Vom zweischneidigen Reiz des Geizes

»Geiz ist geil«, das erste Gebot aller Hobbybuchhalter in Knickerbockern, mag ja für eine Weile einen gewissen Unterhaltungswert haben, aber die Geizigen sind nicht lange glücklich mit dieser Maxime, denn wenn die Knausermenschen je ein wenig sexy gewesen sind, bleibt bald nichts mehr davon übrig.

Und auch wenn sie selbst so geil sind wie ihr Geiz, werden sich die meisten anderen bald angewidert von ihnen abwenden, als wäre ihr Billig-T-Shirt ein schmutzige Unterhose. Der Geizige ist so unsexy wie ein Sack Rindenmulch.

Kritiker

Ein Kritiker sollte stets ein wenig klarsichtiger sein als der Kritisierte, denn ein Großteil der Kritik ist bei genauerer, lichtunterstützter Betrachtung nichts anderes als ein entzückendes Nebelschauspiel, sieht man doch, wie so mancher Nebelkerzen in den Nebel wirft, als wolle er sagen: Mein Nebel ist der interessantere.

Hat man keine intellektuelle Windmaschine zur Verfügung, ist es besser, man wartet, bis der Nebel sich von allein verzogen hat oder andere ihren Argumentationsfön in Gang gebracht haben. Dann kann man in aller Ruhe die hellsichtige Kritik der anderen paraphrasierend nachplappern.

Erfolg

Erfolg ist nicht nur appendizischer Ausdruck der Sinnlosigkeit – nämlich Folge des Suchens nach Sinn –, sondern gleichzeitig ihr ironischer Kommentar, denn Erfolg ist niemals von Erfolg gekrönt. Bestenfalls ist er so etwas wie die Wegzehrung auf dem Marsch nach irgendwo. An den Rändern dieses Weges aber liegen überall die leeren Tüten unserer Vorgänger.

Journalismus

Den verängstigten Journalisten, den allzu satten Wortbeamten, denen zu Bloggern nichts anderes einfällt, als sie als Gelegenheitsrülpser zu diffamieren, weil einige von diesen ihnen in Zukunft vielleicht die Butter auf dem Brot dünnkratzen könnten, kann ich nur raten, sich ein wenig mehr von ihren Beschreibungsobjekten zu entfernen, damit es sich wieder lohnt, eine Zeitung zu kaufen. 

Unkritischen Hofjournalismus gibt es viel zu viel, und es ist wünschenswert, daß der ebenso verschwindet wie die phantasiefreien Marketingstrategen ihrer selbst oder ihrer Verlage und deren Werbungssponsoren, die uns mit ungrammatischer Hülsenkost zupflastern. 

Wenn der klassische Journalismus sich nicht wandelt, wird er langfristig verschwinden. Im Augenblick aber gibt es noch nicht genug professionelle journalistische Blogs, um den traditionsreichen Medienzirkus ernsthaft zu gefährden.

Auf Augenhöhe

Die unangenehmste Eigenschaft von verbalem Schwachsinn ist, daß er in Hohlkopfkreisen rasend schnell inflationär wird. Besonders dann, wenn dieserart Hülsenfrüchte auf dem furchtbar fruchtbaren Mist der Minderwertigkeitsgefühle sprießen, gibt es schon bald kein Halten mehr.

So ist das auch mit der Wendung »auf Augenhöhe«. Blauäugig erfunden, so will ich mal ohne genaue Kenntnis der Geburtsurkunde behaupten, von der Partei mit den drei Ablagerungen von Fliegendreck im Namen, die sich gerade einen Haufen Hämatome beim Überspringen der 5-Prozent-Hürde eingefangen hatte, aber »auf gleicher Augenhöhe« mit einer hochprozentigen Partei verhandeln wollte, nimmt dieser wortgewordene Minderwertigkeitskomplex inzwischen derart narzißtische und abstruse Formen an, daß es mir an der Zeit zu sein scheint, dem etwas entgegenzuhalten.

Pressemeldungen der letzten Tage: Delmenhorst ist mit dieser Ausstellung mit großen Museen auf Augenhöhe getreten, Pocher will mit Schmidt auf Augenhöhe zusammenarbeiten, MAN verhandelt auf Augenhöhe mit VW, Firstgate will auf gleiche Augenhöhe mit PayPal kommen, Langer ist auf Augenhöhe mit Woods, in Frankfurt kann man beim Wolkenkratzer-Fest per Ballon »auf Augenhöhe mit den Chefetagen« kommen. Im Zoo kommt man mit Gorillas oder Adlern auf Augenhöhe, und manchmal, wenn einer vergißt, den Käfig zuzumachen, anschließend mit den Ärzten im Klinikum, aber nur, wenn einer von denen Rollstuhlfahrer ist.

