Wenn sie mir zu sehr um die Füße schwappt, die Dummheit, fühle ich mich manches Mal versucht, zum antidummistischen Rassisten zu werden, aber dann fällt mir wieder Tucholsky ein, der gesagt hat: »Gegen den Ozean pfeift man nicht an.« Tucholsky hat sich das Leben genommen. Das ist keine für mich akzeptable Lösung. Also wenigstens schwimmen lernen.
Tag: 2. Juli 2018
Einbildung
Nichts verhindert Bildung so sehr wie die Einbildung. Denn wenn wir uns einbilden, etwas zu sein, können wir es nicht werden. Nur wenn die Wörter »Bildung« und »Einbildung« im ersten Satz austauschbar sind, handelt es sich um wirkliche Bildung und nicht um eingebildete.
Dialogbereitschaft
Wenn du in mir sprichst
schweige ich sprachlos fast stumm
ich höre dir zu.
Hast du etwas zu sagen
dann werde ich es hören
Gewohnheit
Man sollte sich angewöhnen, sich abzugewöhnen, andern etwas abgewöhnen zu wollen, und statt dessen angewöhnen, sich anzugewöhnen, sich selbst das abzugewöhnen, was nicht stimmig ist. Das wäre eine gute Gewohnheit.
Über das Bloggen
Genaugenommen müßte die Überschrift heißen »Über mein Bloggen«, denn es gibt so viele Formen und Motivationen des Bloggens, daß man ein Buch darüber schreiben könnte, aber diese Formen interessieren mich im Augenblick nicht und sollen in diesem Beitrag nicht angesprochen werden.
Worum es mir geht, ist meine eigene Motivation und meine idealtypische Vorstellung vom Bloggen. Für mich ist Bloggen eine, wenn nicht die Möglichkeit, mein eigenes Denken zur Disposition zu stellen – und auch meine Gefühle. Und das Ganze zu dem Zweck der Erprobung in der virtuellen Wirklichkeit.
Bei der Wahl der Freunde sind wir geneigt, uns eher den Menschen zuzuwenden, mit denen uns möglichst vieles verbindet, und wir wählen sie dementsprechend aus, sei es nun bewußt oder unbewußt. Wenn wir aber unsern Blog in den Raum stellen, müssen wir mit Widerspruch ebenso rechnen wie mit Häme, Belustigung, Gleichgültigkeit und Unverständnis. Und wir laufen Gefahr, daß uns das ungeschminkt gesagt wird.
Freunde sind normalerweise verständnisvoller als Fremde, so wie wir ihnen gegenüber eher geneigt sind, ein Auge zuzudrücken, wenn sie etwas erzählen, das uns nicht überzeugt. Freunde wollen Freunde bleiben. Auch beim Bloggen können wir solcherart Rücksicht nehmen, aber wir müssen nicht, und auch die andern müssen nicht.
Jeder weiß, daß tiefere Einsichten so manches Mal Folge der Konfrontation mit konträren oder einfach nur abweichenden Ansichten sind, vorausgesetzt, man nimmt sich die Zeit, über Auseinandersetzungen nachzudenken.
Genau das ist es, was mich treibt, hier zu sagen, was ich denke, und mich als lyrisch kreativer Mensch zu zeigen. Ich möchte mich anderen mitteilen, um Resonanz zu erzeugen, die mich in meinem eigenen Denken und Dichten weiterbringt.
Und dasselbe möchte ich auch den andern geben: Resonanz. Und deshalb beteilige ich mich an den Denkvorgängen anderer, deren Denken und verborgenes oder weniger verborgenes Fühlen mich interessiert, berührt, bewegt, ärgerlich macht oder abstößt.
Jeder für sich und gemeinsam kreativ sein: Das ist meine idealtypische Vorstellung vom Bloggen. Ich glaube nicht, daß uns das dümmer macht.
