Intelligenztests

Intelligent ist man, wenn man die Fähigkeit besitzt, den Glauben an die eigene geistige Größe als aus Unwissenheit geboren zu betrachten und den dadurch eingeleiteten Schrumpfungsprozeß zu begrüßen. Wenn man dann noch beginnt, Intelligenztests als lächerliche Inszenierung anzusehen, bei denen sich die Inferioritätskomplexe der Tester und der positiv Getesteten zu wahnhaften Größenphantasien verdichten, während die Verbildeten in die für sie vorgesehenen Minusförmchen gepreßt werden, dann ist man schon beinahe auf dem Weg zur Weisheit. Als vermindert intelligent betrachte ich den, der in die vorgestanzten Plusförmchen paßt und der an die Aussagekraft von Intelligenztests glaubt. Also den, der positiv paßt.

Klare Sprache

Wenn man genug in Mülltonnen nach den Perlen gekramt hat, die so manche Herren Philosophen zu ihrer Belustigung und zur Abgrenzung vom gemeinen Volk hineingeworfen haben, merkt man irgendwann, daß diese Suche nicht nur schmutzige Hände macht, sondern auch Lebenszeit kostet. Deshalb ziehe ich heute die Denker mit der klaren Sprache entschieden vor.

Welthaltigkeit – Teil II

Ursprünglich als Instrument für die Beurteilung der Weltwahrnehmung im Roman gedacht, habe ich einen Kriterienkatalog entwickelt, der sich, wie ich meine, auch auf andere Textsorten anwenden läßt. Die zu Text geronnene Weltwahrnehmung eines Schriftstellers, einer Schriftstellerin, eines schreibenden Transsexuellen oder eines textproduzierenden Kindes (ich hoffe, niemanden vergessen zu haben) läßt sich folgendermaßen kategorisieren:

Wahrnehmung und Reflexion der Welt als

1. kosmisches physikalisches Geschehen oder Sein (mit Erkenntnistheorie und Grundlagenwissenschaft, Chaostheorie);

2. ökologisch-evolutionäres Naturgeschehen (mit anthropologischer Entwicklung);

3. politisch-sozial organisiertes und verwaltetes Wirtschaftsgefüge (mit Kampf ums Überleben, um Ideologien, Ressourcen, Macht und Status);

4. historisches Ereignis, kulturell-zivilisatorisches Experiment mit Provisoriumscharakter (mit Entwicklung von Mythos, Religion, Ethik und Moral, mit Geschichtsteleologie, Eschatologie, Utopie);

5. als Heimat oder Unbehaustheit der Subjekte (Ort der Gefährdung des einzelnen und Projektionsfläche seiner Wünsche und Spielplatz zur Bedürfnisbefriedigung);

6. als Entität, die auf ein Tieferes hinweist (mit Seins- und Lebensphilosophie, kollektiven Archetypen, morphischen Feldern etc.)

 

Dieses Schema, dessen Kategorien sich in der Praxis ganz unschematisch überlappen, ja überdecken können, beinhaltet, so meine ich, alle möglichen Perspektiven eines Autors, die er einnehmen könnte, um die Welt zu betrachten und zu beschreiben, gleich ob er sie nun, je nach Erfahrung, Status und Blickwinkel, eher als Schädelspaltanstalt, als Experiment mit offenem Ausgang oder als Vorstufe des Paradieses oder der Hölle wahrnimmt.

Ob er ihre Ränder am Spiegelrand überhaupt bemerkt und wie weit er über die Schreibtischecken und die Cappuccinotasse hinaussieht, das ist, mit diesen Kriterien bewaffnet, leicht in Erfahrung zu bringen, und so haben wir schnell eine Antwort auf die Frage nach der »Welthaltigkeit« eines Textes.

Die blöde Böe

Über »Segel auf Butterfly« von Vea Kaiser

Das Lexikon der maritimen Terminologie liegt auf dem Schreibtisch bereit, und das Abenteuer kann beginnen. Nun ja, das Abenteuerchen, denn man steuert nicht aufs offene Meer, sondern, bescheiden, wie man ist, »aufs offene Wasser«, immerhin also keine Fahrt in der geschlossenen Flasche, kein Ritt auf dem Buddelschiff.

Bevor es richtig losgehen kann, muß der Hintergrund beschrieben werden, denn das Ganze soll ja mehrschichtig daherkommen. Also werden im folgenden die Großeltern, aus deren Erbmasse das Segelbötchen stammt, von der höheren Warte jugendlicher Selbstüberschätzung gehörig durch den Kakao gezogen, ihre romantische Lebenseinstellung »enttarnt«. Verhöhnt, sollte man besser sagen. Zu dieser Verhöhnung gehört die Depersonalisierung im sprachwitzresistenten Dümmlichjargon: »Wir dachten, unsere Großeltern wären unkaputtbar«, weil sie nicht, wie andere Alte, »im Lift zu Blut-Lungen- und Stuhluntersuchungen emporgebracht wurden«. (Natürlich wird niemand zu einer Stuhluntersuchung irgendwo hingebracht, sondern das Darmmus ins Labor geschickt, doch woher soll ein junger Mensch das wissen? Und Blut-Lungen-Untersuchungen gibt es ebenfalls nur in der Phantasie von medizinisch Unbedarften.) Aber nein: »Totalschaden an Auto und Großeltern.«

Der Beitrag ist eine Sammlung von Klischees und nichtdurchdachten sprachlichen Bildern (z. B. »Packung Silikonbrüste« statt Kunsttittenfrau als mißlungene Metonymie). Man merkt, wie verzweifelt um den Anschein von Originalität gekämpft wird.

Bei aller demonstrativen Coolness gibt es aber auch »Tränen auf Pfirsichwangen«, Kirschgeruch und pflaumenfarbene und knallpinke Haarentferner und allerlei andere Kitschelemente wie das »Höschen auf dem Kopf« aus dem Handbuch »Wie schreibe ich eine erotische Erzählung?«

Zur Sprache: Das »unkaputtbar« hatte ich bereits erwähnt. »Als wir the first time in meinem Teakholzbett lagen« ist auch nicht ohne, ebensowenig die »ultimative« Traumfrau. Was sollte eine Traumfrau anderes sein als »ultimativ«? Alles schwächelt sprachlich genauso vor sich hin wie inhaltlich. »Urst blöde.« Beinahe schon urkomisch.

Die Erzählperspektive ist: »Ich, die ich«. Das sagt viel. Rechtschreibung und Zeichensetzung mangelhaft. Auch das sagt einiges.

Am Ende der Geschichte wird als Pointenersatz noch ein Filmzitat aus »The Big Lebowski« aufgeboten: Asche wird verstreut. Doch im Gegensatz zum Film nicht aufs eigene Haupt. Und über der kleinmaritimen Szene brennt nur gratwandernd die »gradwandern«de Sonne und weht die »blöde Böe«, aber nicht ein Hauch von Selbstironie. Nicht mal ironisches Fremdeln.

»Welthaltigkeitsfaktor« null Komma fünf von zehn. Es kommen andere Menschen vor, ein Flugzeug wird erwähnt und daß es Hippies (»Sonnenblumenmasche«) gegeben hat.