Esoterische Avantgarde

Versuchen kann man’s ja.

Immer wieder diese kläglichen Bemühungen, aus dem hypertrophierten, ichzentrierten, individualistischen westlichen Konzept der Persönlichkeit auszubrechen durch die Verteufelung des Egos mit Hilfe von buddhistisch oder taoistisch gefärbten Heilsversprechen kosmischer Transzendenz.

Daß auch diese nur zu temporären Verschiebungen des Egos in periphäre Gefilde führen, sieht man am besten am Totalitarismus und elitären Scheinavantgardismus vieler esoterischer Vereinigungen.

Das lächerliche Bild des eingebildeten Weltgeistes im Rolls-Royce zeigt unübersehbar, daß die Egozertrümmerung, trotz aller sophistisch-dialektischen Erklärungsversuche, nichts anderes ist als Verschiebung und Aufblähung des Egos an anderer Stelle.

Unser Ego läßt sich nicht wegmeditieren oder wegdiskutieren, wir »verlieren« es erst, wenn wir sterben.

Und ob das ein Verlust oder ein Gewinn ist, werden wir vermutlich niemals erfahren.

Ich neige allerdings dazu, Verlust und Gewinn gleichzusetzen.

Wunder

Erleuchtung ist kein Zustand. Erleuchtung ist ein Augenblick der Einsicht ins eigene Bewußtsein. Voraussetzungen dafür sind gutes Licht von allen Seiten, ein Vergrößerungsglas und ein Überbewußtsein mit guten Augen und ohne rosa Brille.

Eine Art Wunder.

Amok

Die Androhung von Amokläufen ist nicht die Folge von Computerspielen, sondern Zeichen der Unfähigkeit, angemessen mit den alltäglichen Demütigungen umzugehen, denn
in einer Gesellschaft, die den (bisweilen mühelosen) materiellen Erfolg apotheosiert und als alleinseligmachend feiert und ihn bis zum Überdruß medial vorführt, ohne darauf hinzuweisen, daß nicht jeder gleichermaßen daran teilhaben kann, wächst die Frustrationsintoleranz und damit die Neigung zu Allmachtsphantasien.

Erlebte Demütigung und Ohnmacht sind der Boden, auf dem Allmachtsphantasien wie Unkraut wachsen.

Doch nicht jede Allmachtsphantasie führt zwangsläufig zum Amok-Crash, weil pädagogische Regulative und damit verbundene Persönlichkeitsentwicklung solche Phantasien relativieren und domestizieren.

Pädagogischer Zynismus aber und Drehen an der Leistungsschraube sind ebenso ungeeignet zur Entschärfung der adoleszenten Phantasiebomben wie ein Verbot von Computerspielen, denn in den meisten Fällen sind derlei Spiele eher dazu geeignet, reale Eruptionen von Gewalt zu verhindern, als sie zu fördern.

Am wichtigsten ist es jedoch, daß Eltern gefährdeter Jugendlicher ihre Waffenschränke gut verschließen. Auch die emotionalen.

Und daß sie mit ihren Kindern reden.

Ewigkeit

Weil die Menschen, auf den Flügeln des Chronos sitzend, Angst hatten herunterzufallen ins Chaos, aus dem Chronos emporflog, schufen sie das Konzept der Unendlichkeit, und Chronos wurde ein alter Mann mit Stundenglas.

Die Annahme des Ewigen ist Ausdruck des Bewußtseins der Vergänglichkeit.

Religiöse Gefühle

Religiöse Gefühle sind etwas Merkwürdiges: Moslems fühlen sich angeblich von Reden oder Bildern verletzt, die sie nie gehört oder gesehen haben, und Katholiken durch Bischofsweihen im fernen China. Glaubt man dem Vatikan, dann »verletzt die illegale Bischofsweihe die religiösen Gefühle eines jeden Katholiken in China und auf der Welt« (Radio Vatikan).

Als wäre der Machtanspruch des Papstes ein Gefühl wert.