Normal dumm

Es heißt, wer dumm sei, denke weniger nach. Doch woher will man wissen, daß jemand, der »dumm ist« – was immer das für ein Zustand sein soll und wie immer der zu definieren wäre –, daß also ein Dummer weniger nachdenkt? Vielleicht ist der Dumme nur scheinbar dumm und redet nur weniger über sein Nachdenken, weil er davon ausgeht, andere hielten sich für klüger und könnten sich möglicherweise über seine Gedanken, die eventuell gar nicht so dumm sind, amüsieren. Das wäre übrigens ziemlich klug gedacht von dem angeblich Dummen.

Und wenn ich mir die Horde von klugscheißenden Plapperern anschaue, die heute in den Medien geräuschvoll eine Fülle von Gedanken ausfurzen, ganz am Beginn des notwendigen Gärprozessses, und morgen bereits wieder mit neuen, kumulusartigen Gedankengebilden schwanger gehen, dann habe ich sehr große Zweifel, daß bei tatsächlich Dummen Gedankenarmut herrscht. Es ist wohl nicht so sehr die Fülle, an denen es den Dummen mangelt, ja nicht mal die Form; vielmehr fehlt es an Tiefe und Substanz.

Man sieht, die Definition von Klugheit und Dummheit scheint nicht ganz so einfach zu sein, wie allgemein glauben gemacht wird, und unter denen, die sich für klug halten, grassiert Dummheit mindestens ebensosehr wie unter denen, die glauben, sie wären dumm.

Ziemlich sicher ist jedoch die Frage nach der Dummheit nur perspektivisch zu beantworten und nicht mit dem Maßstab des sogenannten Normalen zu messen, denn ich kann mir ohne Mühe eine Perspektive vorstellen, von der aus das »Normale« als dumm zu betrachten ist.

Unverbesserlicher Optimismus

Wären wir auch noch so gern endlich reif genug, um Pessimisten sein zu können, zeigt sich doch tagtäglich, wie unverbesserlich optimistisch wir sind: Wir atmen die Luft, hoffend daß wir damit unseren Bedarf an Sauerstoff stillen können, wir gehen des Abends ins Bett in der Hoffnung, am nächsten Tag sei die Welt noch da und wir in der Lage, unsere Ruhestatt zu verlassen und im Leben mitzutun. Wir frühstücken, hoffend, Hunger und Durst zu stillen, und begrüßen die anderen freundlich, auch weil wir davon ausgehen, daß sie uns ebenso wohlgesinnt gegenübertreten wie wir ihnen. Wir sind optimistisch genug, daß die Blechbüchse, in die wir klettern, uns zuverlässig zu dem Ort bringen wird, zu dem wir wollen, ohne an der nächsten Ecke an einer anderen Blechbüchse hängenzubleiben, und wir erwarten nicht, daß uns ein Dachziegel oder ein schlecht gesicherter Blumentopf auf den Kopf fällt, wenn wir auf dem Trottoir an Häusern entlanglaufen.

Noch der, den man Selbstmörder nennt, ist ein unverbesserlicher Optimist, wenn er sich tötet, denn er geht davon aus, daß es ihm nach der Tat bessergehen wird als zuvor.

Haarscharf daneben

Das alleinstehende Kompositum haarscharf (»Das war haarscharf«) ist wortsemantisch betrachtet nicht nur haarscharf daneben. Wahrscheinlich ist die Konnotation dabei nicht modisch begründet (»Die Braut hat scharfe Haare«), sondern aktualisiert das scharfe Gerät, mit dem die Haare gestutzt und gestumpft werden. Noch wahrscheinlicher ist, daß die Sprecher nur zu faul sind, das »daneben« danebenzustellen. Sprachökonomisch begründete Bequemlichkeit.

Ich und Man

Einer ist um so mehr ein Ich, je weniger er denkt, was man denkt. Doch je mehr einer Ich ist, desto komplexer erscheinen die Strukturen dessen, von dem er sich unterscheidend als Ich abzusetzen trachtet. Die Pflege des Man ist also eine Komplexitätsreduktion zur Entlastung des Ich, gleichzeitig destruiert es nach Kräften die Herausbildung eines Ich-Bewußtseins. Dieses Ich-Bewußtsein jedoch ist die Voraussetzung dafür, daß einer stehenbleibt, wenn die Herde davongaloppiert. Ist das Stehenbleiben dennoch einmal gelungen, wird das Ich sehr bald bemerken, daß in seinem Innern etwas zerrt und rumort: die innere Herde.