Selbst in der »Zeit« kann man solcherlei Bückwunschpoesie lesen: »Er dozierte, aber auf Augenhöhe.«

Die Aufzählung ließe sich so lange fortsetzen, bis der nächste Stromausfall dem ein Ende setzt oder der Schlaf mich übermannt.

Bei alldem sollte man nicht vergessen: Im Lebensmittelgeschäft, und nicht nur dort, sind Waren in Augenhöhe teurer als Bückware.

So habe ich mich unlängst entschlossen, immer dann, wenn einer etwas von gleicher Augenhöhe sagt, zu fragen, ob er ein Fußbänkchen dabeihabe, das er mir leihweise überlassen könne. Solches Understatement wird gern angenommen. 

Zum Schluß noch etwas Rätselhaftes aus der Rubrik Augenhöhe: »Vertreter des Kultusministeriums und Schulkritiker haben in Tübingen konferiert. Das Gespräch dauerte zwei Stunden und wurde an einem ovalen Tisch, also auf Augenhöhe, geführt.«

Ich stelle mir das mal lieber nicht so arg detailliert vor.

Damoklesschwert

Wenn das Damoklesschwert über deinem Kopf von einem dicken Haar aus hochwertigem Kunststoff gehalten wird statt von einem dünnen Pferdehaar, läßt es sich darunter eine Weile unbeschwert leben, aber nur dann, wenn du dich nicht zu ausgiebig mit dem Thema Materialermüdung beschäftigst.

Von Bärten und Bärtchen

Vor über 25 Jahren hatte ich mal für längere Zeit einen Vollbart, so einen richtig langen. Damals habe ich mich nicht gefragt, wozu das gut sein soll: Sicher war es ein wenig politischer Personalausweis und unterschwellig das beste Mittel, den lästigen Akt des Rasierens zu vermeiden. 

Als der Bart eines Tages fiel, habe ich das als ungeheure Befreiung empfunden, und mir wurde klar, daß ein Vollbart in erster Linie ein Versteck für das Gesicht ist und etwas für ökologisch Bewegte, denen die Pflege seltener Pflanzen und Tierarten am Herzen liegt.

Die Bärtchen, die heute allüberall zu sehen sind, dienen dagegen hauptsächlich dem Zweck, die Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich zu ziehen und von den Gesichtern der Träger abzulenken.

Es gibt viele Arten, sich zu verstecken.

Der schönste erste Satz

Lieber Leser, heutzutage schreibt nahezu jeder, der Finger hat und diese bewegen kann, einen Roman oder wenigstens eine Autobiographie und läßt ein Feuerwerk der Banalitäten und grammatikalischen Absonderlichkeiten, stilistischen Gewürges und von semantischem Unverständnis geprägten Wortschleims auf dich los; und da auch ich, gedrängt von meinen Freunden, mich dieser Unart nicht enthalten kann, habe ich mich entschlossen, einen autobiographischen Roman zu schreiben, dessen ersten Satz du gerade mit hoffentlich angemessener Begeisterung liest und den du, wie ich hoffe, beim Wettbewerb der Initiative deutsche Sprache und Stiftung Lesen als Kandidaten für den schönsten ersten Satz einreichen wirst – und weil ich dir dankbar bin, daß du mein Buch gekauft hast, soll dieser Satz nicht nur der erste meines Romans sein, sondern gleichzeitig der letzte, und ich überlasse es dir, die folgenden 556 Seiten, die ich für dich freigelassen habe, nach Belieben kalligraphisch oder schmierzettelig zu füllen: mit meiner Geschichte aus deiner Sicht, mit Liebesgedichten für deinen Dackel oder mit Grafiken konkreter Poesie.

Kitsch

Das Belachenswerteste am Kitsch ist nicht der Kitsch selbst, sondern daß es Leute gibt, die sich ständig von ihm distanzieren, weil sie befürchten, irgend jemand könne glauben, sie seien empfänglich für seine Reize. Was sie tatsächlich sind, wenn sie im stillen Kämmerlein die Maske des geborgten Geschmacks abgelegt haben.

