Wertvolle Dinge schützt man am besten vor Berührung und Diebstahl, indem man ihnen ein Schild beifügt, das sie als Kopie ausweist, und die Kopie gut geputzt in einer Panzerglasvitrine daneben stellt. Die Leute werden sich am Glas die Nasen plattdrücken. Der unerreichbare Schrott ist den Menschen um vieles wertvoller als das erreichbare Wertvolle. Kriterium des Wertes ist nicht die Qualität, sondern die Erreichbarkeit. Wenn sich ein Ding dem Begreifen entzieht, erhöht das ganz automatisch seinen Wert. Und sei der Appetit auch noch so groß: Eine auf einem Pappteller liegende Currywurst kann mit dem Hundekot auf Silbertablett in der verschlossenen Glasvitrine nicht mithalten. Vielleicht ißt man, vom Hunger übermannt, dann doch die Currywurst, aber die Träume vom Guten in der Vitrine werden dafür sorgen, daß die Wurst nicht besonders schmeckt. Trotzdem: Guten Appetit.
Tag: 26. Juni 2018
Geld und Liebe
Mit der Liebe ist es wie mit dem Geld: Am meisten bekommen die, die es nicht verdienen.
Weißer Mohn
Sind kalte Hände
die die Scherben streuen
statt Rosen, Klee und Hyazinthe.
Sind kahle Wände
die das Licht bereuen
das auf sie sprüht wie weiße Tinte.
Sind deine Worte
die die Farben bleichen.
Ist dein Geruch
der deinen Duft
verwischt
Mißverständnisse
Jede Kommunikation, und sei sie auch noch so aufmerksam und auf Genauigkeit bedacht, ist nicht nur geprägt von Verstehen und Verständnis, sondern in gleichem Maße auch von Mißverstehen, zumindest von partiellem.
Bevor wir miteinander ins Gespräch kommen und uns mitteilen, hat bereits ein internes Gespräch stattgefunden (und findet auch während des Austauschs unentwegt statt), und auch dieses ist mit Mißverständnissen behaftet, denn wer verstünde sich selbst zur Gänze? Der Mischmasch von Gefühlen und Gedanken, der in uns hochsteigt, muß in irgendeiner Weise in Sprache umgesetzt werden, verbal und nonverbal, und dieser Umsetzungsprozeß geschieht zum größten Teil unbewußt und ist mit idiographischen Vorgaben behaftet, die wir selbst nicht durchschauen.
Nichtsdestotrotz gehen wir davon aus, daß der Gesprächspartner uns versteht. Notwendigerweise äußern wir uns in einer Sprache, die auf der einen Seite viel zu ärmlich ist, um komplexe Gefühlswelten darzustellen, aber andererseits vieldeutiger, als es die Wörterbücher der Semantik glauben machen wollen, denn alles steht und fällt mit den konnotativen Bedeutungen des Gesagten, und diese sind nicht so universell, wie von vielen angenommen wird. Von den persönlichen Assoziationsgebirgen ganz zu schweigen.
Und dann gibt es noch die Mißverständnisse, die auf der syntaktischen Struktur der Sprache beruhen, aber das sind die im Gespräch am leichtesten aufzulösenden. Ein Beispiel:
Ich sage: »Gefühle können nicht lügen, aber sie können täuschen. Und wir können unsere Gefühle nicht verstehen oder mißverstehen.« Darauf bekomme ich die Antwort: »Wenn wir sie nicht verstehen und nicht mißverstehen können, wie du sagst, dann wären sie erst mal einfach so, und sie würden irgend etwas mit uns machen, was uns unverständlich bleibt.«
Gemeint hatte ich: Es besteht die Möglichkeit, daß wir unsere Gefühle nicht verstehen, und es kann sein, daß wir unsere Gefühle mißverstehen. Gut, zugegeben, so wie ich mich ausgedrückt hatte, ist der Satz auch anders interpretierbar, als ich ihn gemeint hatte. Aber immerhin ist er mehrdeutig, wenn man genau hinschaut. An der Antwort aber wird deutlich, daß weder meine Intention noch die Mehrdeutigkeit meines Satzes vom Empfänger wahrgenommen wurde, sondern der Satz wurde in der Antwort zu einer gewissermaßen dogmatischen Aussage über das Verstehen von Gefühlen uminterpretiert.
Ob eine solche gleichsam dogmatische Aussage ihre Berechtigung haben könnte, ist wieder eine andere Frage, und nach genauerem Überlegen komme ich zu dem vorübergehenden Schluß, daß es vielleicht tatsächlich so sein kann, daß wir unsere Gefühle nicht verstehen können.
Aber daß wir uns und einander hin und wieder trotzdem verstehen, oder zu verstehen scheinen, grenzt an ein Wunder.
Und hätte ich nicht nachträglich das Reziprokpronomen »einander« in diesem Text eingefügt, wäre das nächste Mißverständnis bereits vorprogrammiert.
So schwierig kann das Verstehen sein.
Possessivpronomina
Menschen, deren Rede geradezu zwanghaft angereichert ist mit egozentrierten Possessivpronomina, sind nicht gerade ideale Beziehungspartner, und man sollte ihnen Gelegenheit geben, den Gebrauch dieser Pronomina auf Nomen wie zum Beispiel Einsamkeit auszudehnen. Doch das wird wahrscheinlich nichts nützen, denn sie werden dies nicht in so ausreichendem Maße als negativ empfinden, daß sie etwas an ihrem Sprachgebrauch und dem damit verbundenen Denken und Handeln ändern. Einsam sind meistens die, die wenig Sinn für solche Possessivpronomina haben.