Säkulare Ethik

Die christlichen Morallehren haben sich als unzureichend erwiesen, die Schlachthöfe auf der Erde zu schließen und den Menschen ein verträgliches Miteinander schmackhaft zu machen, die Bergpredigt wird als Sonntagsrede betrachtet und nicht ernst genommen, und weder der Koran noch die Thora können dazu beitragen, die Quellen zu schließen, aus denen Menschenverachtung und Boshaftigkeit sprudeln wie Geysire. Ganz im Gegenteil: Fundamentalisten aller Glaubensrichtungen und Schattierungen graben die Hackebeilchen aus und wollen den Menschen ihre Moralvorstellungen notfalls mit Gewalt in die Köpfe transplantieren, und wenn die Köpfe nicht willig sind, dann werden sie eben abgeschlagen.

Was will man dem entgegensetzen? Keine Frage, wir brauchen eine säkulare humanistische Ethik, die locker über alle Fallstricke hinausschreitet und mit ihrer Schönheit und ihrer vollkommenen Gestalt ganz ohne Missionierung alle Welt beeindruckt und binnen kürzester Zeit universelle Gültigkeit erlangt, noch bevor die überall tickenden Zeitzünder abgelaufen sind. Doch woher soll eine solche Ethik kommen, wo ist das Fundament, auf dem sie sicher stünde, unangreifbar und für alle gleich gültig und von allen gleichermaßen akzeptiert? Wir selbst können uns ein eigenes Wertesystem schaffen, das nicht theonom ist, sondern seine Grundlagen in unserem Weltwissen, unseren Erfahrungen und Gefühlen hat. Dabei sind wir frei, in religiösen Vorstellungen wurzelnde Werte eklektisch in unser System zu übernehmen oder auch nicht.

Genau das tue ich. Die Frage ist nur: Weshalb sollte das jemand anderen interessieren? Wie allgemeingültig kann eine solche private Ethik sein? Und wenn wir überzeugt sein sollten, daß unsere säkulare Ethik – die sich wahrscheinlich von Fall zu Fall wenn nicht grundlegend, so doch zumindest en détail unterscheidet –, daß diese Ethik besser geeignet wäre als Überkommenes, um das Leben der Menschen zu erleichtern und Schlimmes zu verhüten, wie wollen wir das andern dann vermitteln, ohne selbst als Prediger und Missionar eines neuen Vernunftglaubens aufzutreten?

Dabei werden wir vermutlich schon genügend Probleme haben, uns selbst zu überzeugen, denn ein solides Fundament für eine universelle Ethik zu finden oder zu gießen (Stahlbeton sollte es schon sein), das ist gar nicht so leicht, wie es auf den ersten Blick erscheint.

4 Antworten auf „Säkulare Ethik

  1. Zwischenweltler schreibt am 11.04.2010 um 14:08 Uhr:
    Weshalb meinst Du, es braucht unbedingt eine allgmeingültige Ethik? Liegt da nicht schon wieder dieses ebeso alte, wie entwicklungshemmende Prinzip dahinter, alles menschliche Tun festen Regeln zu unterwerfen?
    Wenn jeder Mensch seine eine freie und individuelle Ethik entwickelt, und wir alle unseren Gedanken- und Prinzipienbrei in einen gemeinsamen Topf werfe, erhalten wir das, was Du universelle Ethik nennen würdest.
    Und im Grunde ist das nichts anderes als die Bildung eines kollektiven Bewußtsein – ein Effekt, der seit Menschengedenken existiert aber noch nie so richtig erforscht wurde.

    Lyriost schreibt am 11.04.2010 um 15:32 Uhr:
    Ja, lieber Zwischenweltler, kollektives Bewußtsein klingt interessant, aber zum einen haben zwar die Bienen und die Fische so etwas Ähnliches ausgebildet (die Menschen leben jedoch nicht in Schwärmen), und zum anderen ist auch denkbar, daß sich zum Beispiel ein kollektives Bewußtsein vom Unwert des Lebens über sechzig herausbildet mit der Folge, daß alle Älteren zu Hundefutter verarbeitet werden. So einfach ist das nicht mit dem kollektiven Bewußtsein. Ich denke, da ist äußerste Vorsicht angebracht. Außerdem glaube ich kaum, daß etwa ein christlicher oder muslimischer Fundamentalist, ein Neostalinist oder ein rechtsradikaler Kurzdenker bereit ist, mit mir zusammen etwas in einen Topf zu werfen. Ich übrigens auch nicht: moralisches Vorurteil. 😉

    Lyriost schreibt am 11.04.2010 um 17:08 Uhr:
    So, und nun noch zu deiner Frage, weshalb es einer allgemeingültigen Ethik bedarf. Wenn es nicht eine moralische Basis, einen Grundkonsens in einer Gesellschaft gibt, wie sollte dann die Judikative beschaffen sein, wie sollen Gesetze gerechtfertigt werden? Und daß es Handlungsbegrenzungen für den einzelnen wie auch für Gruppen geben muß, darüber wirst du doch wohl nicht im Zweifel sein. Ohne diese Beschränkungen gälte uneingeschränkt das Recht des Stärkeren. So etwas erleben wir ja immer wieder mal. Keine erfreuliche Aussicht, daß das die Regel werden könnte: Die Dinge regeln sich nicht durch allgemeine Bewußtseinserweiterung von selbst. Wo kein Bauer mit der Flinte wacht, da ist der Fuchs Stammgast im Hühnerstall.

