Essenz

Dies ist die
Stille im Lärm
unerkannt
unter rhythmisch
klatschenden Zungen
ihr Gesang ist
von Worten
umwachsen
ihre Augen
sind stumm.

Dies ist das
Glühen im Eis
Diamant
hinter Bergen
blinder Gesteine
seine Pracht ist
von Spiegeln
umstellt
und die Blicke
sind krumm.

Dies ist das
Kreisen im Kreise
an der Wand
unterm Röcheln
ratloser Sterne
ihr Gestöhn ist
von Dunkel
umschlungen
täuschend mildes
Gebrumm

Fragen und Antworten

Wenn man sämtliche Interrogativpronomen in allen möglichen syntaktischen Variationen – die deutsche Sprache ist dabei außerordentlich flexibel – ausgeschöpft hat, ohne eine Antwort zu bekommen, dann sollte man für eine Weile schweigen. Vielleicht sucht der Gesprächspartner selbst verzweifelt nach einer Antwort und wird durch erneutes Fragen immer wieder beim Nachdenken gestört.

Es kann sein, daß niemals eine Antwort gegeben wird. Es kann sein, daß nach einer Weile geantwortet wird, verbal oder durch eindeutige Handlung. Kann sein noch rechtzeitig. Aber wenn wir zu lange auf eine Antwort warten müssen, dann kann es sein, daß die Antwort zu spät kommt, wenn sie schließlich doch noch gegeben wird, weil uns Frage und Antwort inzwischen nicht mehr wichtig erscheinen oder wir einen weniger säumigen Gesprächspartner gefunden haben. Oder beides.

Verletzungen

Es ist eine Illusion, zu glauben, man könne eigene Verletzungen besser ertragen, wenn man den andern verletzt, ob nun den, der uns verletzt hat, oder wieder andere – weil die verletzbarer oder einfach nur greifbar sind –, von heilen ganz zu schweigen. Wenn wir einen anderen verletzen, verletzen wir immer auch uns selbst, und dadurch werden unsere Wunden nur tiefer. Besser ist es, mit dem anderen über unsere Verletzungen zu sprechen. Und über seine.

Miteinander sprechen

Wenn du über andere redest, merke ich vielleicht nicht, daß du über dich selbst sprichst, weil ich das Gefühl habe, du sprächest über mich. Entsprechend fällt dann manchmal meine Antwort aus. Gar nicht so einfach. Man muß immer aufmerksam hinhören, wer über wen spricht.

Übel

Wer von ihm nicht betroffen ist, weil er nicht von ihm getroffen wurde, möglicherweise weil es schlecht gezielt hatte, sollte sich in jedem Augenblick darüber im klaren sein, daß es schon heute besser zielen und ihn treffen könnte. Es schießt dauernd und sehr häufig vorbei. Doch es trifft jeden mindestens einmal. Meist jedoch viel, viel öfter. Es ist nicht die schlechteste Art und Weise, sich auf diesen Augenblick, da man selbst getroffen werden wird, dadurch einzustellen, daß man sich in Menschen einfühlt, die bereits getroffen wurden.

Dazu ist es manchmal notwendig, sich erst einmal an die eigenen Wunden zu erinnern und ihren Schmerz nicht ständig zu verdrängen. Der zweite Schritt fällt dann leichter.

Diskussion

Der Sinn einer kreativen Diskussion ist es nicht, herauszufinden, wer recht hat, oder sich mit seiner Meinung oder Theorie durchsetzen zu wollen, sondern auszuloten, was richtig sein könnte. Dabei wird sich manches Mal herausstellen, daß keiner recht hat oder alle recht haben, und zwar deshalb, weil die Perspektive eine jeweils andere ist oder einem Diskussionsgegenstand mehrere Erscheinungsformen zukommen können. Dann kann man natürlich über die Qualität der Perspektive diskutieren und über eine eventuelle Ungleichwertigkeit der Erscheinungsformen und so weiter.

Diskussion sollte aber kein Kriegsersatz sein. Spielen und mit Gegenständen werfen kann man besser im Sandkasten. (Wenn ich meinen Text betrachte, fällt mir ein möglicher Ansatzpunkt für Kritik oder eine Diskussion auf: das Spielen im Sandkasten. Wie jeder weiß oder wissen sollte, kann Spielen im Sandkasten sehr kreativ sein, und deshalb habe ich hier zu allgemein formuliert, weil ich die kreativen Erscheinungsformen des Sandkastenspiels außer acht gelassen habe.

Ich dachte daran, daß die Kontrahenten sich in Diskussionen häufig gegenseitig Sand in die Augen streuen, und finde diese Unart wenig förderlich. Spielerische Elemente jedoch können Diskussionen in mancherlei Hinsicht beleben. Ein zweiter möglicher Einwand könnte sein, daß ich die sportliche Komponente von Diskussionen nicht erwähnt habe: Diskussion als geistige Eristik. Und schon wären wir in einer fruchtbaren Diskussion über Diskussionen.)