Bücherwurm und Bleilaus

Nun habe ich in meinem Leben an die fünftausend Bücher gelesen, und es war mir nicht vergönnt, auch nur einen einzigen Bücherwurm zu finden.

Normalerweise mögen Würmer gern Salat und andere organische Abfälle, von denen es in Büchern jede Menge gibt: Wortsalat, Buchstabensalat, eine Menge Ausfluß und Gedankenmüll in allen erdenklichen Formen. Ja, auch im sogenannten guten Buch treiben sich neben allerlei Fliegendreck, also falschen Kommata, Hurenkinder herum – und Schusterjungs sowieso. Früher, in Bleiwüstenzeiten, gab es auch noch Zwiebelfische en gros. Allein, Würmer habe ich nicht mal in den Büchern gefunden, die ich in der Pubertät von der damals noch jedermann frei zugänglichen Müllkippe mit nach Hause nahm und die sich nach kurzer Zeit in nichts auflösten, auf unerklärliche Weise einfach verschwanden: Kamasutra und Konsorten.

Mit den mysteriösen Bücherwürmern scheint es sich zu verhalten wie mit den legendären Bleiläusen: Jeder kennt sie oder behauptet, sie zu kennen, und tut so, als hätte er, wenn er nur gesammelt hätte, mittlerweile einen Maltersack voll davon auf dem Speicher stehen. Aber wer sammelt schon Würmer und Läuse?

Neulich sagte jemand zu mir, wenn ich fündig werden wolle bei der Suche nach Bücherwürmern, solle ich mal in den Spiegel schauen. Solch ein Unsinn. Seitdem habe ich jedes Buch, das ich lesen wollte, vor den Spiegel gehalten, aber gesehen habe ich nichts, außer der merkwürdig gestalteten Schrift, die die meisten nicht lesen können. Ich aber schon, denn in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war es mein täglich Brot, aus einzelnen Buchstaben Druckvorlagen für Bücher und andere Schriftkonglomerate zusammenzubauen, stets mit wachem Auge wegen der Bleilausgefahr.

Was auch immer die Leute, die sich die Begriffe Bücherwurm und Bleilaus ausgedacht haben, damit bezeichnen wollten: Wie es scheint, sind Bücherwürmer, sollte es sie je gegeben haben, in Zeiten der Dateihygiene mittlerweile ausgestorben – und Bleiläuse sowieso.

Eine Antwort auf „Bücherwurm und Bleilaus

  1. Jan schreibt am 20.02.2007 um 09:43 Uhr:
    Hurenkinder … oh, man liest leicht darüber hinweg, denkt sich nichts dabei, aber es sind (Bleisatz-)Fachbegriffe. Und zwar schöne, handliche. Und wenn du sie aufrufst, dann gehen sie uns erst einen Tag später verloren. Denn das, fürchte ich, werden sie tun. Also, Dank dafür!

    Lyriost schreibt am 20.02.2007 um 10:59 Uhr:
    Danke, Jan, auch für deinen Kommentar. Zur Ergänzung sei noch gesagt, daß solcherart Fachbegriffe aus Bleisatzzeiten im graphischen Gewerbe immer noch gebräuchlich sind, genau wie Cicero und Punkt und Spatium. Nur um die Schusterjungs kümmert sich keiner mehr.

    Jürgen schreibt am 30.12.2007 um 02:12 Uhr:
    Die Bleilaus … natürlich kenne ich die noch aus meinen ersten Tagen meiner Lehrzeit als Schriftsetzer 1962. Es
    war ein Spaß der Gehilfen (Gesellen) mit den „Frischlingen“, um ihnen auf einem Satzschiff zwischen 3 Stegen dort eingebrachtes Wasser, in das Gesicht zu spritzen – durch Zusammenschieben der Stege.
    Aber, wer kennt heute den Schriftsetzer noch?

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