Sexuelle Belästigung

Für manche ist schon die Phantasie, man könne eventuell heimlich sexuell belästigt werden, so aufregend, daß man sie aus der Vorstellung in die Realität zu zerren versucht. Wenn man solche Sargnagelphantarealität etwa im österreichischen »Standard« zum Kommentieren freigibt, entsteht eine Realsatire erster Güte. Ich muß schon sagen: Beneidenswert, der österreichische Humor. Wer Lust hat, sich zu amüsieren … sind jedoch an die tausend Kommentare. Köstlich.

 Die mit dem roten Hut tanzt

Die Frösche und das Fliegen

Frösche wundern sich manchmal darüber, daß sie nicht fliegen können. Dann blasen sie sich auf und schlagen mit den Schenkeln. Nach dem dritten erfolglosen Versuch aber wird ihnen das Ganze zu mühsam, und sie trösten sich fürderhin (welch schönes altes Wort) mit dem Gedanken, Vögel seien nur zu leicht geratene Frösche. Das quaken sie zur Beruhigung wie ein Mantra vor sich hin, doch wenn sie dabei zu laut werden, kommt der Storch.

Lenaus »Faust«

Seit ich zum ersten Mal Nikolaus Lenaus Version des »Faust« las, verblaßte für mich der ganze mythologisch überfrachtete Goethe-„Faust“ zu einer Art metaphysischem Tranquilizer für religiöse Esoteriker und zu einer harmlosen Quelle für geflügelte Worte. Das mag ungerecht sein, aber ich habe es so empfunden. Wo Goethe das Göttliche suchend herumirrt, kommt Lenau schnell zur Sache und auf den Punkt:

Du böser Geist heran, ich spotte dein!
Du Lügengeist ich lache unserm Bunde,
Denn nur der Schein geschlossen mit dem Schein, hörst du,
Wir sind getrennt von dieser Stunde.

Zu schwarz und bang, 
Als dass ich wesenhaft, 
Bin ich ein Traum, 
Entflatternd deiner Haft.

Ich bin ein Traum, 
Mit Lust und Schuld und Schmerz, 
Und träume mir 
das Messer in das Herz.

Erhitzte Kollektive

Nichts verschafft mir mehr Kälteschauer in der Rückenregion als der Anblick erhitzter Kollektive. Der einzelne in seinem Wahn dagegen erzeugt bei mir nur müdes Lächeln und stilles Bedauern. Es sei denn, er hat das erhitzte Kollektiv in seinem Kopf, steht direkt vor mir und schwenkt eine Knarre in seiner Hand.

Philanthropie

Energisch umgesetzte Philanthropie ist ohne Eitelkeiten und das Streben nach moralischem Prestigegewinn nur selten zu haben, denn auch hinter dem scheinbar selbstlosen Altruismus steckt meistens ein egoistischer Antrieb.

George Bernard Shaw sagt: »Die meisten Egoisten sind ehemalige Altruisten.« Das mag so sein oder auch nicht. Aber sicher scheint mir eines: Viele Altruisten verstecken ihren Egoismus, indem sie ihn verfeinern.

Wenn es der Allgemeinheit nützt, sei ihnen der moralische Mehrwert zu gönnen. Tun wir so, als ob wir die Camouflage nicht bemerkten.

Marx

Es kommt oft vor, daß einer ein guter Diagnostiker ist, aber ein schlechter Therapeut.

Marx’ politökonomische Diagnose des Kapitalismus hat nach wie vor Gültigkeit, nach der richtigen Pille muß aber noch geforscht werden. Möglicherweise gibt es keine, und wir müssen mit dem Kapitalismus leben, da der eigennützige Mensch nun einmal ist, wie er ist, und weil die materialistische Grundannahme, das gesellschaftliche Sein bestimme das Bewußtsein, falsch oder zumindest viel zu simpel gedacht ist. Als Philosoph hat mich Marx mit seiner umgekehrten Hegelei nie überzeugt.

Bemerkenswert finde ich, daß Marx entgegen dem engstirnigen nationalistischen Denken seiner Zeit bereits damals den Trend zur Globalisierung wahrgenommen hat. Außerdem von Bedeutung und nach wie vor wichtig: die Anwendung des philosophischen Begriffs »Entfremdung« auf die Arbeitsprozesse.

