
»Das Unglaubliche ist der einzige Maßstab, an den zu glauben immer richtig ist.« Einer von vielen flotten Sätzen aus Sloterdijks Notizbuch. Aber: immer »richtig«, was ist schon richtig? – und gar immer: Was ist schon »immer« richtig? Nun gut, vielleicht gibt es einiges wenige, was immer richtig scheint, zum Beispiel als Mensch ohne Schnorchel oder Flaschen unter Wasser nicht zu atmen, aber schon ein suizidal Gestimmter könnte ganz anders denken.
Nun zum Unglaublichen. Wenn das »Unglaubliche« etwa so stabil wäre wie das Wetter auf den Azoren oder in Irland, dann könnte man froh sein. Tatsächlich jedoch ist das Unglaubliche ein Abstraktum, unter dem sich jeder etwas anderes vorstellt, wenn er sich denn etwas darunter vorstellen kann. Weit entfernt davon, ein Maßstab zu sein, wie etwa das Urmeter aus Platin in Sèvres bei Paris, ist das Unglaubliche bedeutungsmäßig unbestimmt. Weder Stab noch Maß.
Es hat den Anschein, als bewerbe sich Sloterdijk mit solchen Sätzen als Maßstab für Windbeutelei.
Ob ein Maßstab hier überhaupt angezeigt ist? Immerhin haben uns die Techniker und Physiker ja auch das Urmeter (und die anderen, altgewohnten und dem Verfall preisgegebenen Maße und Gewichte) genommen und durch irgendwelche zu errechnenden Formeln ersetzt. Eine Formel für das Maß der Unglaublichkeit habe ich freilich nicht.
Aber in einem gewissen Sinne hat er recht. Was sonst, wenn nicht das Unglaubliche, wäre denn zu glauben? Das Glaubhafte, na, das ist doch kinderleicht! Wir haben diese oder jene beobachtbare, beweisbare Erscheinung: was gibts da zu glauben? Nein, die Erde ist flach, die Sonne geht im Westen auf, gewisse Präsidenten werden die Erde von der Verschwörung der (hier Lieblingsvariante einsetzen) retten… Das nenne ich Glauben!
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Das Urmeter gibt es immer noch, nur glaubt keiner mehr daran, daß es ein gültiger Maßstab ist. Es ist ein Überbleibsel aus Zeiten, als das Glauben noch geholfen hat. Ich glaube nicht daran, daß irgendetwas immer richtig ist, und schon gar nicht an (objektive) Maßstäbe; Maßstäbe haben nur so lange Bestand, wie an sie (subjektiv) geglaubt wird.
Sloterdijks Glaube an das Unglaubliche ist Ausdruck der Unsicherheit des einzelnen, die von den erzwungenen Horizontverschiebungen der Moderne hervorgerufen wird. Genau genommen ist dieser Glaube eine Negierung der Möglichkeit, ohne ironische Komponente an irgend etwas zu glauben. Der Mensch ist im belebten Nichts angekommen. Die Realität hat sich durch Glaubensverlust in differierende Vorstellungen aufgelöst. Da hilft es auch nichts, wenn der bescheidene einzelne heute großspurig mit einem großen Anfangsbuchstaben ausgestattet wird.
An nichts lohnt es zu glauben. Nichts ist glaubenswert. Nicht mal das Nichts.
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