Da es vielfältige Erscheinungsformen des Hochmutes gibt, mit denen jeder je nach Stellung und Einstellung mehr oder weniger konfrontiert ist – etwa die Arroganz der wirtschaftlich Mächtigen, der Herkunftshochmütigen, der politisch Einflußreichen, der Prominenten und mit körperlichen Vorzügen Gesegneten oder Gestraften, kurz: aller, die etwas besitzen, was anderen fehlt –, und diese Formen einer gesonderten Betrachtung bedürfen, die ich hier nicht leisten mag, möchte ich mich auf eine Art des Hochmutes konzentrieren, die sich von den andern hier genannten Erscheinungsformen unterscheidet: die Arroganz des erfahrungsgesättigten Wissens.
Nicht ererbt, nicht durch Beziehungen zugeschustert, sondern im tätigen Austausch mit der Außenwelt erworben, scheint es zumindest auf den ersten Blick etwas zu sein, das sich ein jeder erarbeiten kann, wenn er nur willens ist. Die Rede ist hier nicht von formaler Bildung, die nicht selten nichts anderes ist als Titelgenerierung und die bekanntlich leichter erworben wird, wenn es in der Herkunftsfamilie nicht an Geldern und akademischen Traditionen mangelt. Nein, ich meine den einzelnen Menschen, der sich bildet, indem er lernt aus den Erfahrungen, die er macht, aus den Büchern, die er liest, aus den kulturellen Angeboten, die er wahrnimmt, und aus den emotionalen und intellektuellen Interaktionen mit anderen Menschen.
Jeder, der das eine Weile wirklich intensiv betreibt, spürt, wie er innerlich bereichert wird, wie er wächst und gedeiht und sich zu einer Persönlichkeit entwickelt.Und da der Mensch dazu neigt, sich mit anderen zu vergleichen, wird unser bewußter Lerner bald bemerken, daß er ein immer deutlicheres Bild von seiner Umgebung und sich selbst bekommt. Aber wenn er ehrlich mit sich selbst ist, wird er gleichzeitig intensiv wahrnehmen, daß sein Wissen zwar immens wächst, aber dennoch niemals ausreicht, um die wesentlichen Grundlagen seiner Existenz auch nur annähernd zu erfassen.
Nach einigen Jahrzehnten, in denen er gelernt und beim Erwerb formaler Qualifikationen erfahren hat, daß es im Wissenschaftsbetrieb ähnlich zugeht wie auf Pariser Laufstegen von Haute Couture und Prêt-à-porter und auch der Hegel in der »Phänomenologie des Geistes« nur mit Wasser gekocht hat, dazu mit ziemlich schmutzigem, betrachtet er die universitären und die öffentlichen Diskurse mit viel weniger ehrfurchtsvollem Blick als vordem und sieht, wenn er in den Spiegel schaut, den Anflug eines spöttischen Lächelns, den er bislang noch nicht von sich kannte. Wenn er auch ein wenig erstaunt ist über diesen neuen Zug in seinem Gesicht, sieht er doch keinen Grund, beschämt zu sein, denn von Hochmut ist er weit entfernt, auch wenn er bisweilen ein wenig belustigt ist über die Ernsthaftigkeit, mit der um die Relevanz von Fußnoten gestritten wird.
Gerät unser erfahrener Lerner, nennen wir ihn N., etwa in eine Diskussion, bei der von Platons »Höhlengleichnis« die Rede ist, bei dem jemand ins Licht des Vollmondes gezerrt wird, wird N., wenn es sich ergibt, vielleicht beiläufig anmerken, es handle sich nicht um den Mond, sondern die Sonne, und der gewaltsame Vorgang sei nicht so ohne weiteres mit plötzlicher Befreiung gleichzusetzen.
Wenn auch die offensichtlich nicht übermäßig gutinformierten Diskutanten nach einigem störrischen Zögern einräumen, es könne sein, daß bei Platon tatsächlich die Sonne geschienen habe, so erklären sie vehement, man wolle bezüglich der gewaltsamen Befreiung keinerlei Abstriche machen. Warum nicht, das sagen sie jedoch nicht und wenden sich dem Türhütergleichnis im »Prozeß«, der Tagespolitik oder ihrem Bierchen zu. Oder jemandem, der bescheiden und interessiert erklärt, noch nie etwas vom »Höhlengleichnis« gehört zu haben, und über dessen Unwissenheit sie sich wunderbar amüsieren können.
Unser N. geht seiner Wege, aber er wird, wenn er das nächste Mal mit solchen Blendern zu tun hat, ein wenig mehr sagen als nur Beiläufiges, vor allem dann, wenn die Halbgebildeten ihre gute Laune nicht aus der Befriedigung über die eigene Denkleistung ziehen, sondern aus der Uninformiertheit anderer. Und er spürt in sich etwas wachsen, das er gleichermaßen begrüßt wie auch verabscheut: Arroganz des Wissens.
Gleichzeitig weiß er aber auch, daß er dieses Gefühl nur wirksam werden lassen wird, wenn es auf seinesgleichen trifft.
Montafonka schreibt am 13.11.2008 um 17:35 Uhr:
Genial!
Valkyrie schreibt am 25.12.2008 um 17:42 Uhr:
Ja, in der Tat.
Sternenstaub schreibt am 31.01.2009 um 10:49 Uhr:
Arrogant sein heißt überheblich sein. In dieser Situation hast du aber nicht viel zu tragen gehabt. Vielmehr haben sich diese Leichtgewichte im Geiste an Platon zuerst vergriffen und dann verhoben. Das nenne ich Arroganz! Schlaumeier mit Leistenbruch…
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