Asphaltgedrängel
Rohre werfen Staub
Sonnenregen
die Blicke spiegeln Hast
es geht
voran
Tag: 6. Februar 2019
Egologik
Zum Wesen des Egozentrikers gehört, daß er »wir« sagt, wenn er »ich« meint, und daß er jeden der maßlosen Egozentrik verdächtigt, der »ich« sagt, wenn er »ich« meint. Dieses »Ich« des anderen schränkt den »Wir«-Spielraum, den Raum der beherrschenden Vereinnahmung, des Egozentrikers ein. Nichts ist dem Egozentriker so verhaßt wie das Ego des anderen.
Glaube und Genitalien
Ein Gespräch über den Charakter unseres innersten Glaubens bedarf eines weit intimeren Rahmens als eines über unsere Genitalien. In aller Regel wird das andersrum gesehen.
Nachsokratisches Denken
Philosophisches Denken im nachsokratischen Sinne ist ein paradoxer Vorgang, bei dem der Fortschritt darin besteht, sich immer deutlicher seiner Unwissenheit und der Unmöglichkeit der Erkenntnis der letzten Dinge bewußtzuwerden.
Die Ironie dabei ist nicht wie bei Sokrates, daß sich einer dummstellt, um aus anderen die Wahrheit herauszukitzeln, die Ironie besteht vielmehr darin, daß man so redet und tut, als könnte es eine Wahrheit geben, der wir uns annähern, in Wirklichkeit aber weiß, daß wir uns mit jeder Annäherung an das, was wir für Wahrheit halten, von der Erkenntnis entfernen, daß es keine Wahrheit gibt.
Nur ein Spiel.
Schmiermittel
Das einzige Schmiermittel, das bevorzugt mit bloßen Händen verwendet wird, ist das Schmiergeld.
Aphorismus
Jeder gelungene Aphorismus ist Ausdruck einer individuellen Erfahrung oder das Resultat eines subjektiven Denkprozesses. Nur unkritische Weisheitssammler werden ihn nicht als Aufforderung zum Selberdenken begreifen. Aphorismen fordern, nicht zuletzt wegen der fehlenden Begründungen, zum Widerspruch geradezu heraus.
Die Furcht vorm Apodiktischen
Ein Dr. Steffen Graefe sagte in einem Vortrag mit dem Titel »Hermeneutik und Verstehen« so einiges, was ich nicht verstehe. Unter anderem zitiert er Emile Cioran, einen aphoristischen Philosophen und Schriftsteller:
Der Geschmack an der Einsamkeit erfährt nur in dem überwältigenden Todeswunsch vollkommene Erfüllung, der unseren Widerstand übersteigt.
Graefe: »Durch das Wörtchen nur wird der apodiktische, d.h. totalitäre, Charakter dieses Satzes, der eine bloße Behauptung zum Ausdruck bringt, offenkundig. Cioran stellt die folgende Behauptung auf:
Nur wenn ich vom Wunsch nach dem Tode überwältigt werde, soll mein Bedürfnis nach Einsamkeit vollkommene Erfüllung finden. Das ist eine totalitäre Setzung, die keinen Widerspruch mehr zuläßt.«
Ist es nicht tatsächlich so, daß apodiktische Aussagen viel stärker zum Widerspruch herausfordern als trickreich begründete? Der Vorwurf des Apodiktischen ist so gesehen nichts weiter als das Lieblingsverdikt von Argumentationsschwächlingen. Cioran apodiktisch? Offensichtlich nicht, denn wie wir sehen, wird Ciorans These hier widersprochen. Allerdings nur formal. Auf die inhaltliche Aussage des Cioranschen Diktums geht der Autor nämlich im weiteren gar nicht ein. Die Chance, Ciorans Aussage eventuell zu widerlegen, nutzt er nicht. Nur zum Schluß die ebenso falsche wie überflüssige Bemerkung:
»Die bloßen Worte mögen wir aus unseren eigenen diffusen Erlebnissen mit unseren eigenen einsamen Seelenzuständen ein Stück weit nachvollziehen können. Ob sie wahr sind oder nicht – und ob sie in jedem Fall gelten müssen – ist allerdings längst noch nicht erwiesen.«
Als könnten bloße Worte wahr sein. Wie wir alle wissen, gelten selbst naturwissenschaftliche Theorien nur so lange, bis sie widerlegt werden. Und nun sollen Philosophen und Schriftsteller nur noch etwas behaupten, was »erwiesen« ist? Oder sollen sie in Klammern hinter jeden Ausspruch setzen: persönliche Meinung, noch nicht statistisch gesichert, eigene Erfahrung usw.?
Das ist eine merkwürdige Vorstellung von Philosophie.
Traumgestade
Gehirne waschen
im brackigen Wasser
mit rostigem Brett
im Mondschein
wenn die Fische dösen
die Farben verblassen
werden flach
wie der Atem
und die Töne
gefriern wie der Tau
auf der Haut
alles wird rein
wie der Schnee
im August
Von diesem und jenem Tum
Spätestens dann, wenn sie genötigt sind, die Hosen herunterzulassen, wird deutlich, daß das Übermenschentum der Übermenschtheoretiker nichts anderes ist als Überkompensation eines Wachstumsmangels. Und wenn die Herren dann nackt ins kalte Wasser springen müssen, um Heldentum zu beweisen, verflüchtigt sich meist auch noch das wenige sichtbare Wachstum zur Unkenntlichkeit.
Übermenschphantasie
Jede ausgelebte Übermenschphantasie führt in ihrer Konsequenz zur Vernichtung von Untermenschen.
Von Menschen und Mäusen
»Es gibt sehr wenige Menschen in der Welt.« Das schrieb einer, der sich für einen »erwachten« Menschen hält. Eine Leuchte, die anderen, lebend »in dunklen Löchern«, den Weg zum ewigen Licht weisen will und Tag für Tag mit wortreichem Pathos, das sich in die grandiosesten Verzückungen steigert, über die Notwendigkeit des Schweigens parliert.
Er befindet: »Es gibt sehr wenige Menschen in der Welt.« Was sagt das? Das heißt nichts anderes, als daß der, der solches schreibt, der Mehrheit, der übergroßen Mehrheit, das Recht abspricht, sich als Menschen zu bezeichnen. Sie sind minderwertig. Nur ein paar, vermutlich er und seine sektiererischen Freunde, haben demnach das Recht, sich als Menschen zu bezeichnen.
Die anderen sind: Mäuse. (»Es gibt Millionen von Mäusen, aber keine Menschen.«)
Lassen wir die Logik beiseite, die es nicht erlaubt, gleichzeitig zu behaupten, es gäbe „sehr wenige“ und „keine“ Menschen, kommt uns eine derartige Tiermetaphorik nicht bekannt vor? Gab es da nicht mal eine arische Ratte (um bei der vorgegebenen Metaphorik zu bleiben), die in solchen Bildern schwelgte, was zur Folge hatte, daß Millionen von Menschen in wertes und unwertes Leben kategorisiert, an Rampen selektiert und anschließend wie Ungeziefer vernichtet wurden?
Von der Charakterisierung der Mitmenschen als Mäuse ist es nur ein kurzer Weg zum »Mausgift kaufen«, wie es Bernhard Minetti in einem Theaterstück von Thomas Bernhard so unvergleichlich sagt.