Erdmann – Szenische Monodialoge 6

ERDMANN verknittert, verläßt das Schlafzimmer, geht zum PC und startet ihn, dann begibt er sich ins Bad.

Du da im Spiegel
bist du’s wirklich?
Spieglein Spieglein
an der Wand
jaja geschenkt
zähl selber deine
grauen Haare
und denk mal langsam
an die Alterssicherung
ein Konto in Liechtenstein
hast du ja nicht.

Nee, das bekommt man
doch erst ab fünfzig
ich meine fünfzigtausend
Pensionsanspruch im Monat.
In zehn Jahren krieg ich
die auch zusammen.
Ja wir Kinder der Neidkultur.
Hat einer mal ein klein
bißchen mehr
gleich mißgünstiges
Geraunze statt selber
Leistungsträger werden
aber wenn es dir
zu mühsam ist
die Leistung der andern
schwitzend wegzutragen
dann mußt du
dich bescheiden.

Du weiß ja
noch nicht mal
wo Liechtenstein liegt
dieses mächtige Land
dem keiner was anhaben kann
wo Finanzterrorismus
straffrei ist.

Im Fernsehen nannte
das einer Steuerschummelei*
was da jetzt rausgekommen ist
was heißt rausgekommen
als wenn nicht jeder
das längst wußte
also was da jetzt
ans Licht gezerrt wird
hat wohl noch einer
ein Hühnchen zu rupfen
mit dem Herrn
von der Post.

Apropos Post
hast du nicht erst
letztens zehn Briefmarken
die du privat geklebt hast
als Geschäftsunkosten
deklariert und abgesetzt
na und
das ist Steuerbetrug
mein Lieber
wenn das rauskommt!

Du bist jetzt gewarnt
wenn sie sogar
die Großen kriegen
die sind jetzt auch gewarnt
war wahrscheinlich
der Sinn der Übung
die Aktenvernichter
sollen ausverkauft sein
hört man.

Verläßt das Bad, hört ein Summen
Diese blöde Kiste.

Hat sich beim Runterfahren
gestern abend wieder aufgehängt
die ganze Nacht gelaufen
bei den Strompreisen
oder hab ich Trottel im Vorschlaf
nur wieder vergessen
das Ding auszuschalten?
Setzt sich kopfschüttelnd
an seinen Arbeitsplatz.

 

* Von FDP-Seite war auch das Wort „Verwerfungen“ zu hören.

Dummheit und Proportionalität

Einer, der sich für besonders schlau hält, sagte:

… das ist das proportionale Verhältnis zwischen Stupidität und Intelligenz, also muss es immer überall das gleiche Größenverhältnis sein.

Hier wird nicht nur qua postulierte eigene Großartigkeit eine unsinnige Behauptung aufgestellt, sondern diese Behauptung gleich in den Rang eines Naturgesetzes erhoben. 

Niemand Nichtstupides zweifelt daran, daß zwischen dem Endlichen, in diesem Falle der endlichen Intelligenz, und dem Unendlichen, hier der Dummheit, kein proportionales Verhältnis bestehen kann, sowenig wie zwischen gerader und krummer Linie.

Für solche Leute wie für einen Großteil der Möchtegern-Philosophen-Zunft gilt ein umgekehrt proportionales Verhältnis, das ich schon oft festgestellt habe:

Je großspuriger die Aussage, um so geringer die Intelligenz des Kopfes, dem sie entschlüpft.

Karikaturen

Mit jedem ernstgemeinten Protest gegen Karikaturen machen Gruppen sich erst recht zur Karikatur. Diese unfreiwillige Selbstkarikatur wirkt stärker karikierend als jede noch so gelungene Darstellung von außen und ist sogar noch prägnanter als die gewohnte und gewünschte Selbstdarstellung, die für den kritischen Außenstehenden stets karikaturistische Elemente enthält. Und je ausgeprägter die Ernsthaftigkeit der Selbstdarstellung von Gruppen, um so stärker das Humorpotential. Ob es sich dabei um weltumspannende Religionsgemeinschaften oder den örtlichen Schützenverein handelt, spielt keine Rolle.

Kitsch und Kunst und Kommerz

Spätestens dann, wenn ein mehr oder weniger beliebiges Kindergartenbild durch zelebritäre Signatur und professorale Expertise galeriefähig wird – und damit begehrtes Objekt des Kunstmarktes –, während ein vergleichbares Werk eines unbekannten Künstlers im scheinbar wissenden Lächeln der Fachleute verblaßt, ahnen wir, daß es für den einigermaßen Kunstverständigen nicht so sehr um die vergleichsweise einfache, wenn auch weniger relevante Unterscheidung von Kunst und Kitsch geht, sondern vielmehr um die zwischen Kunst und einträglicher Scheinkunst, also Kunstkommerz. Das eine vom anderen definitorisch klar zu distinguieren ist jedoch wegen der Vielfalt der Erscheinungsformen und Widersprüche ein aussichtsloses Unterfangen. So bleibt uns nichts als unser individueller Blick, die Intuition des wachen Rezipienten und der koryphäenkritische Verstand.

Bildungsferne 

Soll ich es bedenklich finden oder eher von der humoristischen Seite betrachten? Diejenigen, die euphemistisch von den »bildungsfernen Schichten« sprechen, sind zumeist jene Halbgebildeten, denen es ein Gefühl von Bildungsnähe verschafft, andere durch ihr ausgrenzendes Gerede in das Abseits der Bildungsferne zu stoßen. Wenn schon keine Bildung, dann wenigstens ein Bildungsgefühl. 

Bildungsferne ist tatsächlich ein schichtenunspezifisches Phänomen, und sie ist eine heimtückische schleichende Erkrankung, die von den Betroffenen selbst nur in Ausnahmefällen wahrgenommen wird.

Leider gibt es kein Gerät, das den Grad der Bildungsferne so objektiv mißt wie ein Fieberthermometer die Körpertemperatur, sonst würde der Begriff »bildungsfern« zukünftig mit Sicherheit etwas seltener verwendet werden.

Denken und Konsum

Wir konsumieren täglich Worte, Theorien und Schriften. Und beladen uns damit. So wie wir uns mit Erdbeerkuchen und Sahne vollschlagen. Mit Denken hat das allerdings nichts zu tun.

Denken ist nicht beladen mit Worten, Theorien und Schriften. Denken ist die Fähigkeit, Worte, Theorien und Schriften auf ihre Sinnhaftigkeit hin abzuklopfen, bevor man sich mit ihnen belädt. Denken ist auch ein probates Mittel, uns vor denjenigen zu schützen, die versuchen, uns mit Worten, Theorien und Schriften kollektiv für ihre individuellen Zwecke einzuspannen und zu mißbrauchen. So gesehen, ist Denken wie Seife: ein Hilfsmittel der Hygiene.