Manche machen sich nicht auf die Suche nach sich selbst, weil sie Angst haben, nichts zu finden. Aber sie irren sich. Es ist vor allem der Mangel an Selbstbewußtsein, der das Bewußtsein des Selbst verhindert.
Tag: 22. Juni 2018
Du
Du bist bei mir
wie Wetterleuchten
in meinem Hirn
das sich verkrampft
Skotome flimmern
mir dein Bild
mit deinem
Duft bedampft.
Manchmal kehrt
Ruhe ein.
Dann wieder springt
mich’s an und sticht
ins Herz
dem Blindverseuchten
Schreiben
Wäre nicht anders
wenn wir mit Tinte schrieben
immer verdorben
jeder andere Tinte
doch niemals ist sie nur blau.
Jeder andere Tinte
doch niemals ist sie wie Tau
Das Übertier
Zerklüftet die rostigen Zinnen
wachsweich der brüchige Ort
das zerebrale Beginnen
idiographisch verknorrt.
Ein faltenverzwirbelndes Warten
Neuronen Flackerakkord
im nebelverhangenen Garten
leukotomisch verdorrt
Der zersplitternde Trost
Wo selbst die Tauben sich im Lärm verlaufen
da wird das sanfte Wort verschluckt, bleibt stumm.
Wo Blinde kalte, kranke Augen kaufen
da werden alle tiefen Blicke krumm.
Da hilft kein Rausch, kein sinnvolles Besaufen
die Bilder kreischen, das Delirium
im Ohr das Prasseln roter Scheiterhaufen
verbrannter Hoffnungen Martyrium.
Das ist die Zeit, da sie mit Feuer taufen
und niemand fragt sich noch, warum
kein Glanz mehr auf den Sternenhaufen –
vom Trost befreites Säkulum
Plagiat
Man erinnert sich vielleicht an die Plagiatsvorwürfe Daniel Libeskinds in Richtung Peter Eisenman, als es um die architektonische Konzeption des Berliner Holocaust-Mahnmals ging. Eisenmans Stelen hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit denen Libeskinds, die vor dem Jüdischen Museum in der Lindenstraße zu sehen sind.
Nun ist jemand auf einen italienischen Zeichentrickfilm aus den siebziger Jahren gestoßen, in denen es eine Szene mit ganz ähnlichen psychologisch-architektonischen Stelen gibt, und es wird die Vermutung geäußert, hier könne die Quelle des möglichen Plagiatplagiats sein. Und wer weiß, vielleicht findet ein Kustos im Depot des Pergamonmuseums demnächst Fotografien einer Ausgrabungskampagne mit eng angeordneten Steinen, die an Stelen erinnern. Und dann?
Ich empfinde solche Plagiatsdebatten als oberflächlich, weil darin ein fragwürdiger Originalitätsgedanke zum Ausdruck kommt, der die ganze Moderne durchzieht.
Ist es nicht zum einen so, daß wir tagtäglich einer unglaublichen Bilderflut ausgesetzt sind, von der nur ein geringer Teil den Weg durch die Huxleysche Reduzierröhre in unser Bewußtsein findet? Und der Rest sickert in unbewußte Tiefen, aus denen jederzeit luftblasenähnlich etwas aufsteigen kann, was sich mit anderem in unserem Bewußtsein vermischt. Ist das nun etwas Eigenes oder etwas Fremdes?
Als schöpften nicht alle wirklich kreativen Menschen in erster Linie aus ihrem Unbewußten, das ja, wie wir nicht zuletzt durch C. G. Jung wissen, zum Großteil ein kollektives Unbewußtes ist. Wenn wir uns beklauen, dann beklauen wir uns nicht gegenseitig, wir beklauen uns selbst. Und das ist ja wohl nicht verboten.
Wenn ich bei jedem Satz, den ich schreibe, überlegte, ob jemand das schon mal ähnlich formuliert hat, dann käme ich wohl nicht weit.
Und wir wissen doch alle, was ein gewisser Salomon vor ein paar Jahren gesagt haben soll: «Es gibt nichts Neues unter der Sonne.»
Für klarere Fälle gibt es das Urheberrecht und die Patentämter.
Über Denken und Meinen
Wenn eine Meinung in einem urteilsfähigen Kopf entsteht, haftet ihr eine wie auch immer geartete Plausibilität an, und die Meinung ist ernst zu nehmen. Der Grad der Plausibilität ist jedoch stets abhängig vom Grad der Durchseuchung dieser Meinung mit Vorurteilen, von denen niemand ganz frei ist. Und wer glaubt, seine Urteilsfähigkeit sei so rein wie Quellwasser, der unterliegt einem Vorurteil.
Wenn eine Meinung in einem vorurteilsfähigen Kopf entsteht, haftet ihr wenig Plausibilität an, und die Meinung ist nicht sonderlich ernst zu nehmen. Der Grad der Plausibilität ist jedoch stets abhängig vom Grad der Durchseuchung dieser Meinung mit plausiblen Urteilen, von denen niemand ganz frei ist. Und wer glaubt, die Vorurteilsfähigkeit anderer sei so rein wie Quellwasser, der unterliegt einem Vorurteil.
Wir sollten also nicht nur denken, bevor wir etwas sagen, sondern auch genau hinschauen, auf welchen Prämissen dieses Denken beruht.
Nur wer sein eigenes Denken bedenkt, kann saubere Meinungen produzieren. Das ist mit Sicherheit kein Vorurteil.