    Zwischenweltler schreibt am 11.04.2010 um 17:51 Uhr:
    Du magst ja recht haben, und möglicherweise bin ich diesbezüglich ziemlich desillusioniert, aber schau Dich doch einmal um. Das Recht des Stärkeren wirkt doch bereits seit Jahrtausenden nahezu uneingeschränkt. Zeig mir bitte, wo eine wahrhaft ethische Rechtgebung und Rechtsprechung noch existiert.
    Ich glaube, mit der Ethik verhält es sich so, wie mit dem Duden: Sie gibt Verhaltens- und Handlungsempfehlungen vor. Im Endeffekt kann sie jedoch nur Veränderungen registrieren. Eine wahre Verbindlichkeit gibt es nicht und wir es nie geben.
    In diesem Sinne strebe ich nicht nach einer neuen Ethik, sondern nach den Menschen mit neuer Denkweise – ja, nach dem neuen Menschen schlechthin. Die „neue“ Ethik darf diesen Prozeß gerne beobachten und beschreiben und meinetwegen auch in formale oder moralische Regeln packen. Sie darf jedoch nicht zu einer neuen Religion mutieren.
    Ich bin naiv… ich weiß. Ich bin idealistisch… und wenn schon. Aber ich zähle zu denen, die ihren Idealen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zum Leben verhelfen – und zwar mit Erfolg. Das geht nicht ohne Kompromisse ab, aber es geht ohne Fundamentalismus und ohne viele Regeln.

    PS: Unter den Insekten gibt es selbstordnende Systme. Die habe jedoch so gut wie gar nichts mit kollektivem Bewußtsein gemein. Doch wir Menschen sind so beschränkt, daß wir noch nicht einmal annähernd das Selbstordnungsprinzip der Ameisen verstehen, geschwiege denn die Prozesse des kollektiven Bewußtseins, welches unser gesamtes Sozialverhalten bestimmt.

    Lyriost schreibt am 11.04.2010 um 19:05 Uhr:
    Das Bewußtsein tut sich halt schwer mit dem Erkennen des Bewußtseins – auch dessen der Insekten. Der Spiegel sieht sich nicht im Spiegel, weil er das Ding, in das er sieht, nicht als Spiegel begreift. 😉

    Zwischenweltler schreibt am 11.04.2010 um 19:33 Uhr:
    Grob gesagt: Der Mensch wird sich niemals begreifen können. Es sei denn, er revolutioniert seine Denkweisen grundsätzlich. Wobei ich darin wenig Hoffnung lege, weil wir am Ende auch biologisch begrenzt sind.
    Was wir jedoch schaffen könnten, wenn wir uns bemühten, wäre Kommunikation und Handeln soweit zu verändern, daß vielleicht nicht gleich eine völlig neue Ethik daraus erwächst, aber das Leben ein Stück lebenswerter wird.

    (Ich sag doch: unverbesserlicher Idealist 😉 )

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  2. Wenn du dir die Stahlbetongebäude der letzen Jahrzehnte anschaust, würde ich eher auf gewachsenen Stein setzen. Bin voll bei dir und ja, das wäre toll aber jeder ist mit sich selbst beschäftigt und die, die in Mission unterwegs sind, sind die Schlimmsten.

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  3. Lieber Castorp, gewachsener Stein klingt gut und natürlich besser als Beton, nur wenn wir das Übertragene aus dem Bild ins Reale zurückübertragen, stellt sich die Frage, wie man aus Gewachsenem etwas bauen soll, ohne es vorher zu zerstören. Leider ist gerade der gewachsene Stein (also die klassischen Moralen), wenn wir wieder ins Bild zurückgehen, mit der Zeit bis zur Nutzlosigkeit erodiert und in den überkommenen Strukturen obsolet geworden. Wir brauchen wohl irgendein noch unbekanntes Material oder eines, das sich als widerständig gegenüber allen möglichen Arten von Verschleiß zeigt.

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  4. Lieber Lyriost, du hast natürlich recht, im Grunde gibt es ja gar keinen gewachsenen Stein, außer vielleicht bei erstarrter Lava. Ja bildlich gesprochen gehe ich mit dir. Wir brauchen ein neues Material, wer weiß, vielleicht findet sich ja etwas. Viele Grüße Wolfgang

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