Ziehen am Gras

Klaus Werle schreibt in einem ansonsten ausgezeichneten Artikel im „Spiegel“ , in dem es um den mittlerweile verbreiteten Frühlernwahn geht, mit dem viele Eltern zunehmend versuchen, ihre Kleinkinder noch vor dem Krähen der Hähne in die Startlöcher des Erfolgs zu zerren, das Gras wachse nicht schneller, wenn man daran ziehe. Das ist paßgenau und ein schönes Bild für die Verrücktheit solcher kinderquälerischen Idiotie. Man denkt sich: Fein, der Mann hat Phantasie. Hat er aber nicht, er hat nur im Sprichwörterlexikon (wahrscheinlich online) nachgeschaut, ob er etwas Passendes findet. Und ist fündig geworden. „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“, so ein afrikanisches Sprichwort. Weshalb, frage ich mich, hat der Herr Werle nicht auf diesen Umstand hingewiesen und so getan, als sei ihm der Satz spontan selbst in den Sinn gekommen? Man wird nicht glaubwürdiger, wenn man derart trickst. Leider greift solcherart Unterlassung mittlerweile ebenso um sich wie das heimliche Ziehen am Gras.

Eine Antwort auf „Ziehen am Gras

  1. zartgewebt schreibt am 18.01.2010 um 13:10 Uhr:
    Hach, da lob` ich mir doch meine Kinderstube,
    da ich weder gezogen noch irgendwohin getreten wurde
    (ich besuchte übrigens keinen Kindergarten);
    ich DURFTE „Einfach nur spielen“.
    Mein großer Lehrmeister war die Natur
    und sie ist es … auch heute noch 😉

    Kräftig zuhause Mitanpacken (Zarte können das *jaja*),
    war zudem lehrreicher Standard, da wurde vom
    Kellergraben bis zum Dachdecken nichts ausgelassen 😉

    ~~~
    Dass Herr Werle den „Grassatz“ nur gepaust hat, kostet mich nur ein Lächeln, passiert mir ja auch hin und wieder 😉

    Lyriost schreibt am 18.01.2010 um 13:58 Uhr:
    Und du spielst ja auch heute noch gern, nicht nur mit Pauspapier … Und das Pauspapier wirfst du nicht heimlich weg. 😉

    Dr. B. Denken schreibt am 18.01.2010 um 16:20 Uhr:
    Lieber Lyriost,

    was noch fehlt:

    „… und im übrigen bin ich der Meinung, daß Zitatenräuber öffentlich ausgepeitscht werden sollen!“

    Wäre das in Ihrem Sinne, lieber Lyriost?

    Solche Strenge kleidet einen Cato, aber doch nicht — und das ist keine Ohrenbläserei — den weltläufigen Dichter und Bürger der Gelehrtenrepublik Lyriost!

    Lassen wir doch dem Herrn Werle das Verdienst, daß er uns so aus der Seele gesprochen hat … wo doch über das Gras bald schon Gras wächst.

    Und was uns selbst betrifft, segeln wir nicht oft auch unter falscher Flagge? Haben wir uns nicht, unwissentlich natürlich, schon so manche fremde Federn an den Hut gesteckt? Und rundheraus: Ist nicht das meiste von dem, was wir denken, schon gedacht worden? So daß alles letztlich Zitat ist?

    Ich fürchte, auch hier hat Kohelet recht:

    Nichts Neues unter der Sonne…

    Herzlich

    B. Denken

    Lyriost schreibt am 18.01.2010 um 21:46 Uhr:
    Lieber B. Denken,

    ich finde, es reicht, wenn wir den armen Afrikanern für Peanuts die Bodenschätze abluchsen, wir müssen ihnen nicht auch noch die Sprichwörter klauen.

