Mutmaßlich

Spiegel online meldet: »Hamburg.
Mann bei Ikea attackiert und schwer verletzt …

Durch einen Stich in den Rücken ist ein 22-Jähriger in einer Ikea-Filiale schwer verletzt worden. Der mutmaßliche Täter konnte flüchten.«

Was soll der Unsinn? Jemandem wurde von einem anderen, wie man lesen kann, ein Messer in den Rücken gerammt. Der offensichtliche und nicht als mutmaßliches Opfer bezeichnete Leidtragende ist im Krankenhaus, und der offensichtliche Täter hat sich aus dem Staub gemacht.

Wieso aber bezeichnet man nun den Täter, dessen Existenz unstrittig, dessen Identität im Augenblick jedoch noch nicht bekannt ist, als »mutmaßlichen« Täter? Geht man vielleicht davon aus, der Verletzte hätte sich selbst in den Rücken gestochen, vielleicht aus Langeweile oder nur mal so zum Spaß?

Wenn ich sehe, wieviel hirnloses Zeug in der Presse an der Tagesordnung ist, überkommt mich immer wieder mal das Grausen.

Les Catacombes

Unter den Füßen
die Gräber der Götter
Gelobter Länder
versteinerte Spötter

am braunen Himmel
wie Köpfe die Sonnen
von Lebensbränden
ins Dunkle geronnen

Kein Blut in der Asche
wie Steine Gebeine
nur Knochen in Kähnen
große und kleine

Reifengesichter

Reifen verlieren mit zunehmendem Alter immer mehr an Profil und werden mit der Zeit so glatt, daß sie runderneuert werden müssen. Nach der Runderneuerung sehen sie wieder aus wie neu. Menschen dagegen, vielmehr menschliche Gesichter, erodieren, wenn sie älter werden, und ihre Träger laufen immer mehr Gefahr, mit neuen oder runderneuerten Reifen verwechselt zu werden. 

Daher läßt sich so mancher Mensch, der Wert auf Äußerlichkeiten legt, das Gesicht retuschieren, wenn Cremes und Tinkturen nicht mehr helfen und Make-ups die Furchen mehr betonen, als sie sie camouflieren. Nach der Runderneuerung, nicht direkt danach, sondern ein paar Jahre später, wenn die Wunden abgeheilt sind, sehen viele unter der Schminke etwas geglättet und durchaus erneuert aus, aber es gibt auch einige, deren Gesichter Ähnlichkeit haben mit abgefahrenen Reifen.

Faktum und Zeichen

So wie das Licht, das auf unsere Umgebung fällt oder sie überfließt, wie jede Strahlung je nach Betrachtung und Beschreibung Teilchen- oder Wellencharakter hat, so ist auch unsere Umgebung je nach Betrachtungsweise ein Fakten- oder ein Zeichensystem. Wer nur eines von beiden wahrnimmt, wird mit einem reduzierten Bild im Kopf herumlaufen, das dazu beiträgt, die eine oder andere Seite der Realität auszublenden.

Meditation

Der Hauptschwachpunkt aller auf Erkenntnis zielenden Meditation ist die Tatsache, daß durch die Fokussierung auf das Visuelle die eigenen vormeditativen textuellen Setzungen aus dem Blickfeld geraten. Es ist ein schönes Gefühl, wenn der Reisende im Flugzeug vergißt, daß er nicht selber fliegt, aber dadurch löst sich das Flugzeug nicht auf. Ist wohl auch besser so.

Skeptisch-auktoriale Variation

Wenn er unvoreingenommen auf die Fülle von Ismen schaut, die ihn umgeben und werbend oder fordernd seine grauen Zellen umkreisen, dann fällt ihm auf, daß es nur einen Ismus zu geben scheint, der der freien Entfaltung seines Denkens förderlich ist. Das ist der Organismus.

Alle anderen, zumal als »Bewegung« oder Richtungszeichen, sind dem eigenen Denken eher abträglich und behindern die Konzentration der Gedanken mehr, als sie sie befördern. Sein Kopf wird nicht frei, wenn er sich in der Nähe von Ismen aufhält, denn in der Nase stört dieser metallische Geruch des blutbesudelten, aber nach wie vor sehr lebendigen Vaters aller Ismen: des Dogmatismus. 