Bewußtsein und Instinkt

Wenn das Bewußtsein so sehr getrübt ist, daß die Dunkelheit mit ihren schwarzen Händen die Lichter zu löschen beginnt, springt rechtzeitig die Notbeleuchtung an: der Instinkt. Oder andersherum: Wenn das Bewußtsein bei fünfhundert Watt Leistung angelangt ist, gerät der Instinkt zur Funzel, so wie das Licht des Nachttischlämpchens von der Morgensonne zum Frühstück verspeist wird.

Aus sicherer Quelle

Aus sicherer Quelle, also gewöhnlich gutunterrichteten politischen Kreisen des demokratischen Widerstands, habe ich erfahren, daß Donald Duck und Fix und Foxi die Corona-Geschichte angezettelt haben, weil sie gemeinsam die Weltherrschaft anstreben. Die Fäden im Hintergrund ziehen Dagobert Duck und der Golem. Weitersagen. Es geht um unsere Freiheit, jederzeit soviel Blödsinn zu machen, wie wir wollen. Und zwar ohne diese bescheuerte Maske vor der hübsch-häßlichen Visage. Kämpfen wir dafür, daß wir uns beim Verdummen bald wieder medizinisch unwirksam vermummen dürfen.

Intelligenztests

Intelligent ist man, wenn man die Fähigkeit besitzt, den Glauben an die eigene geistige Größe als aus Unwissenheit geboren zu betrachten und den dadurch eingeleiteten Schrumpfungsprozeß zu begrüßen. Wenn man dann noch beginnt, Intelligenztests als lächerliche Inszenierung anzusehen, bei denen sich die Inferioritätskomplexe der Tester und der positiv Getesteten zu wahnhaften Größenphantasien verdichten, während die Verbildeten in die für sie vorgesehenen Minusförmchen gepreßt werden, dann ist man schon beinahe auf dem Weg zur Weisheit. Als vermindert intelligent betrachte ich den, der in die vorgestanzten Plusförmchen paßt und der an die Aussagekraft von Intelligenztests glaubt. Also den, der positiv paßt.

Klare Sprache

Wenn man genug in Mülltonnen nach den Perlen gekramt hat, die so manche Herren Philosophen zu ihrer Belustigung und zur Abgrenzung vom gemeinen Volk hineingeworfen haben, merkt man irgendwann, daß diese Suche nicht nur schmutzige Hände macht, sondern auch Lebenszeit kostet. Deshalb ziehe ich heute die Denker mit der klaren Sprache entschieden vor.

Welthaltigkeit – Teil II

Ursprünglich als Instrument für die Beurteilung der Weltwahrnehmung im Roman gedacht, habe ich einen Kriterienkatalog entwickelt, der sich, wie ich meine, auch auf andere Textsorten anwenden läßt. Die zu Text geronnene Weltwahrnehmung eines Schriftstellers, einer Schriftstellerin, eines schreibenden Transsexuellen oder eines textproduzierenden Kindes (ich hoffe, niemanden vergessen zu haben) läßt sich folgendermaßen kategorisieren:

Wahrnehmung und Reflexion der Welt als

1. kosmisches physikalisches Geschehen oder Sein (mit Erkenntnistheorie und Grundlagenwissenschaft, Chaostheorie);

2. ökologisch-evolutionäres Naturgeschehen (mit anthropologischer Entwicklung);

3. politisch-sozial organisiertes und verwaltetes Wirtschaftsgefüge (mit Kampf ums Überleben, um Ideologien, Ressourcen, Macht und Status);

4. historisches Ereignis, kulturell-zivilisatorisches Experiment mit Provisoriumscharakter (mit Entwicklung von Mythos, Religion, Ethik und Moral, mit Geschichtsteleologie, Eschatologie, Utopie);

5. als Heimat oder Unbehaustheit der Subjekte (Ort der Gefährdung des einzelnen und Projektionsfläche seiner Wünsche und Spielplatz zur Bedürfnisbefriedigung);

6. als Entität, die auf ein Tieferes hinweist (mit Seins- und Lebensphilosophie, kollektiven Archetypen, morphischen Feldern etc.)

