Der je eigene Sprachgebrauch

In der Wissenschaftssprache, besonders in psychologischen und soziologischen Texten, findet man neben vielen anderen floskelhaften Konventionalismen sehr häufig einen übermäßigen, unreflektierten Gebrauch der Präposition »je«, wenn es darum geht, bei der Betrachtung von Gruppen darauf hinzuweisen, daß jedes Mitglied dieser Gruppe sich in mancher Hinsicht von den andern unterscheidet.

So hat jeder eine »je eigene Sozialisation«, einen »je eigenen Erfahrungsschatz«, einen »je eigenen Sprachduktus«, einen »je eigenen Stil«. Als wäre das nicht eine Selbstverständlichkeit (oder sollte doch zumindest eine sein), wird mit penetranter Überpräzisierung an jeder möglichen und unmöglichen Stelle auf das »je eigene« Individuelle im Überindividuellen hingewiesen. Warum tun so viele Autoren das und negieren so ihre »je eigenen« stilistischen Möglichkeiten? Vielleicht deshalb, weil es die »je eigenen« stilistischen Möglichkeiten in Wirklichkeit gar nicht gibt?

Häufiger präpositionaler Gebrauch dieses »je eigenen« scheint mir neben anderem prägnanter Ausdruck der »je eigenen« Nichtindividualität und eines »je eigenen« mangelndenden Reflexionsvermögens dieser Schreiber zu sein.

Wer vom »je eigenen« der anderen schreibt, sollte sich auch um das eigene »je eigene« kümmern. Aber vielleicht ist gerade das fehlende Bewußtsein des Mangels an »je eigenem« der unbewußte Antrieb, das »je eigene« als theoretisches Postulat so aufdringlich herauszustellen.

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