    Grundsätzlich soviel: Gewöhnlich wird in meiner Gedankenkäserei die Milch vieler Kühe verwendet, und wenn der Käse, den ich produziere, reif genug ist, um ihn zu vermarkten, dann weiß ich auch nicht mehr in jedem Falle die Namen aller Milchspender, so daß ich sie nicht immer nennen kann – der Käse aber ist dann ohnehin meiner, hat eine ganz persönliche Note. Wenn ich jedoch, um den Reifeprozeß abzukürzen, zum Fremdkäse greife, dann kann ich zwar auch nicht die Kühe mit Namen nennen, aber doch den des Käsers. Und das tue ich – aus Respekt vor seiner Leistung. Das mag kleinlich erscheinen, meinetwegen, sei’s drum.

    Obwohl ich mich manchmal im Labyrinth von „Zettels Traum“ verirre und den dystopischen Ansatz der „Gelehrtenrepublik“ für realistischer halte als die meisten Utopien, möchte ich kein Bewohner der Schmidtschen Insel sein, sondern betrachte mich eher als kastalischen Glasperlenspieler. Die zeitweilige Strenge, die Sie an Cato denken läßt, ist berufsbedingt, aber ich wende sie darüber hinaus im Gegensatz zu diesem in erster Linie bei mir selbst an.

    Herzliche Grüße
    Lyriost

    Lyriost schreibt am 18.01.2010 um 22:52 Uhr:
    Da fällt mir ein: Man könnte das Ziehen am Gras auch anders interpretieren, dann hätte es durchaus Sinn. 😉

    Unbreakable schreibt am 18.01.2010 um 23:10 Uhr:
    Könnte es nicht sein, lieber Lyriost, dass Herr W. das Gras-Zitat in der Annahme benutzte, dass dem Leser dieses als geflügeltes Wort hinlänglich bekannt ist? Mir jedenfalls ist es nicht neu.
    Liebe Grüße
    Unbreakable

    zartgewebt schreibt am 18.01.2010 um 23:10 Uhr:
    Muss nicht sein … das am Gras ziehen,
    da fängt`s nur an zu rauchen, auch wird
    es mit der Zeit kürzer 😉

    Lyriost schreibt am 18.01.2010 um 23:22 Uhr:
    Na ja, Unbreakable, „geflügeltes Wort“ wohl eher nicht, das hieße zum allgemeinen Sprachgebrauch zu gehören und/oder im Büchmann verzeichnet zu sein. Der Gras-Satz ist ja auch ein Sprichwort und kein literarisches Zitat.

    Liebe Grüße
    Lyriost

    Soso, zartgewebt weiß Bescheid – nicht nur über die Gräser in den Bergen. 😉
    zitieren
    Unbreakable schreibt am 18.01.2010 um 23:32 Uhr:
    Hach… wer ist denn jetzt schon wieder Büchmann? (Danke, ich kann schon googeln.) Dann ist der „Götz“ eher ein literarisches Zitat, das zum geflügelten Wort wurde? Oder war es ein geflügeltes Wort und wurde dann zum Zitat?

    Werd ich es nach einem tiefen Zug am Gras wissen?

    Fragen über Fragen. ;o)

    zartgewebt schreibt am 18.01.2010 um 23:42 Uhr:
    Was deine zweite Interpretation (5.) anbelangt Lyriost, ist das Wissen zwar vorhanden, nicht aber die Erfahrung.
    Das macht einen erheblichen Unterschied 😉

    Unbreakable schreibt am 19.01.2010 um 23:00 Uhr:
    Soeben lese ich „Über das Sehen“

    Den andern durchschaun
    heißt nicht ihn erkennen.
    Wer sieht die Scheibe?

    Wenn du hindurchschaust
    siehst du höchstens Schmutz.

    Wenn du hindurchschaust, denkst du auch manchmal, das Glitzern der Regentropfen sei das Strahlen der Seele …

    … und manchmal ist es das auch.

