicht aufgepaßt oder nur ein merkwürdiges Demokratieverständnis, oder muß man das eher von den seltsam im Nebel wandelnden Hirnen annehmen, die zuviel „BILD“ und „BZ“ gelesen haben, wo schon vorher von „Wahlklau“ gesprochen wurde?

Wenn die Berliner Bevölkerung einen Wechsel gewollt hätte, dann hätte sie anders gewählt. Aber Berlin ist nicht Spandau. Darauf weist man ja gerade in Spandau gerne hin.

In meinem Kreuzberger Heimatwahlkreis hat die CDU ihren Stimmenanteil sogar fast verdoppelt (von 7 auf 13 Prozent), was vermutlich hauptsächlich daran liegt, daß viele sich dort das Wohnen nicht mehr leisten können. Trotzdem liegt man nach wie vor klar außerhalb der Medaillenränge.

Beute

Der Krieg als Grundform des Lebens im Sinne Heraklits ist vor allem deshalb so beliebt – und das ist tief in den Genen der Menschen eingeschrieben –, weil es beim Krieg, allem ideologischen Begründungsgeschwätz zum Trotz, in erster Linie darum geht, Beute zu machen. Das gilt nicht nur für den Krieg als Metapher, sondern gerade auch für das Drücken auf todbringende Knöpfe.

Ohne Groll

Ressentiments sind stets zweischneidige Gebilde, und sie haben gleichermaßen das Potential zur Verletzung des andern wie auch zur Selbstverletzung, besonders dann, wenn es sich um Ressentiments gegenüber vermeintlichen Ressentiments anderer handelt.

Der Außenstehende kann nicht umhin, darüber zu lachen. Ohne Groll. 

Die Farben der Tinte

Da schreibt jemand
ein paar Zeilen Hackprosa
und wirft sie aufs Trottoir
des Boulevards und schon
kommen alle Köter angelaufen
Promenadenmischungen und
solche mit Stammbaum
und heben das Bein
Urinieren als Massenphänomen
wer hat den stärksten Strahl
Joffe oder Broder oder
und alles nur wegen
Versen die keine sind
schon gar nicht satanisch
nur ein paar undurchdachte
Gedanken von einem
der sich in letzter Tinte
versehentlich selbst ertränkt

2012

Monogamie und Beziehung

Viele Beziehungen scheitern. Man ist auf der Suche nach den Gründen. Michèle Binswanger will die Hauptursache gefunden haben: falsch verstandene Treue und Monogamie. Willkommen in den sechziger Jahren. Nur, was damals notwendig war, um verkrustete Strukturen aufzubrechen, wirkt heute ein wenig lebensfremd, weil wir inzwischen in einer Gesellschaft leben, die offener ist und freier als die damalige und die gelernt hat, daß nicht alles, was natürlich scheint, auch wünschenswert und zivilisatorisch integrierbar ist.

Ich finde sie gelinde gesagt merkwürdig, diese Argumentationen, die bestimmte Teile unserer genetischen Disposition anerkennend werten, andere Teile jedoch nicht. Mag ja sein, daß Monogamie eine „junge Erscheinung“ ist. Das gilt aber auch bei der Körperpflege zum Beispiel, da gibt es auch einige „junge“ Erscheinungen, oder bei der Gewohnheit, seinem Gegenüber nicht gleich den Schädel einzuschlagen, wenn uns dessen Gesicht nicht paßt. Auch werfen wir unsere Kinder heute nicht mehr einfach auf den Mist, wenn sie mißgebildet zur Welt kommen. Unsere Gesellschaft zeichnet sich durch die ein oder andere zivilisatorische Errungenschaft aus.

Ich selbst halte Treue in der Beziehung und damit Verläßlichkeit für wichtig, und deshalb sollten Mann wie Frau sich ordentlich sexuell ausleben, bevor sie eine richtige Bindung eingehen. Und man sollte sich einen Partner suchen, der auch sexuell zu einem paßt – nicht nur in bezug auf gesellschaftliche Stellung, Image und Bankkonto, wie das gern gemacht wird.

Aber die Wegwerfgesellschaft, die sich durchgesetzt hat, wirkt sich auch auf Beziehungen aus. So wie man alle naselang ein neues Auto zu brauchen glaubt oder andere Novitäten, so meint man auch etwas zu verpassen, wenn man nicht jede Gelegenheit zum Fremdvögeln wahrnimmt. Das, was man hat, weiß man nicht mehr wirklich zu schätzen. Das ist der Fluch der Überflußgesellschaft, der in überzogenen Ansprüchen und Erwartungen kulminiert, was der Hauptgrund dafür ist, daß so viele Beziehungen kaputtgehen.

Moral

Naturgemäß sind moralische Vorstellungen kulturell tradiert und damit in hohem Maße relativ, abhängig von den gewachsenen Strukturen der Gesellschaften, in denen sie sich manifestieren. Das heißt jedoch keineswegs, alle diese Vorstellungen, Normen und Gewohnheiten hätten in gleichem Maße ein Recht auf Akzeptanz. Sosehr ich die Herkunft meiner eigenen Moral reflektiere und sie damit zumindest in Teilen in Frage stellen mag, so bin doch ich selbst es, der moralische Pflöcke in den eigenen Boden treibt und dafür sorgt, daß diesen für alle sichtbar gesetzten Maßstäben so weit wie möglich Geltung verschafft wird und dem entgegenstehende Vorstellungen so abgewertet werden, wie sie es verdienen. Trotz der ungesicherten Herkunft und Geltung moralischer Normen dürfen wir in unserer täglichen Praxis keine moralische Indifferenz zulassen. In der Theorie muß das Phänomen Moral jedoch von allen Seiten intensiv beleuchtet, und deren Erscheinungsformen dürfen selbstverständlich auch radikal in Frage gestellt werden.