Der Asket, der sich den Genüssen der Welt entzieht und sich selbst freudig für das Prokrustesbett, in dem geschlafen, aber nicht beigeschlafen wird, durch freiwillige Beschneidung in Form bringt, ist ein Roßtäuscher, wie man früher sagte. Diese Art von Askese ist ein billiger Trick, um den sinnenfrohen Zeitgenossen Sand in die Augen zu streuen. In Wirklichkeit ist der Asket beim Graben im eigenen Ich auf seine masochistische Ader gestoßen und hat bemerkt, welch unvergleichlich große Lust ihm Fasten und Enthaltsamkeit bescheren. Der Verzicht auf Lustbefriedigung ist scheinheilig vorgetäuscht. Es findet lediglich eine vom aufmerksamen Beobachter leicht zu durchschauende Genußverschiebung statt. Der größte Lustgewinn für den Asketen besteht jedoch nicht in der Befriedigung seiner selbstquälerischen Neigungen, der eigentliche Kick wird ausgelöst durch die Bewunderung, die ihm durch das leichtgläubige Publikum zuteil wird, das so verzückt auf die präsentierten Wundmale oder Verzichtsspuren starrt, daß es die beifallheischenden, linkischen Seitenblicke des Asketen nicht bemerkt.
Wahre Askese, wenn man es so nennen und sich nicht mit dem weniger spektakulären Wort Selbstbeschränkung zufriedengeben will, ist nicht der relativ schmerzlose Verzicht auf den Genuß, sondern vielmehr die Reduktion des Genusses auf das individuell Zuträgliche, so wie es viel einfacher ist, mit dem Rauchen gänzlich aufzuhören, als es auf ein Minimum zu beschränken.
Der Philosoph Antisthenes, dessen Name gern mit dem Begriff der Askese in Verbindung gebracht wird, war sicherlich ein Asket der zweiten Art, und man wird ihm nicht gerecht, wenn man ihn für einen simplen »ledrigen« (B. Denken) Dionysosverächter hält.