 

Dieses Schema, dessen Kategorien sich in der Praxis ganz unschematisch überlappen, ja überdecken können, beinhaltet, so meine ich, alle möglichen Perspektiven eines Autors, die er einnehmen könnte, um die Welt zu betrachten und zu beschreiben, gleich ob er sie nun, je nach Erfahrung, Status und Blickwinkel, eher als Schädelspaltanstalt, als Experiment mit offenem Ausgang oder als Vorstufe des Paradieses oder der Hölle wahrnimmt.

Ob er ihre Ränder am Spiegelrand überhaupt bemerkt und wie weit er über die Schreibtischecken und die Cappuccinotasse hinaussieht, das ist, mit diesen Kriterien bewaffnet, leicht in Erfahrung zu bringen, und so haben wir schnell eine Antwort auf die Frage nach der »Welthaltigkeit« eines Textes.

Die blöde Böe

Über »Segel auf Butterfly« von Vea Kaiser

Das Lexikon der maritimen Terminologie liegt auf dem Schreibtisch bereit, und das Abenteuer kann beginnen. Nun ja, das Abenteuerchen, denn man steuert nicht aufs offene Meer, sondern, bescheiden, wie man ist, »aufs offene Wasser«, immerhin also keine Fahrt in der geschlossenen Flasche, kein Ritt auf dem Buddelschiff.

Bevor es richtig losgehen kann, muß der Hintergrund beschrieben werden, denn das Ganze soll ja mehrschichtig daherkommen. Also werden im folgenden die Großeltern, aus deren Erbmasse das Segelbötchen stammt, von der höheren Warte jugendlicher Selbstüberschätzung gehörig durch den Kakao gezogen, ihre romantische Lebenseinstellung »enttarnt«. Verhöhnt, sollte man besser sagen. Zu dieser Verhöhnung gehört die Depersonalisierung im sprachwitzresistenten Dümmlichjargon: »Wir dachten, unsere Großeltern wären unkaputtbar«, weil sie nicht, wie andere Alte, »im Lift zu Blut-Lungen- und Stuhluntersuchungen emporgebracht wurden«. (Natürlich wird niemand zu einer Stuhluntersuchung irgendwo hingebracht, sondern das Darmmus ins Labor geschickt, doch woher soll ein junger Mensch das wissen? Und Blut-Lungen-Untersuchungen gibt es ebenfalls nur in der Phantasie von medizinisch Unbedarften.) Aber nein: »Totalschaden an Auto und Großeltern.«

Der Beitrag ist eine Sammlung von Klischees und nichtdurchdachten sprachlichen Bildern (z. B. »Packung Silikonbrüste« statt Kunsttittenfrau als mißlungene Metonymie). Man merkt, wie verzweifelt um den Anschein von Originalität gekämpft wird.

Bei aller demonstrativen Coolness gibt es aber auch »Tränen auf Pfirsichwangen«, Kirschgeruch und pflaumenfarbene und knallpinke Haarentferner und allerlei andere Kitschelemente wie das »Höschen auf dem Kopf« aus dem Handbuch »Wie schreibe ich eine erotische Erzählung?«

Zur Sprache: Das »unkaputtbar« hatte ich bereits erwähnt. »Als wir the first time in meinem Teakholzbett lagen« ist auch nicht ohne, ebensowenig die »ultimative« Traumfrau. Was sollte eine Traumfrau anderes sein als »ultimativ«? Alles schwächelt sprachlich genauso vor sich hin wie inhaltlich. »Urst blöde.« Beinahe schon urkomisch.

Die Erzählperspektive ist: »Ich, die ich«. Das sagt viel. Rechtschreibung und Zeichensetzung mangelhaft. Auch das sagt einiges.

Am Ende der Geschichte wird als Pointenersatz noch ein Filmzitat aus »The Big Lebowski« aufgeboten: Asche wird verstreut. Doch im Gegensatz zum Film nicht aufs eigene Haupt. Und über der kleinmaritimen Szene brennt nur gratwandernd die »gradwandern«de Sonne und weht die »blöde Böe«, aber nicht ein Hauch von Selbstironie. Nicht mal ironisches Fremdeln.

»Welthaltigkeitsfaktor« null Komma fünf von zehn. Es kommen andere Menschen vor, ein Flugzeug wird erwähnt und daß es Hippies (»Sonnenblumenmasche«) gegeben hat.

Gehirn und Kohle

Obgleich eine Ladung Stroh beschwingter brennt als ein Haufen Briketts, gleicht das menschliche Gehirn eher einem Kohlemeiler als dem Strohfeuer in einem Biomasse-Kraftwerk: Die Effizienz bei Gehirn und Kohle ist gering, weil von der reichlich genutzten Masse wenig nutzbringender Gebrauch gemacht wird oder werden kann. Außerdem ist der Betrieb bei beiden extrem umwelt- und klimaschädlich.

