Mobbing ist Lynchen light.
Monat: August 2019
Negative Kongruenz
Ein sinnloses Unterfangen: mit schwachen, unfairen Menschen offen, geduldig und rücksichtsvoll zu verkehren. Weit entfernt davon, sich ein Beispiel zu nehmen, legen sie es dir als Schwäche aus und warten auf eine günstige Gelegenheit, dir deine Fairneß durch Bosheit zu vergelten. Statt Annäherung und den Versuch, kommunikative Deckungsgleichheit zu erreichen, erzeugt faires Verhalten des einen eher das Gegenteil: negative Kongruenz.
Wort mit Beinchen
Wahrheit ist ein großes Wort mit kurzen Beinchen.
Verstand und Vernunft
Mich amüsiert es immer wieder, wie die Vernunft, ich meine die reine, sich im Gebirge versteigt, aber noch mehr belustigt es mich, wieviel Vernunft der Verstand aufzubringen vermag, um der sich versteigenden Vernunft Unvernunft zu unterstellen. Das ist wahrhaft köstlich.
Gewaltig vielgestaltig
Die Gewalt ist zu vielgestaltig, als daß sich die sublimeren Formen im Spiegel als Gewalt zu erkennen vermögen.
Apodiktisches
Ganz erstaunlich, was passiert, wenn ich mich in einem Beitrag über den Vorwurf des Apodiktischen äußere. Einer findet meine Infragestellung der Relevanz des Apodiktischen apodiktisch und bietet mir eine andere Herangehensweise und ein anderes Denken an, will mir einen anderen Denkort, nämlich seinen, zuweisen, natürlich ohne sich der Mühe einer Begründung zu unterziehen, und ist beleidigt, wenn ich nicht darauf eingehe. Ein anderer wiederum hält meine Sprache für elaboriert und gibt mir in stilistisch und lexikalisch ungehobelter Sprache, gewürzt mit mannigfaltigen Beleidigungen und Unterstellungen, gute Ratschläge, wie ich meinen Stil – und damit mein Denken – ändern könne. Und sie merken nicht, wie unverschämt, intolerant und rücksichtslos sie sich verhalten, wenn sie ihr eigenes Denken oder Sprechen zur kognitiven oder sprachlichen Norm erklären, an der ich mich zu orientieren hätte.
Das Alphabet der Gefühle
Zertretene Schuhe sprechen
von der Schuld des Wandernden
warum ging er auf Stein
nicht auf Gras
war nicht auf Rosen gebettet
der Fuß
warum trat der
der trat
nicht heraus
aus der Reihe
weshalb kann nicht spüren
wer nicht lesen kann
die Gefühle
wieso kann nicht hören
wer nicht spüren kann
die Gedanken
und
wer ist schuld an
der Schuld
und der Scham
ohne Reue
Kritik und Kreativität
Wenn es etwas zu kritisieren gibt, wird auch der Unkreativste kreativ. Vor allem dann, wenn er etwas nicht verstehen will, weil es gegen seine eingeschliffenen Überzeugungen gerichtet ist. Dann ist kein Mittel zu billig, keine Unterstellung zu abwegig, um nicht mit viel Brimborium geäußert zu werden.
Der Stillose entdeckt plötzlich seinen Sinn für den Stil (des zu Kritisierenden), und der grobschlächtig Argumentierende reagiert hypersensibel auf rhetorische Wackeligkeit (beim anderen), wenn er schon keine offensichtlichen Rechtschreib- oder Grammatikfehler findet. Und am Ende glaubt der Kritiker des Kreativen tatsächlich, er selbst wäre der eigentlich Kreative. Dagegen hilft nur eines: die Kritik des Kreativen, die kreative Kritik der Kritik.
Amok 2009
Jetzt stürzen sich Politiker und Medien wieder auf das Thema und kochen ihre Süppchen. Man mag es kaum noch hören. Drei etwas andere Beiträge und Diskussionen zum Thema:
Recht haben
Wenn ein Rechthaber nicht das letzte Wort bekommt, bezeichnet er die anderen als Rechthaber. Recht hat er.
So manche Dinge
So manche Dinge
die einfach aussehen
sind einfach
etwas schwieriger
als sie aussehen
manch andere aber
auch nicht
Zum Geburtstag Günter Kunerts
Günter Kunert, einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller, wird heute achtzig. In der ZEIT habe ich keine Würdigung wahrgenommen. Habe ich sie übersehen, oder fand man den Geburtstag tatsächlich nicht der Erwähnung wert?
In einem Gedicht Kunerts heißt es:
Wir sind die vor und
hinter Scheiben
gewöhnt die Stille und den
falschen Ton
in einem sicher, daß wir bleiben
dieselben immer
wie uns selbst zum Hohn.
Falsche Töne zu Kunerts Geburtstag gab es in der ZEIT heute nicht.
Lieber Günter Kunert, seien Sie herzlich gegrüßt
von mir und von Neil Young. Sie wissen schon …
PS: Inzwischen ist Günter Kunert neunzig und immer noch präsent. Wie schön.
Verstand
Verstand wirkt für den Unverständigen unverständlich.
Offensichtlich
Das Wort offensichtlich wird besonders dann auffällig oft benutzt, wenn etwas so gar nicht offensichtlich ist, man aber einem andern gern etwas unterstellen möchte, was nur in der eigenen Phantasie existiert.
Grün und weiß
Ich finde es in höchstem Maße amüsant, wie so manche Heranwachsende versucht, von der vielen grünen Farbe hinter ihren Ohren abzulenken, indem sie gedankenlos (oder soll man sagen hirnfrei?) von „alten weißen Männern“ daherredet. Liebe junge Frauen, hübsch oder weniger hübsch, glaubt ihr wirklich, das Grüne hinter euren Ohren verflüchtige sich, wenn ihr Farbadjektive auf andere anwendet? So wie ihr das tut, ist das nicht nur kein Argument, sondern nichts weiter als eine primitive Melange von Rassismus, Diskriminierung und Vorurteil.