Bild in Berlin

 Weil der Spiegel in Hamburg ist, kann sich der Berliner kein Bild von sich selbst machen. Damit sich das ändert, kommt »Bild« jetzt nach Berlin. Den Berliner freut’s, denn so braucht er auch weiterhin nicht direkt in den Spiegel zu schauen und kann mit noch mehr Berechtigung als bisher behaupten, die Bilder von ihm seien Zerrbilder.

Konferenz der Wörter

Auf der turnusgemäßen Konferenz der Wörter wurde beschlossen – wie jedes Jahr und mit nur einer Enthaltung –, daß sich die Wörter in ihrer Bedeutung auch weiterhin nicht von den wechselnden Schreibmoden und den verbeamteten Wortbilddekorateuren, genannt Rechtschreibreformer, stören lassen werden.

Im Anschluß folgten alle einer Einladung der Professoren Gräulich und Greulich, auf der es, wie zu hören ist, beim Haschischtee zu nicht endenwollendem Gelächter über den Duden kam, was dazu führte, daß Doktor Duden, dem nachgesagt wird, er sei neuerdings Abstinenzler, vorzeitig den Saal verließ, vor sich hin brummelnd, das nächste Mal werde er sich nicht mehr nur der Stimme enthalten.

»Wer weiß, vielleicht wird der Konny demnächst gar nicht mehr zur Konferenz eingeladen«, soll Frau Doktor Deskriptiv, auf ihren Ex-Mann angesprochen, süffisant gesagt haben. Aber das scheint mir doch etwas spekulativ zu sein.

Vanity Fair

Der Text ist in mehrfacher Hinsicht eine Kopfgeburt: Gedanken und Schlagzeilen, Assoziationen und Lektürefrüchte rieseln, nein: nicht aufs Papier, sondern ins Internet, ohne je mit der Wirklichkeit in Berührung kommen zu müssen.

Märkische Allgemeine

Das schrieb ein gewisser Frank Dietschreit in der Zeitung eines größeren Dorfes über ein Projekt der »vermeintlichen Literaturgöttin« Elfriede Jelinek.

Wie mir scheint, hat er sich da in mehrfacher Hinsicht ein wenig vermeint, der gute Frank Dietschreit, denn daß die Schreibfrau aus Österreich eine Göttin sei, wird doch wohl weder von ihr behauptet noch von irgendeinem ihrer verständnisvollen Leser. Nicht mal der Rowohlt Verlag käme auf so eine krude Idee. Und Leser wie ich, die den Jelinek-Stil bisweilen als übertrieben geschraubt und diffus empfinden, schon gar nicht.

Literaturgöttin. So euphorisch ist kein Euphoriker. Aber was soll man machen: Wenn man jemandem etwas absprechen will, muß man es ihm vorher zuerkennen. Also erfindet der verhinderte Feuilletongott die Bezeichnung Literaturgöttin, um in dem nichtschmückenden Epitheton »vermeintlich« seine eigene abneigende Meinung (oder auch seinen Neid?) unterzubringen. Das ist das eine.

»Der Text ist eine … Kopfgeburt.« Ja, was denn sonst? Jeder Text, sogar der im Fäkaldunst sanitärer Einrichtungen von Zeitungsredaktionen ersonnene Mumpitz ist letztlich nichts anderes als eine Kopfgeburt, selbst wenn ihm das Odium der erfolgreichen Darmperistaltik anhaften mag. Kopfgeburt? Kopfgeburt!

»… ohne je mit der Wirklichkeit in Berührung kommen zu müssen.« Daß das Internet inzwischen in weit höherem Maße Teil unserer Wirklichkeit geworden ist als eine vermiefte Redaktionsstube, sollte sich doch inzwischen bis in die allerletzte Hinterwaldtoilette herumgesprochen haben.

Hat es tatsächlich. Nur wird es noch immer nicht so richtig verstanden. »Denn das Internet ist heute der denkbar öffentlichste Marktplatz der Eitelkeiten«, schreibt der Herr Dietschreit selbst, ohne zu merken, daß er damit das Internet als einen vollassimilierten Teil der Wirklichkeit beschreibt, die doch in Gänze und im Kern nichts anderes ist als ebendieser »Jahrmarkt der Eitelkeiten«, um mit Thackeray zu sprechen. Das ist das andere.

»Vanity Fair« ist überall.

Kein Gedicht

Wenn du die
Sätze auf
dem Hackbrett
strickst, wird
luftig, leicht so
manches Wort.
Doch der
Gedanke, kühn
bis schlicht,
bleibt, was 
er ist.

Ob du nun
auf den
Reim verzichtest
oder auch nicht
gerupfte Prosa ist
noch kein
Gedicht.