Gold

Der eigentliche Wert des Goldes besteht darin, daß sein Wert, wie auch der Wert vieler anderer materieller und immaterieller Erscheinungen, maßlos überschätzt wird. Und da gering ausgeprägtes Urteilsvermögen, Gier und schlechter Geschmack krisensicher sind, ist es auch das Gold.

Zum deutschsprachigen Literaturnachwuchs I (2009)

»Welthaltig«, so Ursula Krechel »… ist dieses Literaturjahr.« Und nicht nur sie sprach vom Welthaltigen. Aber was unter »Welthaltigkeit«, diesem diffusen Zauberwort der Feuilletons, zu verstehen sein soll und ob es mehr ist als ein ausgelutschtes Anforderungstereotyp des Literaturbetriebs, sagte sie nicht, und auf Nachfrage konnte mir keiner derjenigen, mit denen ich am Abend der Preisverleihung beim diesjährigen »open mike« darüber gesprochen habe, mit etwas anderem als einer Ex-negativo-Definition aufwarten: hinausgehen über die Selbstbespiegelung, heraustreten aus dem Persönlichen, Wahrnehmung der Welt jenseits von Zweierbeziehungsdissonanzen.

Der Begriff »Welthaltigkeit« stammt nicht, wie man glauben könnte, von Heidegger (der spricht von »Welterschließung«), sondern wurde wirkmächtig durch die »Theorie des Romans« von Georg Lukács, dem einflußreichen marxistischen Literaturtheoretiker.

Was aber ist welthaltige Literatur? Wo findet sich Welthaltigkeit? Ist es, wie Klaus Siblewski sagt, das Einfügen einer Erzählung in große welthistorische Kulisse, die für Welthaltigkeit sorgt, oder ist es vielmehr die persönliche Welterschließung des Schreibenden, die im Text deutlich wird? Oder kann Welthaltigkeit gar eine Art antikapitalistischer Realismus sein, die möglichst exakte Beschreibung von Nahrungsaufnahme und Verdauung der Zivilisation als einer »alten Sau mit Zahnfäule«, wie Ezra Pound das mal genannt hat? Wäre die Schilderung der Weltreise einer intelligenten Küchenschabe auf einem Bananendampfer ein Zeichen von Welthaltigkeit?

Ursula Krechel und andere haben den Wettbewerbstexten Welthaltigkeit bescheinigt. Ich habe solches trotz großzügiger Definitionsdehnung jedoch nur bei wenigen Texten wahrgenommen. Mir scheint, Welthaltigkeit wird gern mit tatsächlicher oder auch nur vorgetäuschter Weltläufigkeit verwechselt, etwa unmotivierter Anglizismenakkumulation oder exotischer Kulissengestaltung.

 

Nachtrag vom 17. November: Mit Ausnahme der FR ist die Berichterstattung in der Presse weitgehend kenntnisfrei, und überwiegend wird nachgeplappert, was man von Lektoren und Jurymitgliedern aufgeschnappt hat, und freihändig dazugereimt. Den Vogel dabei hat Annabelle Seubert im Tagesspiegel abgeschossen, die mitteilt: »Mahlke und Senkel, die beiden vielversprechendsten Talente dieses Open Mike, fielen durch einfache Dialoge und klare Strukturen auf.«

Mir ist Matthias Senkel dadurch positiv aufgefallen, daß er auf Dialoge gänzlich verzichtet hat.

Mutter

Ich schaue nicht
aus deinen Augen
doch du aus meinen
ohne es zu merken
um all die Lichter
einzusaugen
die Dunkelheit zum
Bild verstärken.

Ich bin aus dir
emporgestiegen
und lasse doch
fast nichts zurück.
Nur aus der Ferne
spürst du manchmal
den einen oder
andern Blick.

Selbstironie

Gelegentlich selbstironisch zu sein ist die Ratenzahlung eines Autors für die Versicherung gegen die mögliche üble Nachrede, er nähme sich selbst zu wichtig, und mit diesem Obulus zeigt er, wie wichtig er die andern nimmt. Beides wird er auf Nachfrage selbstverständlich vehement bestreiten und erklären, wichtig sei ihm ausschließlich sein Werk, mit dem er sich voll identifiziere. Ob die Versicherung auch das abdeckt?