Meine Kommode im Flur hat viele Schubladen mit einer ständig wachsenden Sammlung von Masken in allen Farben.
Da ist die des verständnisvollen Liebhabers, die des liebevollen Sohnes, des Literaturkenners, des Akademikers, des Chronischkranken, des immer noch jugendlichen älteren Herrn. Daneben liegen die Masken des Philosophen (etwa zehn verschiedene), des Altachtundsechzigers, mehrere unterschiedliche Musikkenner-Masken, nach Stilen geordnet, von Heavy-Metal bis Schubert. Die Moralistenmaske, ein wenig angestaubt, findet sich neben der des Fußballfans und in einer anderen Schublade die des Lyrikers in der späten Postmoderne. Eine Esoterikermaske gibt es auch und natürlich die Vatermaske, die mir schon immer als eine der problematischsten erschienen ist. Und es gibt viele andere mehr, so viele, daß ich unlängst bei eBay nach einer passenden alten Kommode Ausschau gehalten habe.
Je nach Bedarf setze ich eine der Masken auf, wenn ich das Haus verlasse, um den Erwartungen derer gerecht zu werden, die ich zu treffen gedenke, und manchmal nehme ich ein paar weitere mit, damit ich, falls nötig, auf irgendeiner Toilette unauffällig wechseln kann: „Ich muß mich mal kurz frisch machen.“
Ehrlich gesagt: Das strengt mich ganz schön an, und von Zeit zu Zeit überlege ich mir ernsthaft, ob ich nicht besser aufhören sollte mit diesem Maskentanz und einfach nur noch ich selbst sein.
Und wenn die andern dann Probleme haben, mich in ihre Schubladen einzuordnen, dann ist das deren Problem. Ich aber bin so frei, wie jemand nur irgend sein kann. Ich denke, das werde ich tun: Ich werde mich von den Masken befreien. Der Teil meiner Persönlichkeit, der in jeder von ihnen enthalten ist, geht mir dadurch nicht verloren, im Gegenteil: Ich werde für alle als Ganzes sichtbar. Jedenfalls für die andern Maskenlosen und für die, die ihre Brillenmaske absetzen oder sich zumindest bewußt werden, daß sie eine tragen.
Nicht erschrecken, ich bin mal so frei.
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