Da sitzt er nun mit seiner Illusion der Unvoreingenommenheit, die in Wirklichkeit nur ein kleiner Schritt ist, ein Augenaufschlagen, das vielleicht irgendwann mal zu einer eigenen Sicht auf sich und die Welt führen wird, heraus aus den interessegeleiteten Vorurteilen und hinein, ja wohinein?

Er weiß es nicht. 

Und ich, der ich ihn dort hingesetzt habe, ich weiß es ebensowenig. Aber es ist ein Anfang.

Ismus

Wenn ich unvoreingenommen auf die Fülle von Ismen schaue, die mich umgeben und werbend oder fordernd meine grauen Zellen umkreisen, dann fällt mir auf, daß es nur einen Ismus zu geben scheint, der der freien Entfaltung meines Denkens förderlich ist. Das ist der Organismus.

Alle anderen, zumal als »Bewegung« oder Richtungszeichen, sind dem eigenen Denken eher abträglich und behindern die Konzentration der Gedanken mehr, als sie sie befördern. Mein Kopf wird nicht frei, wenn ich mich in der Nähe von Ismen aufhalte, denn in der Nase stört dieser metallische Geruch des blutbesudelten, aber nach wie vor sehr lebendigen Vaters aller Ismen: des Dogmatismus.

Mittelalter

Aus ferner Zukunft betrachtet, ist die Gegenwart Mittelalter. Aber um eine solch erhöhte Perspektive auf unsere Zeit zu kreieren, müßten wir doppelt projizieren. Das können wir nicht. Den meisten gelingt noch nicht mal der Blick um die nächste Straßenecke, wenn sie nicht gar über das erste Hindernis stolpern, das direkt vor ihren Füßen liegt.

Geistige Unabhängigkeit

Wir sollten es unserem eigenen, durch Erfahrung gewachsenen Urteilsvermögen überlassen, ob wir einen Ausspruch richtig oder falsch oder auch nur fragwürdig finden, und uns nicht darum scheren, von wem dieser Ausspruch ist, noch ob wir uns mit unserer Meinung beliebt oder unbeliebt machen.

Auch eine Freiheit

Das Wort Freiheit hat viele Bedeutungen, und sein Gesamtsinn setzt sich aus allerlei größeren und kleineren Freiheiten zusammen. Eine der größeren und beglückendsten, wenngleich merkwürdigerweise seltener genutzten ist die Möglichkeit, man selbst zu sein und niemand anderen nachahmen zu müssen. Es scheint so, als hätten allzu viele Menschen mehr Freude daran, andere zu kopieren, als sie selbst zu sein.

Vielleicht ist es den meisten dieser unbewußten Freiheitsverächter zu mühsam, im täglichen Tanz der geborgten Gestik und Mimik, der Haufen von nachgeschneiderten Dernier-cri-Kostümen nach der eigenen Haut zu suchen.

Männer und Frauen  

Was ist es, was Männer und Frauen grundlegend und unabhängig von allen kulturellen Prägungen unterscheidet? So wird vor allem unter Feministinnen immer wieder gern gefragt. Diese Frage ist leicht zu beantworten. Männer haben einen anderen Körperbau als Frauen. Sie sind größer und physisch stärker. Jenseits aller kulturellen Prägungen aber gab es nur ein Recht: das Recht des Stärkeren. Und alle kulturellen Errungenschaften haben vor allem einen Sinn – je nach Kultur: mehr oder weniger für Ausgleich zu sorgen.

Von Menschen und Reifen

Reklame kann für den Konsumenten manchmal, neben einem partiellen Unterhaltungswert, tatsächlichen Nutzen haben, indem sie erstaunliche Erkenntnisse befördert, wenn diese Überredungskunst nur in der passenden Reihenfolge genossen wird. So bin ich auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Autoreifen und den Gesichtern von vor allem weiblichen Menschen hingewiesen worden. Später mehr davon.

Reifengesichter