Selbstmitleid ist der Gram des Zukurzgekommenen oder Beschnittenen über seinen Zustand. In seinen Tagträumen gottgleich allmächtig, erfährt er sich im wirklichen Leben als mißachtet, benachteiligt und ohnmächtig, gefangen im Spinnennetz einer von ihm als feindlich empfundenen Umwelt. Wie der Trauernde, beklagt er einen Verlust, jedoch nicht den realen Verlust eines geliebten Menschen, sondern den seiner träumerisch imaginierten Macht über die Welt der Objekte, zu denen er insgeheim auch die anderen Menschen zählt. Bleibt er mit seinem larmoyanten Lamento bei sich selbst, so wird es ihm bisweilen gelingen, sein Selbstmitleid als melancholische Gestimmtheit zu bejahen, es künstlerisch umzusetzen und daraus neues Selbstwertgefühl zu schöpfen.
Wenn demgegenüber die gedrückte Stimmung zur Schau gestellt wird, immer ostentativeren Charakter annimmt, das Selbstmitleid also appellativ zu funkeln beginnt, wird deutlich: Solcherart Selbstmitleid ist ein Versuch, diejenigen, von denen der Zukurzgekommene sich mißachtet fühlt, auf sich aufmerksam zu machen und sie zu sich heranzuziehen. Gelingt dies, was eher selten der Fall ist, schlägt das Benachteiligungsgefühl um in narzißtischen Triumph. Gelingt dies nicht, führt diese Form des Selbstmitleids häufig zu Zorn, Wut und Vergeltungsphantasien, mindestens jedoch zu einer ausgeprägten Verbitterung.
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