»Warme Temperaturen«

Bei jedem zweiten Wetterbericht höre ich seit Jahrzehnten Meteorologen oder Nachrichtensprecher von »warmen Temperaturen« oder dergleichen reden. In Zeitungen, Romanen, im persönlichen Gespräch: überall milde Temperaturen, eisige, unerträgliche. 

Tatsächlich aber wird die Beschaffenheit, der »Charakter« der Luft auf der Haut oder besser im Gehirn als mild, warm oder lau empfunden oder auch als kühl oder eisig; die Temperatur dagegen ist qualitätlos, ein Punkt auf einer Maßskala, also nicht irgendwie beschaffen, sondern ist hoch oder niedrig oder »liegt« (besonders beim horizontalen Thermometer) bei 22 Grad.

Temperatur ist nicht mild oder kühl oder eisig. Nur ein Objekt kann einen Charakter haben. Temperatur jedoch ist wie etwa Masse, Druck oder Volumen eine Meßgröße und kein Objekt und hat im Gegensatz zu der uns umgebenden Luft ebensowenig einen Charakter, wie diese Luft hoch oder niedrig ist oder bei 22 Grad liegt oder steht.

 

 

 

Elite

Es gibt Wörter, die erträgt man nur in Gänsefüßchen oder auf Joghurtbechern und das entsprechende Signifikat oder besser Denotat höchstens als unbekleidet imaginierte Reduktion oder als Comicfigur in Unterhosen.

Meinungsumschwung

Eine vorgefaßte Meinung ist auch durch relativierende Erfahrungen nur schwer zu erschüttern. Eher ändern wir eine vorgefaßte Meinung durch die Übernahme einer gegenläufigen vorgefaßten Meinung. Dazu ist es nötig, daß wir diese auf einem Stückchen Zucker oder in einer Geschenkverpackung mit Schleife serviert bekommen.

Über Naivität

Die Naivität als Privileg der Jugend zu betrachten ist ein Privileg naiver Erwachsener, die glauben, naiv, wie sie sind, sie hätten sich ihre Naivität nur mit Mühe erhalten oder gar gänzlich verloren. Es ist ein Zeichen von Naivität, zu glauben, Naivität sei an ein Lebensalter gebunden. Das gilt sowohl für den negativen Aspekt der Naivität – also unbekümmerte Blauäugigkeit und Vertrauensseligkeit – wie auch für den positiven – Unvoreingenommenheit und Neugier. Die negative Seite ist bei Erwachsenen stärker ausgeprägt als die positive. Bei Jugendlichen und besonders bei Kindern halten sich beide Aspekte eher die Waage.

Das Sterben der Geschichte

Mit Quelle »stirbt ein Teil deutscher Handelsgeschichte«. So oder ähnlich ist in den Medien zu hören.

Die arme Geschichte. Die Zeiten werden immer härter: Erst sterben Menschen und Tiere – und nun auch die Geschichte? Was bleibt uns, wenn sogar die Geschichte stirbt? Doch keine Sorge, die Geschichte kann nicht sterben, denn alles, was vergeht, wird zur Geschichte, die Geschichte selbst aber ist das, was bleibt, wenn alles andere längst perdu ist.

Auch wenn die grauen Zellen sich dereinst allesamt verabschiedet haben werden, bleibt doch ihre Geschichte, die häufig eine Geschichte ihrer Fehlfunktionen ist, Fehlfunktionen, die abgelesen werden können an den verbalen Hervorbringungen der Zellenbesitzer.