Tirade 135 – Als wäre nichts geschehn
In bleichen Zeiten
das Starren auf Hirschgeweih
kunstlos sei die Kunst
wie die gelöschten Farben
in durchfurchten Gesichtern
Ernster Vortrag
Allzu ernsthaft vorgetragener Ernst erzeugt bei einem aufmerksamen Menschen nicht nur gleichklingende Gefühle, sondern nicht selten auch Heiterkeit und weckt die Lust, diesem ernsten Vorträger die Dornenkrone, die er auf dem Kopf trägt, ein wenig zurechtzurücken.
Können Lahmköpfe eigentlich intelligentere Menschen als gleichwertig erkennen?
Was wie eine dumme Frage wirkt, ist tatsächlich eine ernstgemeinte parodistische Umdeutung einer ähnlichen Frage, die da lautete »Können Atheisten eigentlich alle Menschen als gleichwertig erkennen?«.
Die meisten Menschen mit ausgeprägtem Intellekt sind nach meinen Erfahrungen willens und in der Lage, weniger intellektuell geprägten Mitmenschen die gleichen Grundrechte zuzugestehen wie sich selbst, und bereit, die anderen trotz unterschiedlicher Fähigkeiten als essentiell gleichwertige Menschen zu betrachten. Das ist so, weil die intellektuellen Menschen, wenn sie nachdenken, was sie ja ganz gut können, zu dem Schluß kommen, daß intellektuelle Fähigkeiten zwar eine feine Sache sind, aber eher eine akzidentielle und daß es eine unfeine Herangehensweise wäre, den Wert des Menschen nach seinen Fähigkeiten und seiner Nützlichkeit zu bemessen. Und das nicht etwa nur aus moralischen Gründen, sondern durchaus aus egoistischen, denn der intelligente Mensch ist sich klar darüber, von heute auf morgen seine eigenen Fähigkeiten und seine Nützlichkeit einbüßen zu können, was ihn den Fähigkeits- und Nützlichkeitserwägungen anderer ausliefern würde.
Nun gibt es weniger intelligenzgeplagte Zeitgenossen, die, weil sie sich selbst oftmals für intelligenter und nützlicher halten als andere, schon mal in Frage stellen, daß andere ihnen gleichwertig sind, etwa weil die andern eine andere Hautfarbe haben, einen anderen Dialekt sprechen, körperbehindert sind oder sonstwie abweichen von der selbsterfundenen Norm des Menschlichen. Was nun, wenn die so in Frage gestellten Menschen über besondere Geistesgaben verfügen, die diejenigen derer übersteigen, die – wegen der genannten akzidentiellen Unterschiede Hautfarbe, Dialekt, körperliche Unversehrtheit – glauben, sie selbst seien etwas Besseres? Können die weniger Intelligenten nun erkennen, daß hier durch den Ausgleich im Akzidentiellen Gleichwertigkeit erreicht ist? Etwa: »Er kann zwar nicht laufen, aber dafür hat er einen scharfen Verstand.« Oder reichen die Geistesgaben der Bewerter dafür nicht aus? Konkret gefragt: Wird ein intelligenter Mensch von einem weniger intelligenten als intelligenter Mensch erkannt? Und wenn ja: Auch dann, wenn der intelligente Mensch ein Asylbewerber ist?
Noch einen Schritt weiter zu gehen und zu begreifen, daß die Essenz des Menschlichen nicht mit dem Zollstock der Nützlichkeit oder Fähigkeit, also im akzidentiellen Bereich, gemessen werden kann, wäre natürlich zuviel verlangt, das gebe ich gern zu. Ob nur ein feinfühlender Mensch im andern den fühlenden Menschen erkennt, ganz ohne alle Intelligenz, wäre eine weitere, vielleicht noch wichtigere Frage.
Holzweg
Wesentliches Charakteristikum eines Holzweges ist, daß diejenigen, die sich darauf befinden, nicht bemerken, daß sie auf einem Holzweg sind, selbst dann nicht, wenn der Blitz einschlägt und es unter ihnen zu qualmen beginnt.
Haltung und Humor
Wer was auf sich hält, zeigt Haltung. Er ist auf seine Ehre und Würde, sprich seinen Stolz und Dünkel, bedacht und wahrt Coolness, Contenance. Leider geschieht das meist ziemlich verbissen, was bestenfalls zu Muskelverspannungen und in ernsten Fällen zu irreparablen Schäden des Bewegungsapparates und Verkrampfungen im Hirnbereich führt.
Deshalb ist es angeraten, die relaxierende Wirkung des Humors zu bedenken und die Haltungsbemühungen, die ohne Humor in den allermeisten Fällen kindisch und albern daherkommen, nicht nur humoristisch zu verkleiden, sondern vielmehr hauptsächlich aus Elementen des Humors zu gestalten. Diejenigen, die von Natur aus oder durch bittere Erfahrung eher zum Ernsten und zur Leichenbittermiene neigen und sich das gemessen Gravitätische so angewöhnt haben, daß sie nur schwer davon lassen können, haben die Möglichkeit, mit einem Kunstgriff am humoristischen Bemühen um Haltung teilzuhaben, indem sie inneren Humor entwickeln, ohne ihr äußeres Erscheinungsbild zu verändern.
Das ist allerdings die perfideste Art von Humor, und deshalb werden solche Humorwandler sowohl von den Humorlosen wie auch von den Humoristen meist argwöhnisch beäugt und nicht selten gemieden.