Daß überall auf der Welt kleingeistige Hampels versucht haben, sich mit Hilfe verführter Massen aus Marxens Theorie ein die Bourgeoisie nachäffendes Funktionärsschlaraffenland zu basteln, spricht nicht gegen die diagnostische Qualität der Theorie, sondern zeigt uns, daß in jeder Theorie, besonders der systematischen, die leicht zur Dogmatik verkommt, der Mißbrauch schlummert, weil der Mensch, s.o., eben so ist, wie er ist: auf seinen Vorteil bedacht.

Marx als Mensch war wohl, wie man hört, auch nicht gerade ein vorbildlicher Charakter. Aber wer ist das schon.

Das Ich und das Selbst

In einem Gespräch über den Leib malte jemand ein schönes metaphorisches Bild:

Der Leib ist das Orchester und die Organe sind die Instrumente der Seele.
Der Dirigent ist das Selbst.
Der Komponist das unsterbliche ICH.
Die Musik selbst die himmlische Äußerungsform des transzendenten Seins.
Der Zustand des Todes die Stufe zum Belegen neuer Dirigier- und Kompositionskurse.
Der Schlaf das Konzert.
Wachsein das fleißige Üben von Etüden.
Und die Geburt ein wiederkehrendes Debüt mit neu gestimmten Instrumenten.

Ich schlug daraufhin vor, Selbst und Ich auszutauschen. Damit war er nicht einverstanden.

Hier die Begründung meines Vorschlags:

Wo anfangen? Ganz grob vereinfacht: Wie Sie wissen, gibt es mehrere Stränge der abendländischen Philosophie, die, ausgehend von Platon, zu ganz unterschiedlichen Ich-Konzepten geführt und unser Denken über uns und unser Inneres geprägt haben.

Die eine Linie führt über Aristoteles, aber auch Plotin zur Patristik und zu den Scholastikern, natürlich mit vielen Brüchen und Widersprüchen hin zu Descartes und Kant usw., die andere von den Vorsokratikern über Platon/Sokrates mit vielen Zwischenstufen und Richtungen über Kant zu Schopenhauer und Nietzsche, Bergson und Freud.

Daneben gibt es natürlich unzählige andere Konzepte und nicht zu vergessen die Philosophie des Ostens mit Nagarjuna, Laotse usw. Die Ich- Konzepte all dieser Richtungen sind unterschiedlich, und das gleiche gilt für die Vorstellung einer »Seele«. Welches dieser Konzepte wollen wir nun zugrunde legen?

All die Bezeichnungen wie Seele, Ich, Ego, Selbst, Geist, Bewußtsein müssen wir erst einmal definieren, um über die von Ihnen gewählte poetisch-metaphorische Ebene hinauszukommen. Bei diesen Definitionsversuchen werden wir große Schwierigkeiten bekommen, uns zu einigen, da Ihr Denken, wie ich vermute, eher den aristotelisch-cartesianischen Pfaden folgt, während meines wohl stärker von den voluntaristischen und den östlichen Vorstellungen geprägt ist.

Für mich ist das Ich etwas Vergängliches, eine Ausprägung dessen, was ich als Subjekt bezeichnen möchte, das, was alles sieht und von niemandem gesehen wird, und das unvergänglich ist. Das Selbst ist das, was die unterschiedlichen Teile des Ich zusammenhält, das Subjekt-Ich, das Ich-Objekt, also den materiellen Leib, wobei das, was Sie Seele nennen, das Subjekt-Ich ist, das Unsterbliche im Gegensatz zum principium individuationis.

Das Ich ist sterblich, die Kraft aber, die das Ich, aber nicht nur das Ich, sondern alle Erscheinungsformen des Seienden zur Existenz zwingt, ist ewig. Das Ich ist nur geborgt, aber gleichzeitig notwendig, damit das Subjekt seiner selbst in einer Erscheinungsform gewahr werden kann.

Ich hoffe meine kurze, grobe Skizze verdeutlicht Ihnen, weshalb ich die Degradierung des Ich vorgeschlagen habe.