Verstummen

Ich wasche magre Wörter
im Speichel müder Tage
sie bröckeln manchmal
brechen durch
im Mund wie alte Honigwaben
und ich verschluck
mich dran und spuck sie
aus wie Rotz

Und dann ist
Ruh.
Die Vögelein schweigen im Walde.
Und nur ein Baum
knarrt leis im Wind
ein Wort

Die Steine schweigen
und alle Sterne knien nieder.
Ohnmacht beginnt.
Die Nacht geht
nicht mehr
fort

Schüler und Lehrer

Wenn ein Schüler die Art der Lehrer so sehr stört, daß er diese als lehrerhaft bezeichnet, dann muß man davon ausgehen, daß der Schüler noch sehr schülerhaft ist. Ein fortgeschrittener Schüler wird dem Lehrer dort, wo es ihm nötig erscheint, auf sachliche Art entgegentreten. Tut er das nicht, haftet der Schülerstatus auch dann noch an ihm, wenn er die Schule längst verlassen hat, und er wird es schwer haben, von Erfahreneren Rat anzunehmen.

Problemlösung

Wir haben im allgemeinen weniger Probleme, Probleme zu finden, als sie zu lösen. Nicht selten besteht die Lösung eines Problems jedoch darin, zu erkennen, daß das Problem entweder keines ist oder Folge einer falschen Anschauung.

Bevor wir einen Sachverhalt zum Problem erklären, sollten wir unsere Sicht auf diesen überprüfen. Wenn unser Problem zum Beispiel darin zu bestehen scheint, zuwenig Geld zu haben, kann es durchaus sein, daß wir tatsächlich nicht zuwenig Geld haben, sondern nur falsche Vorstellungen darüber, wieviel Geld wir brauchen, um zufrieden zu sein.

Mir scheint, wir haben hauptsächlich deshalb zuwenig Geld, weil wir zuviel über Geld nachdenken.

Manchmal

von: Lyriost   Kategorie: GedichteManchmal

Kein Netz
Gewißheit weiß wie Schnee
mit klaren Linien
um mich her
zerstäubt die
flimmernde Welt
wie man Kreide
von einer
Tafel wischt.
Der Himmel flieht
und alle Formen
flüchten ihm nach.
Stumm ruhend am
randlosen Rand
ein sprachloses
Ich

Die Tränen der Heliaden

Man hängt sie an Hälse und Ohren
und adelt grobe Gestalt
Tränen die einstmals verloren
die Töchter der Lichtgewalt

das Blut verhärmter Gehölze
versteinerter Grambericht
schmückt schillernd eitles Gepelze
rahmt manches leere Gesicht

Auferstehung und Wiedergeburt

Buddhisten können wiedergeboren werden, wenn sie Pech haben, Christen nur dann, wenn sie Glück haben. Das nennt man allerdings nicht Wiedergeburt, sondern Auferstehung. Wer jedoch schon mal ein bißchen tot war, empfindet Auferstehung bestimmt als Wiedergeburt.

Finanzkapitalismus

Beim Neoliberalismus geht es darum, die Wirtschaft so weit wie möglich durch Finanzwirtschaft zu ersetzen. An Realwirtschaft benötigt wird langfristig eigentlich nur noch die Bauwirtschaft, um immer größere Geldverbrennungsanlagen (offiziell Anlagen zur Fernwärmeerzeugung, damit wir alle es schön warm haben in unsern Hütten) zu errichten, und Fahrzeugbauer, bei denen die Transportfahrzeuge hergestellt werden, mit denen das viele Geld am Tage öffentlichkeitswirksam in die Verbrennungsanlagen geschafft, dort im stillen gegen Spielgeld ausgetauscht wird, das man mit großem Hallo in die Öfen schippt, während fleißige stille Helfer nachts, wenn alle schlafen, das richtige Geld mit unbekanntem Ziel wieder hinausschaffen.

Der Staat, den Neoliberale angeblich so sehr schmähen, hat bei ihnen in Wirklichkeit ein so hohes Ansehen, daß sie ihn inzwischen mehr und mehr für sich reklamieren, denn sie haben erkannt, daß ohne den Staat, der ihnen bereitwillig hilft, wo er kann, der regelmäßige Fluß des Geldes in die Verbrennungsöfen genannten Geldtransformatoren nicht immer gewährleistet ist, und so haben die Neoliberalen dem Staat den Auftrag gegeben, für Nachschub zu sorgen. Der Staat fühlt sich durch diesen Auftrag so sehr geschmeichelt, daß er die Geldbeschaffungsmaßnahmen für den Finanzkapitalismus zur alternativlosen Priorität erklärt hat.

Die Schornsteine müssen rauchen. Damit wir alle es warm haben. Ist doch einleuchtend, nicht?

Begriffsstutzig

Der Begriffsstutzige sollte in vielen Fällen besser Begriffsunstutziger genannt werden, denn ein wesentliches Merkmal der sogenannten Begriffsstutzigkeit ist, daß der Stutzige nicht stutzt, wenn er mit etwas – zum Beispiel einem Begriff – konfrontiert wird, was ihn stutzig machen sollte.

Vom Intellektuellen

von: Lyriost   Kategorie: Gedanken

Vom Intellektuellen

Der Intellektuelle ist das Feindbild, das manche einfach denkenden Menschen brauchen, um für sich eine plausible Erklärung dafür zu finden, daß sie selbst trotz besonderer Denkbegabung weniger differenziert denken: Da der normal und gesund denkende Mensch auf keinen Fall intellektuell wirken will, weil er Intellektuelle ja nun mal nicht mag, fährt er seine ausgeprägten geistigen Fähigkeiten mit viel Mühe mutwillig herunter, denn er möchte bei seinesgleichen und bei der morgendlichen Spiegelprobe nicht als Intellektueller dastehen und am Ende womöglich sich selbst in den Suizid treiben müssen.

Aber es gibt den Intellektuellen nicht nur als Feindbild, sondern tatsächlich auch in Form von Menschen, die sich selbst als Intellektuelle bezeichnen. Das sind die, bei denen es zum Philosophen nicht so recht hat reichen wollen. Darunter leiden diese Intellektuellen unbewußt oft ebensosehr wie die Obengenannten darunter, daß sie keine Intellektuellen mögen dürfen, weil sie, wenn auch nur unter Intellektuellen, im stillen selbst gerne als solche gelten möchten.

Nicht ganz ernst gemeint

Du sollst nicht töten
schrieben sie auf ihre Fahnen
dann schlachteten sie
ein paar Rinder und Schweine
oder Schafe und Ziegen
feierten zum Abschied
mit ihren Frauen
bis spät in die Nacht
und im Morgengrauen
zogen sie lärmend in
den Krieg