Zur Story gibt es nicht viel zu sagen. Im Mittelpunkt steht eine »starke Frau«, natürlich. Dieser wird von einem charakterlich indifferenten Menschen übel mitgespielt, einem, der sanft und sensibel ist, mit künstlerischer Veranlagung, der jedoch im Verlauf der Geschichte immer mehr den starken Mann markiert, obgleich er nicht mal aus humangenetischer Sicht ein Mann ist, sondern eine Art Zwitterwesen.
Jedenfalls behauptet das die Autorin und entwirft den zerrissenen Charakter ihres Massimo, eines intriganten Unternehmers, der sich als Heranwachsender auch schon mal selbst mit einem Brotmesser zu Leibe gerückt ist. Den Grund für die polymorphe Mischung aus Minderwertigkeitsgefühlen, knallharter Rücksichtslosigkeit, Bösartigkeit, Großmut und Larmoyanz, die die Autorin in diesen Charakter gelegt hat, erklärt sie damit, daß er ein X0-Mensch sei:
»Anfangs hatte er gar nichts verstanden. Es war um ein X0-Chromosom gegangen, was immer das sein mochte. Mittlerweile wußte er es … X0, X0, X0, das war die Formel, die Massimo um ein Haar das Leben gekostet hätte.«
Um diese Chromosomenanomalie herum, vermutlich die Grundidee des Ganzen, hat Lea Wilde einen mit Absonderlichkeiten und mythischem Ornithologenpathoschen gespickten 400-Seiten-Roman geschrieben, voller Selbstmitleid und Stimmen, die sich in alten Gewölben brechen, dessen Geschichte mit ebendieser Anomalie des Massimo, des armen Bösen, steht und fällt. Und man sollte meinen, die Autorin hätte vorher das ein oder andere medizinische Buch oder besser noch einen Menschen vom Fach zu Rate gezogen. Hat sie aber nicht.
Hätte sie das getan, wäre ihr zu Ohren gekommen, daß die von ihr beschriebene gonosomale Genommutation, Monosomie X, wie es fachsprachlich heißt, nur bei Frauen und Mädchen auftritt. Und keinesfalls bei Männern.
Glücklicherweise werden aber die meisten Lea-Wilde-Leserinnen bei ihrem Schulabschluß nicht Biologie im Leistungsfach belegt haben, sonst ginge sie nun den Bach runter, die schöne Geschichte.