    Lyriost schreibt am 19.01.2010 um 23:19 Uhr:
    Zuviel Schmutz auf der Scheibe, um Tieferliegendes zu erkennen, Hängenbleiben im Äußerlichen, wenn es nicht gar eine Milchglasscheibe ist. 😉

    Unbreakable schreibt am 19.01.2010 um 23:23 Uhr:
    … mit einem bisschen guten Willen und einem bisschen weniger Moral …. äh.. wird aus Milch Quark?

    😉

    Lyriost schreibt am 19.01.2010 um 23:27 Uhr:
    Vor allem mit Bakterien.

    Unbreakable schreibt am 19.01.2010 um 23:30 Uhr:
    auch noch Wissenschaftler … da kann ich nur verlieren …

    … oh wie wohl ist mir …. 😉

    Lyriost schreibt am 19.01.2010 um 23:31 Uhr:
    … und der Wille ist nie gut oder schlecht, sondern durch Moral gefärbt. Die Moral ist wandelbar. Der Wille will.

    Unbreakable schreibt am 19.01.2010 um 23:32 Uhr:
    Wenn die Moral vorschreibt, was der Wille zu wollen hat, was nutzt uns der Wille?

    Lyriost schreibt am 19.01.2010 um 23:34 Uhr:
    Verlieren kann nur, wer gewinnen will. Ansonsten: Wohl sein. 😉

    Unbreakable schreibt am 19.01.2010 um 23:37 Uhr:
    Mir ist wohl.
    Gehab dich wohl, Lyriost. 🙂

    Lyriost schreibt am 19.01.2010 um 23:55 Uhr:
    „Die Moral“ kann dem Willen nichts vorschreiben. Sie versucht nur, ihn zu domestizieren.

    Unbreakable schreibt am 20.01.2010 um 23:08 Uhr:
    Sie versucht es doch nicht nur. Der Wille folgt der Moral (in den meisten Fällen), weil er (nicht der Wille, sondern der Mensch) nicht anders kann.

    Lyriost schreibt am 20.01.2010 um 23:20 Uhr:
    Liebe Unbreakable, der Wille, den du meinst, ist nur ein Möchtegern. 😉

    Unbreakable schreibt am 20.01.2010 um 23:26 Uhr:
    Lieber Lyriost, es gibt viele Möchtegerns auf dieser Welt. 😉

    Lyriost schreibt am 20.01.2010 um 23:27 Uhr:
    Aber nur einen Willen.

    Unbreakable schreibt am 20.01.2010 um 23:35 Uhr:
    Ok – definiere Willen.

    Lyriost schreibt am 20.01.2010 um 23:43 Uhr:
    Wille ist das, was alles antreibt. Was die Sonne zum Glühen bringt und dich zum Atmen.

    Unbreakable schreibt am 20.01.2010 um 23:53 Uhr:
    Das, lieber Lyriost, klingt sehr poetisch. Schön.

    Unbreakable schreibt am 20.01.2010 um 23:54 Uhr:
    P.S:
    Zu heftigem Atmen bringt mich aber anderes … äh…. glaub ich.

    Lyriost schreibt am 21.01.2010 um 00:00 Uhr:
    Aha. Und dahinter steckt, na, wer wohl? Richtig. 😉

    Unbreakable schreibt am 21.01.2010 um 00:04 Uhr:
    Neeeeeeeeeee …. dat is der … äh …. Instinkt. 😉

    Lyriost schreibt am 21.01.2010 um 00:10 Uhr:
    Und woher kommt der Instinkt? Der Instinkt ist ein Trieb, und der Antreiber des Triebs ist …

    Unbreakable schreibt am 21.01.2010 um 00:13 Uhr:
    lach … ja ja ja ja …. aber (ABER) dann ist der Wille Instinkt und umgekehrt … was sind wir aber auch triebgesteuert, wenn die Moral uns lässt.

    Lyriost schreibt am 21.01.2010 um 00:28 Uhr:
    Kristalle haben keinen Instinkt, aber sie wachsen trotzdem.

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