In dem Artikel »Wider die Verwaltung der deutschen Sprache« schrieb ein Herr Rainer Marx in der Welt über die überbewertete Rechtschreibung und die »Mäkelei der Hobby-Orthografen«, die ihm bitter aufstößt, wie es scheint, ihm, der sich als Sprachexperte und als Berufsorthograph von den Laien absetzen möchte. Wen er mit »Hobby-Orthografen« meint, weiß ich nicht, denn er bleibt leider im allgemeinen. Vielleicht ist der Artikel eine Art Selbstgespräch.
»Über die formalen Aspekte des Deutschen wird seit der Rechtschreibreform ausgiebig diskutiert. Auf orthografische Richtigkeit zu pochen, bringt aber nur eins zum Vorschein: den ewigen Autokraten.«
Nun wurde schon immer über formale Aspekte der Sprache diskutiert, tatsächlich auch ausgiebig, denn das Reflektieren über Formales gehört zu jeder Sprache dazu, und deshalb gibt es Studiengänge wie Linguistik und Sprachphilosophie – nicht erst »seit der Rechtschreibreform«.
Zum »ewigen Autokraten«: Ist es nicht vielmehr ein Zeichen autokratischen, selbstherrlichen Verhaltens, orthographische Richtigkeit geringzuschätzen und zu schreiben, wie es (aus den Tiefen der eigenen Herrlichkeit) gerade kommt? Ein schönes Beispiel dafür: »Grosser Bewunderer von Angela Merkel! Ich bin sehr stolz und werde Patriot,als Sie Friedensnobelpreis gewonnen hat !!!«, twitterte Boris Becker.
»Um es gleich anfangs zu sagen: Ja, korrekte Orthografie ist wünschenswert, manchmal sogar wichtig. Es gibt sogar Fälle, da ist sie entscheidend. Aber insgesamt gesehen ist sie nicht annähernd so relevant, wie es die öffentliche Diskussion während der letzten zehn Jahre glauben machen will.« »Wünschenswert«, »wichtig«, »manchmal … entscheidend«. Nanu, wieso das? Und weshalb gleichzeitig »nicht so relevant«?
Übrigens: »Die Diskussion« will etwas glauben machen? Eine Diskussion kann einen Eindruck erwecken, etwas »glauben machen« kann jedoch nur jemand, der eine dahingehende Absicht hat, also ein Teilnehmer der Diskussion. Unscharfes Denken ist schlimmer als fehlerhafte Rechtschreibung, aber manchmal ist das eine auch die Ursache des andern.
»Da führen wir Deutschen über Jahre einen Feldzug gegen die Buchstaben, reformieren eine Rechtschreibung, deren Konsistenz zweifellos sehr zu wünschen übrig ließ, nur um die Reform dann noch einmal zu reformieren und als Ergebnis einen Kompromiss zu verabschieden, dessen Konsistenz zweifellos sehr zu wünschen übrig lässt.«
»Wir Deutschen?« Ein Haufen Dummköpfe sind nicht »die Deutschen«, und ein »Feldzug gegen die Buchstaben«? Welch eine metaphorische Fehlleistung. Tatsächlich war es doch so, daß beamtete Sprachdilettanten mit der Streubüchse umherliefen und es zusätzliche Buchstaben regnen ließen. Ein paar Beispiele: »Tipp« statt »Tip«, »Karamell« statt »Karamel«, »Brennnessel« statt »Brennessel«; jetzt wird auch »selbstständig« statt »selbständig« rumgemacht, nur »nummeriert« statt bisher »numeriert« und so weiter und so fort. Man hat jetzt ein Ass im Ärmel und ein Teeei in der Kanne: Feldzug gegen die Buchstaben?
»Dabei ist Rechtschreibung nur ein Teil der Sprache.« Wer hätte das gedacht? »… zumal einer, der sich in seiner Verbindlichkeit ausdrücklich nur an Schulen und die staatliche Verwaltung richtet.«
Ein »Teil der Sprache«, der sich an jemand oder etwas richtet? Die Sprache ist ein Ganzes, und sie wird zum Zwecke der Betrachtung von Wissenschaftlern oder andern Interessenten in Teile zergliedert. Dieser Analysevorgang führt jedoch nicht dazu, daß »Teile« sich selbständig machen und zu kommunizieren beginnen.
»Eines ist sicher: Wo die Rechtschreibung regiert, ist es mit der Kreativität nicht weit her. Statt auf die bildliche und metaphorische, kurzum die sinnliche Kraft der Sprache zu setzen, reduzieren wir sie auf richtige Schreibung und klammern uns daran wie an eine Hoffnung.«
Eine vollmundige oder sagen wir besser großmäulige Behauptung ohne jeden Beleg. Ich glaube nicht, daß Rechtschreibung und Kreativität etwas gegeneinander haben, es sei denn, jemand hält es für kreativ, »creatif« zu schreiben.
Und die »metaphorische Kraft der Sprache« kann einer, der einen »Feldzug gegen die Buchstaben« sieht, für sich selbst nicht nutzen, geschweige denn beurteilen.
»… eine ganze Armee von Hobby-Orthografen« ist mit ihrem »Halbwissen« (jedes Wissen ist Halbwissen) am Werk und stört die Kreise der kreativen Schreiber, »mäkelt … sich ins öffentliche Bewusstsein«. Und sie »eiern als Revenants der vermeintlichen deutschen Bildungskatastrophe durch die Geschichte«. Mäkeln. Eiern. Ja, Herr Marx, die Sprache gehört allen gleichermaßen, und jeder darf mäkeln und eiern und es besser wissen, wenn er es besser weiß. Auch der »Mensch von Sprache« kann sich nämlich irren und in »inkonsistenten Metaphern« verlieren. So wie Sie, Herr Marx.
DIE WELT
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