Wer ein Gedicht analytisch seziert und regelgeleitet interpretiert, läuft Gefahr, das Gedicht gründlich mißzuverstehen. Es ist so, als wenn man einem Lebewesen das Blut abzapfte, um es besser zu begreifen. Gedichtinterpretationen erscheinen manchmal sehr plausibel, und man kann einiges aus ihnen lernen, aber meistens mehr über das Weltbild, die Bildung und den interpretatorischen Ansatz des Rezipienten als über das Gedicht. Von den Intentionen des Dichters ganz zu schweigen.
Es gibt sogar Interpretationsverfahren, die Gedichte zerstören, weil sie die komplexen Wort-und-Sinn-Gebilde auf architektonische Phänomene reduzieren. Mit einer architektonischen Denkweise aber läßt sich ein musikalisches Phänomen nicht erfassen, nicht mal dann, wenn es so streng architektonisch daherkommt wie Bachsche Fugen.