Über das Lesen
»Lesen macht dumm.« Inmitten all der Bücher im Arbeitszimmer prangt dieses Diktum und lächelt ironisch und süffisant. Und die Bücher lächeln ironisch und noch süffisanter zurück: die guten wie die schlechten. Und Leute, die mich besuchen, tun es ihnen nach, manche lachen gar laut und möchten sich am liebsten wälzen angesichts dieses scheinbaren Widerspruchs.
Auch ich selbst habe gelächelt, als ich diesen Spruch einrahmte und ihm seinen Platz zuwies, denn »Lesen macht dumm« inmitten von Bücherhaufen, das ist schon ein starkes Stück und natürlich Witz und Provokation zugleich. So wird es im allgemeinen aufgefaßt, und das ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
Doch die eigentliche Bedeutung ist eine andere.
Was tun wir, wenn wir etwas Gedrucktes in die Hand nehmen und zu lesen beginnen? Wir begeben uns in die Gedankenwelt eines anderen Menschen, vollziehen seine Gedankengänge nach, und wenn er gut schreibt, fällt uns das immer leichter und leichter. Und wenn wir viel lesen, gewöhnen wir uns daran, denn es ist einfacher für uns, wenn ein anderer für uns denkt, so wie es weniger anstrengend ist, im Auto zu fahren, als zu laufen. Und so wie dem Vielfahrer das Gehen nach und nach lästiger und mühsamer wird, so geht es auch dem Vielleser mit dem Denken.
Statt lange und ausdauernd selbst zu denken, was ein langsamer und mühsamer, widersprüchlicher Prozeß ist, sucht sich der Vielleser den Lesestoff und verschlingt Buch für Buch und freut sich an den Gedanken, die nicht seine eigenen sind. Und manche Leser verlernen das Denken beim Lesen ganz und gar. Das merkt man spätestens dann, wenn man länger mit ihnen redet und plötzlich feststellt, daß ein anderer aus ihnen spricht; und wenn man weiß, was sie zuletzt gelesen haben, und dieses kennt, dann erkennt man, wie gefährlich das Lesen für die Intelligenz sein kann. Lesen mag bilden, aber es kann mindestens ebensosehr das eigenständige Denken gefährden oder gar unterdrücken.
Das erste Mal ist mir das aufgefallen, als ich nacheinander Parmenides und Heraklit las und beide gleich überzeugend fand, obschon beide Vorsokratiker einen gegensätzlichen Standpunkt vertreten, und erst viel später habe ich mich gefragt, was ich denke. So gebannt und gefangen war ich von ihrem philosophischen Denken. Dieser Vorgang hat sich später noch öfter wiederholt, und so etwas passiert mir auch heute noch, wenn ich nicht größere Denkpausen zwischen den Lektüren einlege und das Gelesene schreibend und dialogisch verarbeite.
Wer die Universitätsmoden einigermaßen genau kennt, kann nach einer Viertelstunde Gespräch ziemlich sicher sagen, wann der Gesprächspartner studiert hat, weil dessen Denken durch die Schriften geprägt ist, die zu seiner Zeit an der Uni gerade rezipiert und nachgeplappert wurden.
Ob es sich dabei um Philosophie handelt, Linguistik oder Literaturwissenschaft, ist ziemlich egal. Ich vermute, daß es in anderen Fächern nicht viel anders ist.
Daraus ziehe ich für mich den Schluß, daß es wichtiger ist, viel zu denken, als viel zu lesen. Und daß man sich Zeit lassen sollte beim Lesen und den Büchern keinen größeren Vertrauensvorschuß geben sollte als Gebrauchtwagenhändlern und Versicherungsvertretern.
Das alte Lied
Das Hirn umschlungen
von bemaltem Tuch
geschwenktes Vaterland
gebrüllter Fluch.
Die Fahne flattert
bald zerreißt die Haut
vom Feuersturm verbrannt
kein Schrei, kein Laut.
Die Zungen klirren
kalt und steif auf Grund
Soldaten unbekannt
erloschner Mund.
Der Sarg umschlungen
von bedrucktem Tuch
geschenktes Vaterland
erfüllter Fluch
Inspiration
Der Widerspruch kann Quelle der Transpiration sein und Transpiration Quelle der Inspiration.