»Die Wahrheit muss erlaubt sein.« Das klingt ganz toll; die Frage ist nur: wessen Wahrheit? Das Schlimme ist: Ein jeder glaubt, seine Interpretation der politischen – und jeder anderen – Wirklichkeit sei wahr und die des Widersprechenden entspreche nicht der »Wahrheit«. Solange jemand glaubt, die »Wahrheit« in seinem Besitz zu haben, läuft etwas falsch, ganz egal ob am rechten Wegrand oder am linken. Es gibt Fakten, über die man diskutieren kann, und zwar kontrovers oder nichtkontrovers – »Wahrheit« aber gibt es nur in den Träumen von Vereinfachern.
Tag: 24. März 2022
Tugend als Last und Laster
Bisweilen sieht man, daß ein allzu heftiges Streben nach Tugend, wenn es zur Gewohnheit, zum inneren Zwang wird, sich für den Betroffenen nicht nur zur Last wandeln kann, sondern einem Außenstehenden auch den Eindruck vermittelt, er habe es mit etwas zu tun, das dem Charakter eines Lasters nicht unähnlich zu sein scheine.
Manche freilich
Unter der Hofmannsthalschen Überschrift „Manche freilich müssen drunten sterben“ schrieb Walter Boehlich, ein Kritiker in des Wortes eigentlicher Bedeutung, wie er es gern und so manches Mal selbst nicht ganz frei von Fehlern tat, von den „sinnentstellenden Fehlern“ anderer (1972 in der ZEIT). So sei in der Anthologie „Lesebuch“ das Wort „Kriegslastern“ in Hesses „O Freunde nicht diese Töne“ fälschlich mit „Kriegslasten“ wiedergegeben worden. Hesse hatte in dem NZZ-Aufsatz unter dem Beethoven-Zitat von „Kriegstugenden und Kriegslasten“ geschrieben. Wer nun, wie Boehlich, dichotomisch denkt und Tugend und Laster als zwei Seiten einer Medaille betrachtet, der könnte vermuten, Hesse selbst habe ursprünglich „Laster“ geschrieben und nicht „Lasten“. Hat er aber nicht, jedenfalls wenn man der Werkausgabe folgt. Boehlich hätte das nachprüfen und eine möglicherweise ironische Wortwahl Hesses in Betracht ziehen müssen, bevor er von „sinnentstellenden Fehlern“ sprach. Aber manchen freilich werden wohl auch die kritischen Tugenden von Zeit zu Zeit zur Last.
Deutsche Sprache
Im allgemeinen interessieren sich die Deutschen recht ordentlich für Sprache, von der Sprache der Technik über die Sprache des Sports bis zu den Sprachen der Länder, die man zum Zweck der Hautfärbung aufsucht. Die Beschäftigung mit der eigenen Sprache jedoch überläßt der Durchschnittsdeutsche weitgehend den Redakteuren beim Duden, die Grimms kennt man nur als Märchenerzähler und den Paul als Papst. Ob das der Sprache guttut, weiß ich nicht so recht.
Großzügigkeit mal anders
Manche Menschen kratzen für sich selbst hemmungslos den Belag von allen Brötchen, die ihnen in die Finger kommen, und halten sich zudem für vorbildlich großzügig, wenn sie den andern mit großer Verzichtsgeste die geplünderten Reste überlassen, statt sie in den Müll zu werfen.
Kampfspiel
Der Dialog zwischen Frage und Antwort ist weniger ein Spiel, sondern vielmehr ein Kampf, ein Kampfspiel.
Würmerfangen
Der frühe Vogel fängt nichts, denn es ist noch keiner da.