Glaube und Gesellschaft

Heute ist es bei uns weitgehend gesellschaftlicher Konsens – wenn auch noch nicht immer tatsächliche Praxis von Eltern und Lehrern –,  Kinder zu loben und sie bei der Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit zu unterstützen.

Das ist eine ziemlich neue Herangehensweise. Bis vor kurzem ging es doch bei der Erziehung eher darum, den Kindern elterlichen Willen aufzuzwingen, sie in die vorgefertigten Schablonen gesellschaftlichen Funktionierens einzupassen. Wen interessierte in der Vergangenheit die Entwicklung von Persönlichkeit? Nicht die Eltern, nicht den Staat und schon gar nicht die Kirche. Überall autoritäre, hierarchische Strukturen, in die man hineingezwungen wurde, und auch der allerorten beschworene christliche Glaube war kein Herzensbedürfnis, kein Ausdruck der Sehnsucht, sondern eine aufgezwungene und vielfach nicht reflektierte Selbstverständlichkeit. Das Oben und Unten in der Gesellschaft war klar vorgegeben, und zu dieser Gesellschaft gehörte die Kirche als Erscheinungsform der Macht, vor der man den Rücken zu krümmen hatte. Individualisierung von Glauben war nicht vorgesehen und nicht erlaubt, da schädlich für das Machtgefüge. Gerade deshalb wurden die Mystiker allezeit an den Rand der Kirche gedrängt oder darüber hinaus.

Durch den jahrtausendelangen Zwang zur Unterordnung fällt es den meisten Menschen immer noch schwer, Selbstbewußtsein zu entwickeln, den Glauben an sich selbst. Und so kriechen sie unter bei den Priestern, den starken Männern, den Gurus und Experten. Und wenn eines der traditionellen Heilsinstitute und Daseinserklärungsämter fragwürdig geworden ist, dann wechselt so mancher Glaubensgewohnte zu einem anderen.

Oder zu einem Geldinstitut.

Eine Antwort auf „Glaube und Gesellschaft

  1. Zwischenweltler schreibt am 12.04.2010 um 17:05 Uhr:
    Was meinst Du, leben wir in einer Übergangsphase, oder wird es immer schwache Menschen geben, die Halt und Führung in einer Religion suchen?

    Lyriost schreibt am 12.04.2010 um 18:43 Uhr:
    Wenn man den Gedanken der „Dialektik der Aufklärung“ ernst nimmt und weiterdenkt, dann befinden wir uns immerzu in einer Übergangsphase, weil nach der Zerschlagung eines Mythos stets ein neuer folgt, der wiederum seiner Auflösung harrt. So gesehen, sind der Übergangsphasen viele. Noch nähren wir uns vom Mythos Wachstum und universeller Verbreitung der Menschenrechte, aber die Anzeichen verdichten sich, daß dieser Mythos bald entzaubert werden wird.

    Für mich gibt es keinen Grund anzunehmen, daß die Menschen in ihrer Mehrheit durch Bildung und Wohlstand in absehbarer Zeit stärker würden und unabhängig von Halt durch wie auch immer geartete Autoritäten. Wir werden wohl immer wieder neue „Götter“ erleben oder Reinkarnationen der alten. Der Wunsch, sich zu unterwerfen, scheint im Menschen stärker angelegt zu sein als der nach Freiheit. Auch wenn die wenigsten das zugeben würden.

    Zwischenweltler schreibt am 12.04.2010 um 19:03 Uhr:
    So sehe ich das leider auch. Der Gang der Welt ist rekursiv. Die Prozesse bleiben dieselben, und was der eine ausstößt wird zur Basis des folgenden. Eine sich ewig drehende Spirale, die vorgaukelt, alles würde größer und besser.
    Der Mensch jedoch scheint nicht wirklich lernfähig zu sein.
    Machen wir das Beste daraus! 😉

    Unbreakable schreibt am 12.04.2010 um 23:02 Uhr:
    Und dennoch – der Mensch ist relativ jung und hat sich im Gegensatz zu den meisten anderen Lebewesen verstandes/bewusstseinsmäßig rasant entwickelt – dass es da zu Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Sinnen kommen musste, ist wohl kein Wunder. Das Wissen um den Tod, die Endlichkeit schreit doch förmlich danach, sich einen Verantwortlichen (Gott) zu suchen und sei man es selbst. Bildung und Wohlstand sind nichts anderes als der Versuch, der Endlichkeit zu entkommen. Götzen eben. Geben wir uns noch ein wenig Zeit.

    sternenschein schreibt am 13.04.2010 um 02:29 Uhr:
    Der Glaube an ein ewiges Wachstum kann ja nur ein Mythos sein, jedenfalls was das materielle Wachstum betrifft.
    Aber was soll anstatt und nach der Forderung der universellen Menschenrechte kommen?

    Wille und Persönlichkeitsentwicklung waren bei Kindern nicht gefragt. Im Gegenteil hiess es, der Wille des Kindes muss gebrochen werden. Ich kenne noch den Spruch:
    „Kinder mit einem Willen kriegen was auf die Brillen“…was auch immer dieses genau aussagen sollte.
    Ein Recht auf Eigentum für Kinder gab es zu der Zeit auch nicht. „Wenn du die Augen zumachst, dann siehst du was dir gehört“, hörte man immer wieder.
    Die Erziehung durch loben und fördern scheint auch heute noch nicht bei allen angekommen zu sein.

    Ist der Tod und die Endlichkeit des Lebens wirklich so erschreckend?
    Könnte nicht ein ewiges Leben viel erschreckender sein?

    Liebe Grüsse

    Lyriost schreibt am 13.04.2010 um 08:37 Uhr:
    Lieber sternenschein, ich freue mich, dich Nachtmenschen hier mal wieder begrüßen zu können.

    Bei mir hieß das ähnlich: „Kinder, die was wollen, kriegen was auf die Bollen.“ Und das war nicht nur ein Spruch.

    Ich fürchte, wir müssen uns mit dem ewigen Leben abfinden, doch da wir es nicht mitbekommen werden, ist das Ganze nur halb so schlimm.

    Herzlich
    Ly

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