Der Fleck auf dem Tisch
verdunstende Vergangenheit
schau in den Spiegel
solange das Wasser ihn bildet
schau in das Wasser
und wirf keinen Stein
solange du sprichst
fließt die Geschichte
im Kreis
und stottert nicht
solange Hunde bellen
wärmen auch die matten Worte
wenn Zäune brechen
zur rechten Zeit
atmen wir Erdgeruch
als wären wir
vereint und still
entzeitet
Tag: 16. Oktober 2018
Geleitet
Magnetgeleitet
Linie um Linie
vorwärts und vorwärts
und nach Süden nach Süden
müssen sie ziehen
wir wissen von den Vögeln
wie sie ihre Wege finden
in magnetischen Feldern
immer der Sonne nach
wer weiß das von uns?
Mumienmord
Unter der Überschrift »MUMIEN-MORD« schreibt die Berliner Schlauzeitung »BZ«: »War die Mumie eine Prostituierte?«
Trotz der meist nicht ausgelebten destruktiven nekrophilen Neigung als Folge ungelebten Lebens, die sich vereinzelt ihre Objekte sucht: Prostituierte, die Freier dazu auffordern, ihre Totenruhe zu stören, sind bisher, aus naheliegenden Gründen, nicht in Erscheinung getreten.
Was bei Tom Sharpe satirisch daherkam, ist hier im Fachblatt der Ahnungslosen ganz ernst gemeint. Hier wird erst eine Mumie ermordet und dann auch noch der Prostitution verdächtigt. Das ist ein starkes Stück. Mal ganz abgesehen von Pietätserwägungen, die nun wirklich niemand von derartigen Zeitungen erwartet, ist ein solcher Journalismus Ausdruck bedenklichen denkerischen Unvermögens. Aber wer erwartet von der Journaille Denkfähigkeit? Nur ein Ochse.
Die Frage lautet nicht: »War die Mumie eine Prostituierte?« Die Frage lautet: War der Schreiber ein Ochse? Ja, ein Hornochse.
Ganz sicher.
Intelligenztest
Nur Leute mit eher gering ausgeprägter Intelligenz glauben an die Relevanz von Intelligenztests und Intelligenzquotienten. Auch dann, wenn ihnen ein hoher IQ attestiert wird. Oder gerade dann.
Centrál Kávéház
In Budapest
Café Centrál
Gespräch über Kafka und Narren:
Können Narren müde sein?
Vielleicht gibt es Schlafnarren
Tirade 35 – Laß sein
Geliebte laß sein
laß uns sein im Zeitkanal
zukunftsentwittert
laß uns durchs Gestern streifen
schlafen den Schlaf der Geduld
Tirade 34 – Abseits
Etwas abseits stehn
keine Zeit für die Eile
kein Raum für die Hast
du siehst die Zeiten vergehn
fühlst vergangene Zukunft
Vom Gedächtnis
Wer sagt, er habe schon immer ein gutes Gedächtnis gehabt, der hat ein schlechtes Gedächtnis, weil er vergessen hat, wie oft er etwas vergessen hat.
Ewige Wiederkehr
Der tiefwahre Blick
in nächtlichen Weiten
traumgeröntgte Zeitskelette
Kutsche Flugzeug simultan
Laufen auf kreisrundem Strick
planetare Widrigkeiten
ziellos ahnend um die Wette
ewig Zeit sich zu verfahrn
balanciern auf ungeschauten Schienen
immer gleiche Achterbahn
Tirade 33 – Selbstzivilisierung
Die groben Felle
Egozentrum weißgegerbt
schmutzige Arbeit
und Seelen schwimmen davon
wenn sie nicht gefestigt sind
Vom Lügen
Wer sagt, er lüge niemals, der hat ein schlechtes Gedächtnis und belügt andere und sich selbst. Diese Lüge ist der erste Schritt zu einem guten Gedächtnis, denn wer sein Gedächtnis trainieren will, der lüge fleißig. Übung macht den Meister. Der Meisterlügner ist ein Gedächtniskünstler.
Schlechtes Gewissen
Kaum etwas sorgt bei Streitigkeiten zwischen Menschen so sehr für Eskalation wie ein uneingestandenes schlechtes Gewissen.